Pflegerin mit einem Patienten.
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Tag der Pflege: Alarmruf aus den Kliniken

Zu Beginn der Corona-Pandemie wurde ihnen von Balkonen zugejubelt. Doch gut zwei Jahre danach arbeiten Pfleger immer noch an der Belastungsgrenze. Eine Reportage aus dem Alltag einer Pflegerin.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Am heutigen Internationalen Tag der Pflege erinnern Krankenschwestern und Pfleger an ihre unverändert prekären Arbeitsbedingungen: enorme Verantwortung und hohe Belastung durch Schichtdienste bei geringer Entlohnung. Die Corona-Pandemie hat zwar offenbart, wie wichtig menschenwürdige und professionelle Pflege ist – vom Klatschen auf den Balkonen ist im Alltag der Pflegenden allerdings nur wenig zu spüren.

Verantwortung für Menschenleben

6.00 Uhr morgens in der Unfallklinik Murnau. Für Denise Sulzgruber-Jörg beginnt der Frühdienst auf Station 4 mit der Übergabe. Die Nachtschwester berichtet ihr und zwei weiteren Pflegern, was los war letzte Nacht.

Und sofort wird sie gebraucht: Die Dame mit der Knie-OP aus Zimmer 8 bekommt eine Infusion. Vorsichtig mischt Denise Sulzgruber-Jörg die einzelnen Flüssigkeiten zusammen – hier ist absolute Konzentration geboten, "weil sonst endet das tödlich für die Patienten", erzählt die 28-Jährige.

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Pflegerin Denise Sulzgruber-Jörg

Kleinste Fehler können strafrechtlich relevant sein

Ein Zimmer weiter klagt der Patient über Schmerzen im operierten Bein. Schmerztabletten sollen her. Die gibt es im Medikamentenschrank nebenan. Sie muss genau dokumentieren, wie viele Tabletten sie aus dem weißen Blister nimmt. "Das ist jetzt meine Verantwortung. Da bin ich sehr genau und führe streng Buch, weil wenn da was nicht stimmt, dann stehst du mit einem Bein im Knast."

15 Patientinnen und Patienten sind heute auf Station - Blutdruck messen, beim Mobilisieren helfen, zwischendurch ein Lächeln - Denise Sulzgruber-Jörg ist gefordert.

500 Euro Bonus für die Pflege vs. Tausende Euro für die Automobilbranche

7.30 Uhr, gut eineinhalb Stunden nach Dienstbeginn: Zeit für ein kurzes Frühstück. "Danach ist einfach nicht garantiert, dass man sich noch mal hinsetzen kann, deswegen jetzt oder nie", sagt sie und kratzt den Joghurt aus dem Becher.

Ihr gegenüber sitzt eine Kollegin, die heute für die Essensausgabe zuständig ist. Beide haben sie den Corona-Pflegebonus vom Freistaat Bayern über 500 Euro bekommen – während sich Sulzgruber-Jörgs Freundinnen und Freunde aus der Automobil-Branche über mehrere Tausend Euro Bonus freuen dürften. Eine Enttäuschung. "Ich war immer dem Risiko einer Infektion ausgesetzt. Ich wär auch mal gern ein paar Tage im Homeoffice gewesen und hätte da im Schlafanzug gearbeitet. Die Verhältnismäßigkeit stimmt einfach nicht", findet sie.

Der erste Corona-Tote: Keine Spur von Würde

Immer noch berührt sie die Erinnerung an den Moment, als sie den ersten Corona-Toten in einen Leichensack stecken musste. "Wenn ich da jetzt noch drüber nachdenke, das ist wirklich furchtbar. Man muss richtig kämpfen, diesen Menschen da reinzukriegen. Das hat nichts mehr mit Würde zu tun", erzählt Sulzgruber-Jörg und wirkt sichtlich mitgenommen.

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Pflegedirektorin der Unfallklinik Murnau, Christina Sterk

Personalmangel in der Pflege wird zum Problem

Während der Hochzeit der Pandemie lagen bis zu 15 Corona-Patientinnen und Patienten auf der Intensiv- und Isolierstation der Unfallklinik Murnau. Vor allem die beatmeten Patienten brauchten eine intensive Betreuung von Pflegenden – Personal, das an anderen Stellen ausfiel. Nur durch die hohe Flexibilität der Pflegerinnen wie Denise Sulzgruber-Jörg konnte die Versorgung der Patienten weiter gewährleistet werden.

Dennoch habe die Pandemie die Grenzen des Systems offengelegt, meint die Pflegedirektorin der Unfallklinik Murnau Christina Sterk. Ihrer Meinung nach hat die Uhr bereits fünf nach zwölf geschlagen: "Ich finde es bedauerlich, dass die Politik das Problem nicht erkennt. Denn Personalmangel ist bereits jetzt ein Problem, und es wird noch ein viel größeres werden für die Gesellschaft", meint Sterk.

Zwischen Kapitulation und Leidenschaft für den Beruf

13.30 Uhr, jetzt noch die Übergabe für die nächste Schicht schreiben, damit keine wichtigen Informationen über die Patienten verloren gehen – dann ist auch dieser Frühdienst geschafft.

Für den Blick auf die bayerischen Voralpen hatte Denise Sulzgruber-Jörg auch heute keine Zeit. "Es gibt Tage, an denen ich mich frage: Wofür mach ich das hier eigentlich? Gerade wenn man alleine auf weiter Flur steht, weil wieder jemand krank geworden ist. Es gibt auch Tage, da bekommt man nicht die nötige Wertschätzung, die man sich erhofft", gesteht sie ein. Und trotzdem: "Am Ende des Tages kommt man dann doch wieder darauf zurück, warum man das Ganze angefangen hat: und das ist der Mensch - und eben, um dem Menschen zu helfen."

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