Der Hirsch ist in Bayern in zehn Rotwildgebieten geschützt. Wenn dort Jagd auf Rotwild gemacht wird, dann müssen strenge Auflagen eingehalten werden: Abschussplan, Schonzeiten und Altersquoten.
Bildrechte: picture alliance / Zoonar | Jakub Mrocek

Der Hirsch ist in Bayern in zehn Rotwildgebieten geschützt. Wenn dort Jagd auf Rotwild gemacht wird, müssen strenge Auflagen eingehalten werden.

Per Mail sharen
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Streit um Rotwildgebiete: Brauchen Hirsche mehr Platz?

Hirsche dürfen in Bayern nur in "Rotwildgebieten" leben, außerhalb müssen sie geschossen werden. Was brutal klingt, hat einen Grund: Rotwild richtet große Schäden an. Wie berechtigt ist die Forderung der Jägerschaft nach "Freiheit für den Hirsch"?

Über dieses Thema berichtet: Unser Land am .

Kraftvoll wirft der Hirsch sein Geweih in den Nacken und stößt einen dröhnenden Ruf aus – in der Brunftzeit im frühen Herbst wollen die Hirsche den Weibchen imponieren, um sich zu paaren. Solche Bilder sind es, die viele Jäger faszinieren. "Was in Afrika der Elefant ist, ist bei uns der Hirsch, unser größtes Säugetier", sagt Eberhard Freiherr von Gemmingen-Hornberg, Vizepräsident des Bayerischen Jagdverbands (BJV). Rothirsche, so die korrekte Bezeichnung, gibt es aber nicht überall in Bayern. Sie dürfen nur in zehn "Rotwildgebieten" leben, auf nur 14 Prozent der Landesfläche. Das heißt, außerhalb der Gebiete müssen alle Hirsche, Hirschkühe und Kälber erlegt werden, diese Gebiete sind "rotwildfrei".

  • Zum Artikel: Zu viele Hirsche - Staatswald geht neue Wege im Wildmanagement

Jagdverband: "Barbarischer Akt"

"Dieses Einsperren in Inseln ist ein barbarischer Akt", meint Baron von Gemmingen. Der Bayerische Jagdverband fordert seit Jahren die Auflösung der Rotwildgebiete. "Freiheit für den Hirsch" – so lautet der Slogan.

Der Vorwurf: Die Isolation der Populationen führe zu einer genetischen Verarmung und zu Inzucht und somit zu Krankheiten und körperlichen Deformationen. Vor allem junge Hirsche wandern normalerweise weite Strecken, um ihre Gene weiterzugeben und neue Gebiete zu besiedeln.

Doch warum dürfen sie das in Bayern nicht?

Schälschäden durch Hirsche

Das Problem: Rotwildrudel richten in Bayerns Wäldern und auch auf Äckern und Wiesen große Schäden an, deshalb wurden in den 1950er-Jahren erste "Rotwildbezirke" gegründet.

Michael Kutscher vom Staatsforstbetrieb Bad Brückenau zeigt auf eine Buche mit abgezogener Rinde. Es sind Zahnspuren erkennbar. "Das ist ein frischer Schälschaden", sagt der Forstbetriebsleiter. Fehlt die Rinde, dringen Pilze ein, der Baum fault und stirbt. Auch die Nachbarbäume haben riesige Wunden, am Waldrand sind junge Buchen zu bonsaiartigen Büschen zurechtgestutzt – ein Werk der Hirsche. "So kann kein Zukunftswald aufwachsen."

Auch der Bayerische Waldbesitzerverband und der Bayerische Bauernverband (BBV) wehren sich deshalb vehement dagegen, dass die Rotwildgebiete aufgelöst werden. "Die Landwirte und Waldbauern stehen vor immensen Herausforderungen", sagt Philip Bust, BBV-Wildexperte. "Eine Auflösung von Rotwildgebieten würde draußen zu erdbebenartigen Stimmungen führen."

Im Video: Wie sinnvoll sind Reservate für Hirsche? Diskussion um Jagd auf Rotwild | Unser Land

Ministerium unter Druck

In vielen Rotwildgebieten führen die massiven Schäden bereits heute zu Auseinandersetzungen zwischen Jägern und Grundbesitzern. Das bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten steht unter Druck, denn andere Bundesländer wie Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Sachsen haben ihre Rotwildgebiete abgeschafft. In Baden-Württemberg arbeitet man an einem Rotwild-Managementplan, der es zumindest männlichen Tieren erlauben soll, in jagdfreien Korridoren zwischen den Gebieten zu wandern.

Und Bayern?

Rotwild-Gutachten für Bayern

Der Freistaat hat nun ein bayernweites Rotwild-Gutachten in Auftrag gegeben. In den nächsten zwei Jahren werden Wildbiologen der TU München insgesamt 3.000 Genproben von Hirschen aus allen Rotwildgebieten untersuchen. Die meisten Gebiete liegen in großen Wald- und Bergregionen, wie Alpen, Spessart, Fichtelgebirge und Bayerischer Wald. Hier können die Tiere große Populationen bilden und wahrscheinlich auch nach Österreich, Tschechien oder Hessen wandern.

Es gibt aber seit jeher eine Art "Problemgebiet": die Isarauen bei Freising. In Bayerns kleinstem Rotwildbezirk leben nur etwa 300 Tiere, umgeben von Autobahn, Gleisen und Flughafen. "Die Isarauen werden spannend", sagt Andreas König, Studienleiter und Professor am Lehrstuhl für Tierernährung. "Das Rotwild müsste durch München laufen, was es wohl nicht macht."

Auch im rotwildfreien Gebiet gibt es Hirsche

Ist das Rotwild von Inzucht und Ausrottung bedroht? Die Rotwildstudie der TU München wird Antworten geben, 2026 sollen die Ergebnisse vorliegen. Was allerdings nicht erfasst wird, sind Zahlen von Hirsch-Populationen in den rotwildfreien Gebieten. Denn es ist ein offenes Geheimnis, dass Hirsche auch dort leben, wo sie eigentlich gar nicht leben dürften.

"Es wird nicht alles geschossen im rotwildfreien Gebiet", sagt Jäger Eberhard von Gemmingen-Hornberg aus der nördlichen Oberpfalz. Allein im rotwildfreien Teil des Landkreises Tirschenreuth schätzt er 750 Tiere. Sie kommen von Tschechien über die Grenze. Die Bestände nehmen eher zu.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht's zur Anmeldung!