Kleiner Grünen-Landesparteitag in München
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Kleiner Grünen-Landesparteitag in München

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"Wir weichen nicht": Bayerns Grüne trotzen Anfeindungen

Auf ihrem Parteitag in München prangern Bayerns Grüne Spaltung und Populismus an. Von Anfeindungen wollen sich die Spitzenkandidaten nicht entmutigen lassen - und präsentieren sich eine Woche vor der Landtagswahl staatstragend. Eine Analyse.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

Am Ende der halbstündigen Rede von Außenministerin Annalena Baerbock erhebt sich ganz oben auf einer der Tribünen im Münchner Werk7 Theater ein Mann und ruft zweimal laut: "Ich erhebe Einspruch." Sein Protest geht im Applaus der Delegierten des Grünen-Landesparteitags für Baerbock unter. Der Mann wird von der Security nahezu unbemerkt zum Ausgang begleitet. Es bleibt der einzige Zwischenfall in der Halle, in der auf den kleinen Parteitag noch ein gemeinsamer Wahlkampfauftritt von Baerbock mit Katharina Schulze und Ludwig Hartmann folgt.

Keine Pfiffe, keine "Hau ab"-Chöre: Es ist ein Wohlfühltermin für die bayerischen Grünen-Spitzkandidaten - beileibe keine Selbstverständlichkeit in diesem Wahlkampf. Insbesondere auf Marktplätzen sei man schon froh, "wenn es nur ein paar Störer sind", schildert ein wahlkämpfender Grüner im Saal. Im Werk7 sprechen sich die bayerischen Grünen selbst Mut zu, beschwören ihren Kampfgeist. "Da können andere noch so viel trillerpfeifen oder sogar Steine werfen oder uns mit Hass und Hetze im Internet überschütten, wir weichen nicht", ruft Schulze in den Saal.

Trillerpfeifen, Buhrufe und ein Stein

Einen ersten Tiefpunkt hatte Schulze vor etwa zwei Monaten bei einem Wahlkampftermin mit Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir im oberbayerischen Chieming erlebt. Ein Teil der rund 2.500 Gäste störte die Veranstaltung mit Trillerpfeifen und Buhrufen, vor dem Bierzelt wurden in einem Wagen Tomaten, Eier, kleine und große Steine angeboten. Özdemirs Auftritt wurde herausgezögert, als er schließlich sprach, bildete ein Dutzend Beamtinnen und Beamten eine Polizeikette zwischen Podium und Publikum.

Vor zwei Wochen in Neu-Ulm schleuderte ein Mann einen Stein auf das Podium mit Schulze und Hartmann. "Der Steinwurf in Neu-Ulm hat mich geschockt", sagt Hartmann dazu im BR24-Interview. "Der Stein hat auch uns gegolten. Er hat uns nicht verletzt, aber unsere demokratischen Werte." Das sei ein Alarmsignal, wie aufgeheizt die Stimmung im Land sei, sagt der Grünen-Fraktionschef. Alle Demokraten im Land sollten nun die Stimmung herunterkühlen und wieder über Sachfragen sprechen.

Hartmann beklagt "aufgeheizte Stimmung"

Dieser Wahlkampf sei herausfordernder als alle, die er bisher erlebt habe, beklagt Hartmann. Selbstverständlich treffe CSU-Chef Markus Söder und den Freie-Wähler-Vorsitzenden Hubert Aiwanger keine Schuld an dem Steinwurf von Neu-Ulm, betont der Grünen-Politiker. "Das ist für mich ganz klar." Beide hätten durch ihre Attacken auf die Grünen aber schon eine Mitverantwortung für die aufgeheizte Stimmung.

Seit Monaten prangert Söder bei Wahlkampfauftritten einen vermeintlichen "Genderzwang" und eine angeblich drohende "Zwangsveganisierung" an: Verbote seien das Lebenselixier der Grünen. Den Berliner Grünen spricht der CSU-Chef die Regierungsfähigkeit ab, den bayerischen die Eignung, etwas für den Freistaat zu tun. "Die Grünen haben kein Bayern-Gen", rief er vor einer Woche auf dem CSU-Parteitag. "Bayern und Grüne passt so gut zusammen wie Oktoberfest und Kamillentee."

