Toter Fuchs am Straßenrand.
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Trauriger Rekord: Über 1200 Wildunfälle im Landkreis Donau-Ries

Meistens passiert es in der Dämmerung, am häufigsten ist Rehwild beteiligt: Über 1200 Mal hat es im Landkreis Donau-Ries 2023 bei Wildunfällen gekracht. Bayernweit zählt die Region zu den Gegenden mit den meisten Unfällen. Warum, ist schwer zu sagen.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

Verkehrsunfälle mit Wildtieren sind im Landkreis Donau-Ries häufig: Im Schnitt kracht es jeden Tag drei Mal. Über 1200 Wildunfälle hat die Polizei heuer aufgenommen - mehr als je zu vor. Die Dunkelziffer liege sicher noch viel höher, vermutet der Donauwörther Polizeisprecher Stephan Rossmanith. Oftmals würde die Polizei gar nicht verständigt, sondern nur der Jagdpächter, und in einigen Fällen gar niemand. Dann bleibe das verletzte oder verendete Tier einfach am Straßenrand liegen.

Seit fünf Jahren jedes Jahr über 1000 Wildunfälle

Über 1200 Wildunfälle im Landkreis Donau-Ries im Jahr 2023 - das bedeutet: Zehn verletzte Personen, zwei davon schwer. Außerdem: 1200 getötete Tiere, massenweise Blechschäden, hohe Kosten und viel Arbeit für Polizei und Jäger. Vor einigen Jahren ist ein Mensch bei einem Wildunfall im Landkreis sogar gestorben. Die über 1200 gemeldeten Unfälle heuer sind ein Rekord. Die 1000er-Marke wird im Landkreis Donau-Ries allerdings bereits seit fünf Jahren immer geknackt. Tendenz: Steigend, meint Rossmanith. Dabei nehmen die Wildunfälle im Landkreis Donau-Ries deutlich mehr zu als etwa im benachbarten, allerdings etwas kleineren Landkreis Dillingen. Vor zehn Jahren kam es im Landkreis Dillingen zu 500 Unfällen, heuer sind es knapp 700. Im Landkreis Donau-Ries waren es 2013 etwa 700 - heuer hat die Zahl die 1200er-Marke überschritten.

Unfälle mit Rehwild am häufigsten

Bei dieser Zahl an Wildunfällen waren bei 879 mit Abstand am häufigsten Rehe beteiligt. Außerdem 149 Feldhasen, 71 Füchse, 36 Dachse, 28 Greifvögel und 28 Wildschweine. Wie die Statistik der Polizei weiter zeigt, gibt es keine Unfallschwerpunkte im Landkreis. Egal, ob vierspurige Bundesstraße oder kleine Gemeindeverbindungsstraße, ob im Norden, Osten, Süden oder Westen: Die Unfälle sind relativ gleichmäßig über den Landkreis verteilt. Zeitlich würden im Sommer, zur Paarungszeit, etwas mehr Unfälle passieren, sowie im Winter, sagt Rossmanith, aber überproportional hohe Ausreißer gebe es auch hier nicht. Die Morgen- und Abendstunden sind häufiger betroffen, also die Zeit der Dämmerung, in der zudem viele Menschen zur Arbeit oder nach Hause fahren.

Polizei: "Runter vom Gas!"

Der wichtigste Tipp, um Wildunfälle zu vermeiden, sei: "Runter vom Gas", sagt Rossmanith. Auch wenn man hundert Stundenkilometer fahren dürfe, mit einem Tempo von 60 oder 70 Stundenkilometer könnten die meisten Unfälle verhindert werden, da ist er sich sicher. Sieht man ein Reh, sollte man sofort hupen und abblenden. Die Rehe bleiben sonst nämlich im Lichtkegel der Autoscheinwerfer stehen. Kommt es doch zu einem Unfall, solle man die Unfallstelle mit Warnblinkanlage und Warndreieck absichern und die Polizei rufen. Die würde dann den zuständigen Jagdpächter informieren. Meldet man einen Unfall nicht, zahlt in der Regel auch keine Versicherung. Warum sich die Rehe so wohlfühlten im Landkreis, das könne er aber auch nicht sagen, erklärt Polizeisprecher Rossmanith. Fakt sei aber: Es passierten immer mehr Unfälle, und das sei gefährlich.

Hohe Unfallzahlen, viel Verbiss - viel Wild?

Dass es im Landkreis Donau-Ries offenbar viel Wild gibt, macht der Donauwörther Stadtförster Michael Fürst neben den hohen Unfallzahlen an weiteren Indizien fest. Zum einen sehe man einfach viele Tiere, wenn man in der Natur unterwegs ist. Oft beobachte er nicht nur Einzeltiere, sondern auch größere Gruppen von Rehwild, und zwar in und außerhalb der Wälder. Zum anderen sei der Verbiss in vielen Waldgebieten im Landkreis zu hoch. Laut dem aktuellen Vegetationsgutachten ist das in sieben von zehn Hegegemeinschaften im Landkreis der Fall. Auch hier schneidet der Nachbar-Landkreis Dillingen besser ab, hier wurde nur in zwei von sechs Hegegemeinschaften zu hoher Verbiss festgestellt.

