Die frühere bayerische Verkehrsministerin Kerstin Schreyer am Dienstag vor dem Untersuchungsausschuss Zweite S-Bahn-Stammstrecke im Landtag.
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Die frühere bayerische Verkehrsministerin Kerstin Schreyer am Dienstag vor dem Untersuchungsausschuss Zweite S-Bahn-Stammstrecke im Landtag.

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2. Stammstrecke: Schreyer-Aussage erhöht Druck auf Staatskanzlei

Im U-Ausschuss wirft die frühere Verkehrsministerin Kerstin Schreyer der Bahn Blockade vor. Die Staatskanzlei habe wiederum einen Runden Tisch zugesichert - den gab es aber lange nicht. Für Andreas Scheuer könnte die Aussage juristische Folgen haben.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

Die Aussage der früheren bayerischen Verkehrsministerin Kerstin Schreyer (CSU) vor dem Untersuchungsausschuss zur zweiten S-Bahn-Stammstrecke in München setzt gleich drei Beteiligte weiter unter Druck: Zum einen die Deutsche Bahn, zum anderen aber auch den ehemaligen Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und: die Staatskanzlei um Ministerpräsident Markus Söder (CSU).

Als sie ihr Ministeramt im Februar 2020 antrat, sei schnell klar gewesen, dass es nicht rundläuft mit der zweiten Stammstrecke, sagte Schreyer am Dienstag im Landtag. Was ihr zufolge vor allem fehlte: belastbare Zahlen der Deutschen Bahn zu den gestiegenen Kosten und dem verzögerten Zeitplan. Auf allen Ebenen habe ihr Ministerium versucht, an diese Zahlen zu kommen, sie selbst habe mehrmals beim damaligen Bahnvorstand Ronald Pofalla darum gebeten. "Mein Ministerium hat erarbeitet, wie wir schneller werden können im Prozedere. Das sind die Dinge, die wir tun konnten", sagte Schreyer zu BR24, und weiter: "Am Ende des Tages war die einzige Stelle, die hätte helfen können, die Deutsche Bahn, wenn sie uns die Zahlen zur Verfügung gestellt hätte."

Bahn übermittelt Zahlen - und erklärt sie dann für "gegenstandslos"

Im Herbst 2020 seien dann auf Fachebene sogar Informationen geflossen. Der Inhalt: eine Verzögerung des Projekts von 2028 auf 2033 und eine Kostensteigerung von 3,8 auf fünf Milliarden Euro. Kurz darauf habe sie sich am Rande eines gemeinsamen Termins in Nürnberg mit Pofalla unter vier Augen über die zweite Stammstrecke unterhalten. Bei diesem Gespräch "herrschte mich Pofalla an, dass ich irgendwelche Zahlen in den Raum stellen würde", sagte Schreyer vor dem Ausschuss und bezeichnete den Umgang als "mittelprächtig" und "nicht auf Augenhöhe". Sie sei verunsichert gewesen, habe sich aber noch mal vergewissert, dass es sich um Informationen der Bahn selbst handelte. Dennoch habe Pofalla die Zahlen wiederum kurz darauf für "gegenstandslos" erklärt.

Nach heutigem Stand sind sie das in gewisser Weise auch: Schreyers Nachfolger im Ministerium, Christian Bernreiter (CSU), geht inzwischen von einer Inbetriebnahme "in einem Zeitfenster bis 2037" aus. Die Baubegleitung des Freistaats schätzt die Gesamtkosten aktuell auf 8,5 Milliarden Euro – sofern der Zeitplan nicht abermals gerissen wird.

Schreyer: "Da war ich wohl etwas zu naiv"

Mit dem Verhalten der Deutschen Bahn ging Schreyer vor dem Ausschuss hart ins Gericht: Ihrem Gefühl nach sei die Bahn "eine Blackbox", die mit "Geheimniskrämerei" gearbeitet und "blockiert" habe. Sie dachte, alle wären an einer schnellen Lösung interessiert - "da war ich wohl etwas zu naiv", sagte Schreyer. "Die Bahn hatte diesen Wunsch offenbar nicht, sonst hätte sie die Zahlen früher rausgegeben und alle hätten ihre Hausaufgaben machen können."