Während Söder im Wahlkampf auch deutliche Worte für die AfD findet, konzentriert sich Aiwanger in seinen Wahlkampfreden in der Regel ganz auf die Grünen. Bei der Erdinger Demo gegen das Heizungsgesetz wurde er unter anderem bejubelt für den Ausruf, er wolle nicht länger zuschauen, "wie diese grün-dominierte Ampel Deutschland gegen die Wand fährt". Im Interview mit dem "Fränkischen Tag" bekräftigte der Freie-Wähler-Chef diese Woche: "Wir sind die Anti-Grünen" - und wiederholte seine Kritik an "diesem woken Zeitgeist", der Karl May auf den politischen Index setzen wolle, an der "ganzen Fleisch-Debatte", der "Gender-Debatte" und der "Verbrenner-Verbots-Debatte".

Grüne schlagen zurückhaltendere Töne an

Auf dem Münchner Grünen-Parteitag zum Wahlkampf-Endspurt zieht sich die Warnung vor "solchen Parolen" und vor Spaltung wie ein roter Faden durch die Reden der Politiker. Baerbock warnt vor Polarisierung und Schwarz-Weiß-Denken, Schulze und Hartmann wenden sich gegen Populismus. Zwar ist klar, an wen sich die Botschaft richtet, und doch erwähnen die drei Politiker Söder und Aiwanger in ihren Parteitagsreden nicht namentlich.

Zur Wahrheit gehört: Auch die Grünen haben in diesem Wahlkampf durchaus nicht mit scharfen Angriffen auf CSU und Freie Wähler gespart - unter anderem bei energiepolitischen Themen, aber auch rund um die Antisemitismus-Vorwürfe gegen Aiwanger und Söders Umgang damit. Auf ihrem kleinen Parteitag in München schlagen sie eine Woche vor der Wahl aber auffällig zurückhaltende Töne an, beschwören den Zusammenhalt aller Demokraten im Land.

"Was man liebt, das spaltet man nicht"

"Wenn andere Brücken einreißen, bauen wir Brücken", sagt Hartmann in seiner Rede, die er zusammen mit Schulze hält. "Wir brauchen dringend Brücken zwischen konservativ und progressiv, Brücken zwischen Stadt und Land, Brücken zwischen Jung und Alt." Letztlich gehe es doch um ein gemeinsames Bayern. "Für uns beide gilt: Was man liebt, das spaltet man nicht."

Und auch Schulze warnt: Wenn man die Landbevölkerung gegen die Städter aufhetze, gewinne man gar nichts. Und wenn man große Herausforderung wie die Klimakrise kleinrede und zugleich kleine Herausforderungen wie Ernährungsfragen oder Winnetou aufbausche, "dann kommt diese Gesellschaft kein Schritt weiter". Daher erklären gleich mehrere Redner den Urnengang am Sonntag zur "Richtungsentscheidung" für Bayern.

Der Traum von Schwarz-Grün

Inwieweit hinter dieser Argumentation in erster Linie ehrliche Sorge oder auch politisches Kalkül steckt, dürfte auch eine Frage der Betrachtung sein. Umfragen sehen eine klare Mehrheit für CSU und Freie Wähler sowie eine erstarkte AfD. Die FDP muss um ihren Wiedereinzug in den Landtag bangen, die SPD liegt aktuell unter der Zehn-Prozent-Marke - weit abgeschlagen hinter den Grünen. Bei ihrem Auftritt in München werben die Grünen um Unentschlossene oder Enttäuschte, die etwas für Versöhnung und Zusammenhalt tun wollen.

Auch wenn Söder immer und immer wieder versichert, dass es in Bayern definitiv keine Koalition der CSU mit den Grünen geben werde - Hartmann hält an dem Ziel fest, die Freien Wähler als Juniorpartner der CSU abzulösen. Eine andere Machtoption gibt es für die Grünen in Bayern nicht. Es brauche eine Regierung, "die die Chancen im Land sieht", betont Hartmann. Beide Parteien müssten für ein solches Bündnis zwar über einen großen Schatten springen. Und doch könne Schwarz-Grün die richtige Antwort sein, "gerade in dieser Zeit das Beste aus beiden Welten zusammenbringen".

Einen Seitenhieb auf Söder kann er sich bei der Wahlkampfveranstaltung dann doch nicht verkneifen, als er mit Blick auf dessen Koalitionsaussage sagt: "Auf eines ist doch bei Markus Söder Verlass: Dass er seine Meinung ändern kann."

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