Schweinfurts Stadtbild ist geprägt durch die ansässige Großindustrie.
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"SOS Kugellagerstadt": Industriestandort Schweinfurt in Gefahr?

Der Strukturwandel in der Industriestadt Schweinfurt nimmt Fahrt auf. Die Märkte sind dynamisch, die Bedingungen unsicher, die Betriebe bauen Arbeitsplätze ab. Die IG Metall fürchtet um den "industriellen Kern" der Stadt – und geht in die Offensive.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Mainfranken am .

Es ist ein beachtliches Aufgebot an Vertreterinnen und Vertretern von Gewerkschaft und Betriebsräten, das in der Schweinfurter Geschäftsstelle der IG Metall zum Pressegespräch lädt. Die beiden Bevollmächtigten und der Sekretär der Gewerkschaft sind da, dazu die Betriebsräte von Bosch Rexroth, Schaeffler, SKF und ZF – also der Großbetriebe, die zusammen die Identität Schweinfurts als Industriestadt prägen. Und alle, die sich hier versammelt haben, eint eine Sorge: Schweinfurt als Industriestandort sei in Gefahr.

Stolze Vergangenheit – und die Zukunft?

"Die zentrale Frage ist doch: Wie viel Zukunft hat die Industriearbeit in Schweinfurt?", sagt Thomas Höhn in seinem Eröffnungsstatement. Hinter dem Ersten Bevollmächtigten der IG Metall Schweinfurt hängt ein Plakat an der Wand. "SOS Kugellagerstadt" steht darauf in roter Schrift. Das Logo einer Kampagne, mit der die Gewerkschaft angesichts der gegenwärtigen Herausforderungen in die Offensive gehen will.

Die Vergangenheit von Schweinfurt als Industriestadt ist durchaus stolz. Im nächsten Jahr wird der ZF-Standort Schweinfurt 130 Jahre alt. Hier wurden die Wälz- und Kugellager erfunden und in großen Stückzahlen produziert, hier schlug die Geburtsstunde des modernen Fahrrads. Auch die Gegenwart kann sich sehen lassen. Aktuell arbeiten rund 27.000 Menschen in Betrieben der Metall- und Elektroindustrie, bei einer Einwohnerzahl von rund 54.000. Aber was bringt die Zukunft?

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Logo der IG Metall-Kampagne "SOS Kugellagerstadt"

Stellenabbau und Verlagerung

Gewerkschafter und Betriebsräte befürchten, dass der "industrielle Kern" Schweinfurts ausbluten könnte. Bei allen vier Großbetrieben ist der Abbau von Arbeitsplätzen angekündigt oder bereits im Gange. Beim Wälzlagerunternehmen SKF schwächelt die Windkraftsparte, in die das Unternehmen viel Geld investiert hat. Hohe Energiekosten machen SKF zusätzlich zu schaffen. Das Unternehmen hatte zuletzt bestätigt, die Belegschaft am Standort Schweinfurt von 4.000 Mitarbeitenden bis Ende 2025 auf voraussichtlich 3.000 zurückzufahren.

Bosch Rexroth hat angekündigt, am Standort Schweinfurt und im Werksteil Volkach bis Ende 2028 rund 240 Stellen abzubauen. Am ZF-Standort Schweinfurt rechnet die IG Metall mit einem "tröpfchenweisen Abbau" bis zum Jahr 2030 von mehr als 2.000 Arbeitsplätzen und befürchtet "eine erhebliche Verschiebung der Wertschöpfung im Bereich der Elektromobilität nach China".

ZF verweist auf hohe Investitionen in Schweinfurt

In einer Reaktion hatte das Unternehmen darauf verwiesen, fast 360 Millionen Euro in den Standort Schweinfurt zu investieren, unter anderem in den Umbau einer Produktionshalle für Elektromotoren. Schweinfurt sei das weltweite "Leitwerk" der ZF-Gruppe für E-Motoren. Der Stellenabbau wird allerdings auch bestätigt, weil für die Produktion von E-Motoren weniger Mitarbeitende benötigt werden als für Verbrenner.