Im Bayerischen Jagdgesetz ist festgeschrieben, dass die Hege, also die Maßnahmen zur Pflege und zum Schutz der Tiere, so durchgeführt werden muss, dass insbesondere Waldschäden möglichst vermieden werden. Bei der Abschussplanung müsse neben der körperlichen Verfassung des Wildes vorrangig der Zustand der Vegetation, insbesondere die Waldverjüngung, berücksichtigt werden. Ganz gemäß des Grundsatzes "Wald vor Wild", der im Juni in dem von Ministerpräsident Markus Söder sowie Interessensvertretern der Waldbesitzer geschlossenen "Waldpakt" festgelegt wurde.

Wie wächst der Wald? Neues Vegetationsgutachten im Frühjahr

Um den Zustand des Waldes beurteilen zu können, wird alle drei Jahre ein Vegetationsgutachten erstellt. Im Frühjahr 2024 wird es wieder so weit sein. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Forstbehörden gehen dafür durch den Wald und schauen, wie viele Bäume angefressen sind - sprich: wie stark der Verbiss ist. Sie können dabei auch feststellen, ob etwa ein Reh oder ein Hase die Leittriebe angeknabbert hat. Die Knospe des Leittriebes - für die Tiere ein Leckerbissen - ist laut Stadtförster Fürst immens wichtig für das Wachstum des Baumes, da nur diese Knospe die genetische Information für das gerade Wachstum des Baumes nach oben enthält. Sind 35 Prozent der Leittriebe angefressen, ist das laut Gesetz zu viel. Dann wird eine Empfehlung an die Untere Jagdbehörde abgegeben, die Abschusszahlen zu erhöhen. Wie viele Tiere welcher Art in einem Gebiet geschossen werden müssen, wird im Abschussplan festgeschrieben. Auch, wie viele weibliche und männliche Rehe.

Abschussplan laut Abschusslisten erfüllt

Erlegt ein Jäger ein Tier, trägt er das in eine Liste, die Streckenliste, ein. Bei der jährlichen Hegeschau legen die Jäger die Gehörne der männlichen Tiere vor. Die anderen geschossenen Tiere werden in der Liste aufgeführt. Theoretisch hat die Untere Jagdbehörde am Landratsamt die Befugnis, die Liste zu kontrollieren und sich die erlegten Tiere vorlegen zu lassen. Das komme in der Praxis jedoch nur sehr selten vor, heißt es aus dem Amt, da ein konkreter Grund wie etwa der Verdacht auf falsche Angaben bei den Abschusszahlen vorliegen müsse. Laut Landratsamt werden die Abschusszahlen im Landkreis erfüllt, teilweise würden sogar mehr Tiere erlegt.

Gute Lebensbedingungen für Wildtiere im Landkreis

Dass es dennoch viel Wild gibt, liegt auch an den guten Lebensbedingungen für das Wild im Landkreis. Eine Rolle spiele auch der Klimawandel, so Förster Michael Fürst: Die milden Winter sorgten dafür, dass mehr Tiere durchkämen. Die Stürme der vergangenen Jahre haben in den Wäldern Lichtungen geschaffen, wo Pflanzen wie Brombeeren, Himbeeren oder Weideröschen wachsen können. Das Futterangebot sei damit gut und reichhaltig. Grundsätzlich sei damit einfach viel Wild da, das bestätigt auch Christian Wippermann, der als Geschäftsführer in der Fürst Wallerstein Gesamtverwaltung für den Bereich Forst verantwortlich ist. Das Rehwild komme gut zurecht in den Wäldern in der Region, sagt er, das begünstige die Entwicklung. Wie man damit umgehe, müsse man in einem zweiten Schritt überlegen. Einfach mehr zu schießen, sei zu kurz gedacht, sagt er.

Jäger: Wildschutzzäune statt mehr Abschuss

Das sieht auch Albert Rainer vom Donauwörther Jagdverband so. Auch er habe keine eindeutige Erklärung dafür, warum im Landkreis Donau-Ries mehr Unfälle passierten als anderswo. Er könne hier nur Vermutungen anstellen. Wenn etwa neue Straßen gebaut würden an Stellen, wo das Wild gewohnt sei zu wechseln, könne das zu Unfällen führen. Der Landkreis Donau-Ries sei eine der Regionen, die Zuwachs habe. Wegen einiger großen Firmen gebe es auch viele Pendler, die gerade in den unfallträchtigen Zeiten morgens und abends unterwegs seien, betont Rainer. In Gegenden, wo der Wolf vorkomme, sei das Wild außerdem unruhiger. Der Wolf sei ein "24-Stunden-Jäger", schrecke das Wild auf, die Tiere bewegten sich mehr, kreuzten demnach auch mehr Straßen. Gute Erfahrungen hat Albert Rainer etwa mit Wildschutzzäunen gemacht. Die habe man an der B2 bei Monheim aufgestellt, dort würden sie Wildunfälle verhindern. Wichtig sei es auch, in gutem Austausch mit den Landwirten zu sein. Pflanzen, die das Rehwild gerne frisst, sollten nach Möglichkeit am Waldrand und nicht erst hinter einer Straße angebaut werden, erklärt der Jäger. Mehr Abschuss sei unterdessen nicht die Lösung: "Auch wenn wir nur noch fünf Rehe haben, ist das keine Garantie dafür, dass keine Unfälle mehr passieren", sagt der Jäger.

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