Schulunterricht an einer Grundschule in Bayern
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Schulunterricht an einer Grundschule in Bayern

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"Vor den Kopf gestoßen": Kritik an Söder in Grundschuldebatte

In der Debatte über eine Grundschul-Reform wächst die Kritik an der Staatsregierung. Der Lehrerverband BLLV warnt vor Streichungen, der Elternverband ärgert sich über das Machtwort von Ministerpräsident Söder. Auch innerhalb der Koalition rumort es.

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Angesichts schlechter Ergebnisse deutscher Schüler beim Pisa-Test soll es in Bayern mehr Deutsch- und Mathematik-Unterricht geben - aber ohne die Gesamtzahl der Stunden zu erhöhen. Vielmehr sollen die Grundschulen flexibel umschichten dürfen. Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) lehnt diesen Ansatz ab. "Das Streichkonzert hat begonnen! Die einen wollen Musik reduzieren, die anderen Religion, die nächsten Kunst oder Sport aufs Spiel setzen und wieder andere Englisch streichen", beklagt BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann. "Der BLLV sagt dazu Nein! Die Kinder an der Grundschule brauchen mehr! Mehr Bildung, mehr Förderung und mehr Differenzierung."

Laut Fleischmann sollte diskutiert werden, wie ganzheitliche Bildung gelingen könne. "Oder ist es jetzt auf einmal nicht mehr wichtig, dass Kinder neben Lesen, Rechnen und Schreiben auch noch Zukunftskompetenzen erlangen, Demokraten werden, politisch gebildet die Schule verlassen und und und …?" Der BLLV fordere daher mehr Unterricht an der Grundschule. In der Praxis müssten die Schulen vor Ort ohnehin schon seit langem entscheiden, "wo man Schwerpunkte setzen muss, weil es gar keine Chance gibt, diesen- Unterricht vorzuhalten", betont die BLLV-Präsidentin. "Jetzt reicht es."

Söder spricht Machtwort

Die "Pisa-Offensive" von Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler) sieht für alle Grundschulklassen je eine Stunde mehr Deutschunterricht pro Woche vor, für die Jahrgangsstufen eins und vier zudem eine weitere Mathematik-Stunde wöchentlich. Dafür sollen die Schulen individuell entscheiden dürfen, in welchen anderen Fächern Stunden wegfallen. Stolz möchte lediglich beim Sportunterricht eine rote Linie ziehen, in allen anderen Fächern sollen Kürzungen möglich sein, auch beim Religionsunterricht.

Dies wiederum schloss am Montag Ministerpräsident Markus Söder (CSU) kategorisch aus, sprach von einem "Missverständnis in der Kommunikation" und erklärte die Debatte über den Religionsunterricht für beendet: "Bei Religion wird nicht gekürzt." Denn dabei gehe es auch um Werteerziehung, die gerade in den Grundschulen sehr wichtig sei. Kürzungspotenzial sieht Söder in erster Linie beim Englischunterricht an Grundschulen.

Elternverband "entsetzt" über Söders Vorgehen

Der Bayerische Elternverband zeigt sich "entsetzt" über Söders Vorgehen. "Nicht nur wir Eltern fühlen uns durch Söders Machtwort vor den Kopf gestoßen, sondern vermutlich alle, die in den letzten Wochen viel Zeit, Energie und Hirnschmalz darauf verwendet haben, im Zusammenwirken von Schulfamilie, Kultusministerium und Wissenschaft tragfähige Lösungen für die Stärkung der Basiskompetenzen bei gleichzeitiger Förderung der Persönlichkeitsbildung an den Grundschulen zu entwickeln", teilt der BEV-Landesvorsitzende Martin Löwe mit.

Mit seiner "Basta-Entscheidung" lenke Söder ohne Not von den wahren Notwendigkeiten einer Qualitätsverbesserung im Bildungswesen ab und erzeuge Frust bei denjenigen, die sich tagtäglich für Bildung engagierten. In den Gesprächen mit dem Kultusministerium sei Konsens gewesen, dass es eine von oben für alle einheitlich verordnete Lösung nicht geben solle. Der Religionsunterricht dürfe keinen anderen Stellenwert haben als Musik, Kunst, Englisch, Werken und Gestalten oder Sport. "Natürlich ist Religionsunterricht dem Grunde nach persönlichkeitsbildend, das sind die anderen Fächer aber auch", argumentiert Löwe.

Freie Wähler stehen hinter Ministerin Stolz

Trotz des Widerstands aus der CSU verteidigen die Freien Wähler die Vorschläge ihrer Ministerin. "Ich stehe hinter den Plänen von Kultusministerin Anna Stolz", sagte FW-Fraktionschef Florian Streibl dem "Münchner Merkur". Als katholischer Theologe stehe er hinter dem Religionsunterricht und der christlichen Werteerziehung. "Gleichwohl halte ich auch eine Einbeziehung des Fachs Religion in die Flexibilisierung der Stundentafel in der Grundschule für angebracht und sinnvoll."

Der FW-Abgeordnete Alexander Hold betont am Nachmittag in einer Landtagsdebatte über den "Rechtsrutsch", dass Wertevermittlung nicht nur im Religionsunterricht möglich sei. Vielleicht könne in der einen oder anderen Schule durch eine Verfassungsviertelstunde die vermisste Wertevermittlung eher nachgeholt werden "als in drei Stunden Religion pro Woche". Er sei Ministerin Stolz dankbar, dass sie die Stärkung der politischen Bildung zu ihrem Thema gemacht habe.

Spaenle: Religion stärken

Dagegen warnt der Antisemitismusbeauftragte der Staatsregierung, Ludwig Spaenle (CSU), vor einer Kürzung von Religion und Werteerziehung. Dies würde seiner Einschätzung nach dem Zusammenhalt in der Gesellschaft schaden. "Wenn wir die Grundlagen unserer Gesellschaft nicht ausreichend fundieren und in den Klassen und Schulen einüben, würden wir die Quittung später bekommen", warnte Spaenle, der selbst schon Kultusminister war.

Dem CSU-Politiker zufolge muss beides möglich sein: Religion und Werteerziehung erhalten und sogar stärken, zugleich die Kulturtechniken weiter fördern. Wie dies realisiert werden könne und ob dies Auswirkungen auf die Anzahl der Unterrichtsstunden in der Grundschule habe, müsse in der Schulfamilie diskutiert werden.

Audio: Söders Machtwort in der Grundschuldebatte

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