Klimaaktivisten der "Letzten Generation"
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Ohrfeige, Beleidigungen: Nimmt Gewalt gegen Klima-Aktivisten zu?

Bei Straßenblockaden in München gab es in den vergangenen Tagen körperliche Angriffe auf Klimaaktivisten. Die Polizei München ermittelt in acht Fällen wegen Beleidigung, Nötigung und Körperverletzung. Einzelfälle oder zunehmende Selbstjustiz?

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Zahlreiche Klimaaktivisten protestieren aktuell gegen die Messe IAA Mobility in München. Bei Straßenblockaden kam es dabei in den vergangenen Tagen auch zu Angriffen gegen die Aktivisten. Am Montag etwa attackierte ein Mann bei einer Straßenblockade an der Autobahn A94 einen am Boden sitzenden Demonstranten erst verbal - und schlug ihm dann unvermittelt ins Gesicht. Die Attacke ist auf einem Video zu sehen. Die Identität des Mannes konnte laut Polizeiangaben noch nicht geklärt werden. Gegen ihn wird wegen Körperverletzung ermittelt.

Angriffe auf Aktivisten kein Einzelfall

Kein Einzelfall: Die Polizei München ermittelt nach eigenen Angaben derzeit in acht Fällen gegen Personen, die im Verdacht stehen, Klimaaktivisten bei Straßenblockaden angegriffen, beleidigt oder sogar verletzt zu haben. Wie das Präsidium dem BR auf Anfrage mitteilte, zählt dazu auch der Fahrer des Kleinwagens, der vergangene Woche zwei Klimaaktivisten auf der Motorhaube vor sich hergeschoben hatte. Die Klimaaktivisten waren dabei mit ihren Oberkörpern auf seiner Motorhaube gelegen. Der Pkw-Fahrer verschwand, ohne sich weiter um den Vorfall zu kümmern. Rettungskräfte stellten später keine Verletzungen bei den Aktivisten fest.

Bei einem anderen Vorfall am Karlsplatz hatte sich der Fahrer eines Mofas mit laufendem Motor vor einen sitzenden Klimaaktivisten gestellt und ihn mit Abgasen eingenebelt. Hier lauten die Vorwürfe versuchte Nötigung und vollendete Körperverletzung. Auch das oft beobachtete Wegzerren oder Schleifen von auf der Straße sitzenden Klimaaktivisten stellt laut Polizei eine Straftat dar.

Nimmt Gewalt gegen Klima-Aktivisten insgesamt zu?

BR24 hat zu dieser Frage mit dem politischen Soziologen Doktor Simon Teune von der FU Berlin gesprochen. Sein Schwerpunkt liegt auf Protest- und Bewegungsforschung.

BR24: Herr Dr. Teune, immer wieder kommt es zu Angriffen auf Klima-Aktivisten, erst vor wenigen Tagen auch mehrmals in München. Würden Sie sagen, dass die Gewaltbereitschaft gegen die Aktivisten zuletzt gestiegen ist?

Dr. Teune: Ich würde schon sagen, dass sich die Situation bei Straßenblockaden über die Zeit verschärft hat. Anfangs wurden die Aktivisten von einzelnen Autofahrern von der Straße gezerrt. Mittlerweile ist häufiger zu sehen, wie Autos in die Blockade fahren, dass Protestierende geschlagen oder mit Flüssigkeit übergossen werden. Wobei man sagen muss, dass diese Aggressionen nur von wenigen ausgehen. Ein Großteil der betroffenen Autofahrer ärgert sich vielleicht, bleibt aber sitzen und wartet auf die Polizei. Die gewaltsamen Übergriffe werden allerdings häufig mitgefilmt, nicht zuletzt von den Klima-Aktivisten selbst. Das macht sie sichtbar und das führt womöglich auch zu einem Nachahmungseffekt: Die Angriffe scheinen eine normale Reaktion zu sein.

Stichwort Sichtbarkeit – woran liegt es ihrer Meinung nach, dass wütende Autofahrer vor allen Augen Gewalt anwenden und sich dabei auch filmen lassen? Fürchten die keine Konsequenzen?

Es ist eine Atmosphäre entstanden, in der Gewalt gegen die Klima-Aktivisten legitim erscheint. Denn diese Form des Protests, sich auf die Straße zu kleben und damit den Verkehr zu blockieren, wird in den Medien und von politisch Verantwortlichen immer wieder als illegitim ,gefährlich und undemokratisch gewertet. Da fallen dann Begriffe wie Klima-Terroristen, Klima-RAF, Taliban und so weiter. Und das lässt dann für den Einzelnen vielleicht den Schluss zu: 'Ich führe jetzt hier den Volkswillen aus, ich lasse die spüren, was die Mehrheit von ihnen hält.'

Es gab ja auch immer wieder Diskussionen darüber, ob das Wegzerren von Aktivisten, die sich auf der Straße festgeklebt haben, als Notwehr zu werten ist. Wie sehen Sie das?

Für mich ist das Festkleben auf der Straße immer noch eine Form der Demonstration. Niemand sollte sich anmaßen, die selbst aufzulösen. Das ist Sache der Polizei. In einer Demokratie sollte das selbstverständlich sein. Dass hier von einem Recht auf Notwehr geredet wurde, hat die Situation zugespitzt. Es ist ja nicht so, dass die Aktivisten die Autofahrer angreifen würden. Im Gegenteil erstatten die meist nicht mal Anzeige, wenn sie selbst attackiert werden.

Wie lässt es sich in Zukunft verhindern, dass es zu gewaltsamen Angriffen auf Klima-Aktivisten kommt?

In dem solche Vorfälle konsequent verfolgt und auch bestraft werden. Häufig finden die Angriffe zwar statt, bevor die Polizei eintrifft. Aber meistens gibt es davon Videoaufnahmen, die für die Strafverfolgung genutzt werden können. Unter Demokraten sollte Konsens darüber herrschen, dass diese Selbstjustiz nicht akzeptabel ist.

Vielen Dank für das Interview.

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