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Pisa-Studie: Deutsche Schüler mit bisher schlechtestem Ergebnis

Deutsche Schülerinnen und Schüler haben im internationalen Leistungsvergleich Pisa 2022 so schlecht abgeschnitten wie noch nie – sowohl beim Lesen als auch in Mathematik und Naturwissenschaften. Die OECD sieht dafür nicht nur einen Grund.

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So schlecht wie noch nie: Bei der Pisa-Studie zum internationalen Vergleich von Lernleistungen haben deutsche Schülerinnen und Schüler im Jahr 2022 die bislang niedrigsten Werte erzielt. Laut den von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Berlin veröffentlichten Ergebnissen verschlechterten sich die Leistungen in den drei untersuchten Bereichen Mathematik, Naturwissenschaften und Lesekompetenz deutlich.

OECD: Corona-Schulschließungen sind ein Grund

Als einen Grund sieht die OECD die Folgen der Schulschließungen in der Corona-Pandemie. Allerdings gebe es in Deutschland wie in vielen anderen Ländern einen auch schon vor der Corona-Krise begonnenen Trend zu schlechteren Schulleistungen. Generell lässt sich der weltweite Leistungsrückgang laut den Studienautoren daher nur teilweise auf die Pandemie zurückzuführen.

In OECD-Staaten waren viele Schülerinnen und Schüler von Schulschließungen betroffen. Trotzdem zeigen die Pisa-Ergebnisse keine eindeutigen Leistungsunterschiede zwischen Ländern mit kurzen und solchen mit langen Schulschließungen. "Spannend ist ja, dass es bei Pisa durchaus Länder gegeben hat, die selbst in der Pandemie weitergekommen sind und ihre Leistungen noch mal deutlich verbessern konnten", sagt Andreas Schleicher, Direktor des OECD-Bildungsdirektorats. Die Pandemie spiele sicher eine Rolle, obwohl es auch andere Faktoren gebe, wie das Disziplinklima in Deutschland: "Wir sehen, dass die Smartphone-Nutzung zum Problem geworden ist."

Zuletzt gab es im Jahr 2018 eine Pisa-Studie. Damals ließen die Leistungen der deutschen Schüler in den untersuchten Bereichen Mathematik, Naturwissenschaften und Lesekompetenz ebenfalls nach. Der Rückgang der Leistungen in den Bereichen Mathematik und Lesekompetenz von 2018 zu den Tests der neuen Studie sei so groß wie der typische Lernfortschritt, den Schülerinnen und Schüler im Alter von etwa 15 Jahren während eines ganzen Schuljahres erzielen, erklärten die Studienmacher.

Gespräch mit Prof. Ludger Wößmann, Leiter Ifo-Institut über PISA-Studie
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Gespräch mit Prof. Ludger Wößmann, Leiter Ifo-Institut über PISA-Studie

Pisa-Studie: Mathematik, Lesen und Naturwissenschaft

An dem 2022 an den Schulen organisierten Pisa-Test nahmen etwa 690.000 Schülerinnen und Schüler im Alter von 15 Jahren aus 81 Ländern teil. In Deutschland waren es 6.116 Teilnehmer. Bei der aktuellen Studie lag der Fokus auf Mathematik. Die Teilnehmenden beantworteten eine Stunde lang Fragen zu Mathematik, während eine weitere Stunde zur Bewertung von Lesen, Naturwissenschaften oder kreativem Denken genutzt wurde. Ein abschließender Fragebogen zu Schule und Privatleben war auch Teil der Studie.

In den Bereichen Mathematik und Lesekompetenz waren die Leistungen der deutschen Schülerinnen und Schüler nahe am Durchschnitt der OECD-Staaten, im Bereich Naturwissenschaften etwas darüber – mit 492 Punkten und damit 69 Punkten hinter Spitzenreiter Singapur. Seit dem diesbezüglichen deutschen Höhepunkt von 524 Punkten im Jahr 2012 ist somit dennoch ein Rückgang von 32 Punkten zu verzeichnen.

In allen drei getesteten Kompetenzbereichen liegen Schülerinnen und Schüler aus Singapur weit vorn. Insgesamt schneiden asiatische Länder und Volkswirtschaften am besten ab. So gehören auch Japan, Südkorea und getrennt betrachtete chinesische Regionen in allen Bereichen zu den leistungsstärksten. Aus Europa holten nur die Schüler aus Estland in allen drei Bereichen Ergebnisse, mit denen sie in der Spitzengruppe landeten.

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Hauptergebnisse der Pisa-Studie 2022 sortiert nach Mathematik. Der OECD-Schnitt liegt bei 472 Punkten in Mathematik.