Aufgrund der verfahrenen Situation habe sie mehrfach, auch im bayerischen Kabinett, auf einen Runden Tisch mit Staatsregierung, Bund, Bahn und Stadt gedrängt. Sie habe die Zusage bekommen, die Staatskanzlei und Ministerpräsident Söder würden zu einem solchen Spitzengespräch einladen: "Mir wurde versichert, wir machen den Runden Tisch, und daran hab ich geglaubt", sagte Schreyer zu BR24. Tatsächlich gab es ein solches Treffen auch - allerdings erst zwei Jahre später, im September 2022. Da hatte Söder Schreyer bereits vom Amt der Verkehrsministerin entbunden.

Runder Tisch wegen Bundestagswahl bewusst verzögert?

Die Opposition verwies in diesem Zusammenhang auf einen Vermerk in den Akten der Staatskanzlei: Der besagt, dass die Stammstrecke "kein Gewinnerthema im Wahlkampf" sei und sie bis nach der Bundestagswahl "dilatorisch" – also verzögernd – behandelt werden solle. Schreyer dazu: "Ich habe das aus der Zeitung erfahren, das war mir nicht bekannt und beschäftigt mich ehrlich gesagt auch sehr." Sie habe darauf vertraut, dass man einen gemeinsamen Weg gehe.

Um schneller an die Zahlen der Bahn zu kommen, hatte Schreyer laut eigenen Angaben auch beim damaligen Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) auf ein Gespräch zwischen ihr, Scheuer und Pofalla gedrängt. Die Rückmeldung ihres Parteifreunds sei gewesen: "Ich soll mich an die Deutsche Bahn wenden", so Schreyer. Scheuer selbst hatte bei seiner Aussage vor dem Untersuchungsausschuss vor gut zwei Wochen gesagt, er könne sich an Schreyers Anfragen nicht erinnern.

Grüne zeigen Scheuer wegen Falschaussage vor dem Ausschuss an

Die Grünen haben wegen des Verdachts der uneidlichen Falschaussage nun Strafanzeige gegen Scheuer gestellt. "Kerstin Schreyer hat ihn sowohl telefonisch als auch in einem Brief darauf aufmerksam gemacht, dass das Projekt der Stammstrecke sich massiv verzögert und sich massiv verteuern wird. Und hier hat er ausgesagt, dass er all das nicht kennt", sagte der Grünen-Sprecher für Mobilität, Markus Büchler.

Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, Bernhard Pohl von den Freien Wählern, bezeichnete Schreyers Auftritt als "engagiert". Sie haben alles getan, um die notwendigen Informationen von der Bahn zu bekommen: "Aber sie hat selber gesagt: Sie ist gegen eine Wand gelaufen", so Pohl. Vor diesem Hintergrund stelle sich die Frage, warum die Ministerin nicht die notwendige Unterstützung bekommen habe. "Die bayerische Staatsregierung ist nicht irgendeine Bürgerinitiative, die die Bahn einfach so abprallen lassen kann", sagte Pohl zu BR24.

AfD fehlt Transparenz - SPD und FDP kritisiert vor allem Söder

Die AfD stört vor allem, dass niemand Verantwortung für das Desaster übernehmen will. Die Kernforderung sei, Transparenz herzustellen, sagte der verkehrspolitische Sprecher der AfD, Franz Bergmüller: "Das ist mitnichten der Fall. Es wird immer wieder die Schuld auf die Bahn abgeschoben."

Inge Aures von der SPD zielt mit ihrer Kritik vor allem in Richtung Markus Söder. Die Verkehrsministerin habe während ihrer Amtszeit ganz klare Worte an den Ministerpräsidenten gerichtet, "die sind leider verhallt in der Staatskanzlei“. Ähnlich sieht das der FDP-Abgeordnete Sebastian Körber: "Frau Schreyer hat glaubhaft dargelegt, dass sie alles gemacht hat, was man als Ministerin machen kann." Damit sei sie in der Staatskanzlei aber aufgelaufen, Söder habe keine Antworten gegeben und die Sachen liegen gelassen. "Er wollte parallel, wenn wir uns zurückerinnern, in dem Zeitraum Bundeskanzler werden“, sagte Körber.

Kommende Woche sagt Söder vor den Untersuchungsausschuss aus

In der kommenden Woche könnte manche Frage beantwortet werden, warum beispielsweise die Staatsregierung als Auftraggeber die Zahlen von der Deutschen Bahn nicht vertraglich einfordern kann. Und: Warum der Runde Tisch eben erst Jahre später einberufen wurde. Am Montag sollen der aktuelle Verkehrsminister Bernreiter (CSU) und der ehemalige Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) vor dem Untersuchungsausschuss aussagen. Für Donnerstag ist die Vernehmung von Markus Söder geplant.

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