Fortschritte bei den geschlechtsspezifischen Unterschieden

In Deutschland erzielten Jungen in Mathematik durchschnittlich elf Punkte mehr als Mädchen. Der Anteil leistungsschwacher Schülerinnen und Schüler in Mathematik war bei Jungen (28 Prozent) und Mädchen (31 Prozent) fast gleich. Zehn Prozent der Jungen gehörten zu den besonders leistungsstarken Schülerinnen und Schülern in Mathematik, sieben Prozent der Mädchen. Die Mathematik-Leistungen nahmen zwischen 2012 und 2022 sowohl bei Jungen als auch bei Mädchen in Deutschland gleichermaßen ab.

Im Bereich Mathematik gebe es zwar noch immer geschlechtsspezifische Unterschiede, sagt Andreas Schleicher, Direktor des OECD-Bildungsdirektorats. Aber die seien nicht mehr so gravierend: "In Deutschland wurden in dieser Hinsicht viele Fortschritte gemacht, sodass heute sowohl bei Jungen als auch bei Mädchen die mathematischen und naturwissenschaftlichen Leistungen relativ gleich sind." Dennoch zeige sich hier, dass Mädchen weniger die Naturwissenschaften, Mathematik oder MINT-Fächer als Zukunftsperspektive für sich sehen.

Sozioökonomische Unterschiede: "Traditionell ein Problem in Deutschland"

In Deutschland lagen die Mathematik-Leistungen sozioökonomisch begünstigter Schülerinnen und Schüler 111 Punkte über denen der benachteiligten. Das ist ein größerer Abstand, als der OECD-Durchschnitt von 93 Punkten nahelegen würde. Zwischen 2012 und 2022 blieb dieser Leistungsunterschied in Deutschland stabil.

Für Andreas Schleicher besteht dementsprechend die Aufgabe darin, soziale Unterschiede in Deutschland auszugleichen und Talente zu fördern, insbesondere Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund: "Die sozialen Disparitäten haben einen Einfluss auf die Ergebnisse. Das bleibt eine große Herausforderung für das deutsche Bildungssystem." Immerhin, etwa zehn Prozent der sozioökonomisch benachteiligten Schülerinnen und Schüler erreichten Leistungen im obersten Bereich. Das weise auf schulische Resilienz trotz sozioökonomischer Benachteiligung hin.

Bildungssystem: Beziehung zwischen Lehrern und Schülern verbessern

Die Pisa-Studie nimmt auch das Verhältnis zwischen Schülern und Lehrern in den Blick. Schleicher mahnt an, dass Deutschland hier ebenfalls nicht gut dastehe: "Wir sehen insgesamt, dass Länder, die bei Pisa gut abschneiden und sich sogar verbessert haben, oft eine sehr ausgeprägte Beziehung zwischen Lehrern und Schülern haben, die über den normalen Klassenunterricht hinausgeht." Laut Schleicher fühlen sich die Schüler in solchen Ländern gut verstanden, betreut, unterstützt, aber auch herausgefordert.

So gaben beispielsweise in Finnland mehr als 30 Prozent der Schüler an, dass ihnen jemand von ihrer Schule während der coronabedingten Schulschließungen täglich oder fast täglich hilfreiche Tipps zum Selbststudium gegeben habe. Das ist fast doppelt so viel wie im Durchschnitt der OECD-Länder. Zwar liegt auch Deutschland hier deutlich über dem OECD-Durchschnitt bezüglich der erbrachten Aktionen. Das spiegelt sich aber wesentlich weniger in der Zunahme von Selbstbewusstsein hinsichtlich des eigenständigen Lernens auf der Schülerseite wider.

Ergebnisse der Pisa-Studie mit leichter Verzögerung

Normalerweise führt die OECD die umfassende Bewertung der Kenntnisse und Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern weltweit alle drei Jahre durch. Die aktuelle Pisa-Studie war dementsprechend nach 2018 für das Jahr 2021 geplant, aber aufgrund der Corona-Pandemie um ein Jahr verschoben worden. Die Ergebnisse werden deshalb erst jetzt, im Dezember 2023, veröffentlicht.

Mammutstudien wie Pisa stehen auch immer wieder in der Kritik. So betonten einige Bildungsforschende bereits in Bezug auf frühere Pisa-Studien, dass geringfügige Leistungsschwankungen möglicherweise überbewertet werden könnten. Außerdem sei die inhaltliche Beschränkung der Pisa-Tests problematisch. Bereiche wie Politik, Geschichte oder Kunst und Kultur blieben so unberücksichtigt.

Mit Informationen von dpa und AFP

Deutsche Schülerinnen und Schüler haben bei der internationalen Pisa-Studie so schlecht abgeschnitten wie noch nie.
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Deutsche Schülerinnen und Schüler haben bei der internationalen Pisa-Studie so schlecht abgeschnitten wie noch nie.

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