"Freiwilligenprogramm" bei Schaeffler

Auch bei Schaeffler wird Personal abgebaut. Petra Blumenau vom Schweinfurter Schaeffler-Betriebsrat teilt beim Pressegespräch mit, dass 50 Mitarbeitende "aus dem indirekten produktionsnahen Bereich" über ein "Freiwilligenprogramm" das Unternehmen verlassen.

Die Zahl sollte ursprünglich bei mehr als 100 Personen liegen, so Blumenau. Das sei aber verhindert worden, indem sich rund 700 Schaeffler-Beschäftigte im betroffenen Bereich bereit erklärt hätten, bis Jahresende nur noch 32 Stunden in der Woche zu arbeiten – und damit auch weniger zu verdienen.

"Stiller Prozess" durch Altersteilzeit

In den Unternehmen, berichten die Betriebsräte, treibe die Entwicklung viele Beschäftigte um. Weniger aus Sorge um den eigenen Job, denn bisher werden die Stellen vor allem über Altersteilzeit abgebaut, also ohne betriebsbedingte Kündigungen. Stattdessen würden sich viele fragen, ob denn auch ihre Kinder oder Enkel künftig noch eine Arbeit in der Schweinfurter Industrie bekommen könnten.

SKF-Betriebsrat Norbert Völkl beschreibt es so: "Der Arbeitsplatzabbau ist bisher ein stiller Prozess, der sozialverträglich ist mit guten Konditionen. Aber es gibt eben auch die Frage: Wie groß wird denn der Standort am Ende des Tages noch sein? Und wie überlebensfähig?"

IG Metall sieht "moralische Verantwortung": Aktionstag am 18. April

Nach Ansicht von Thomas Höhn läuft der "stille Prozess" des Arbeitsplatzabbaus bisher zu still ab. Der IG Metall-Bevollmächtigte will mehr Aufmerksamkeit für das Thema erreichen. "Momentan ist es uns viel zu ruhig und wir wollen da auch mal Störenfried sein. Die Unternehmen sind hier in Schweinfurt groß geworden und haben auch eine moralische Verantwortung für den Standort." Moral sei zwar keine betriebswirtschaftliche Größe, so Höhn, aber es dürfe "nicht nur um Margenoptimierung" gehen.

Für Aufmerksamkeit soll ein Aktionstag sorgen, den die IG Metall für den 18. April angekündigt hat. Alle Beschäftigten der Schweinfurter Betriebe seien dazu aufgerufen, sich am Vormittag zu einer Kundgebung auf dem Marktplatz zu versammeln. Man wolle ein Signal senden, das die Kommunalpolitik und auch die Bundespolitik erreiche, so Thomas Höhn. Denn "statt Schuldenbremse und Sparpaketen" brauche es "ambitionierte Investitionen und verlässliche Rahmenbedingungen" für die Industrie.

"Schulterschluss" und Gespräche

Für SKF-Betriebsrat Norbert Völkl braucht es außerdem einen "Schulterschluss" zwischen Beschäftigten, Gewerkschaften, Unternehmen und der Politik. Das Gegeneinander und "der politische Dauerwahlkampf" sollten aufhören. Man müsse an einem Strang ziehen, um Deutschland als Industriestandort zu stärken.

Ansätze für einen Austausch scheint es zu geben. Sebastian Schierling, der Betriebsratsvorsitzende von Bosch Rexroth am Standort Schweinfurt, kündigt Gespräche mit der Konzernleitung an. "Jetzt gibt es diese Gespräche wieder und die große Frage ist: Können wir neue Produkte ansiedeln, was stellt sich der Arbeitgeber für den Standort vor?" Und Oliver Moll von ZF will demnächst in einem Gespräch mit Schweinfurts Oberbürgermeister Sebastian Remelé (CSU) ausloten, "wie wir dafür sorgen können, dass Schweinfurt noch attraktiver wird, für Unternehmer und für Mitarbeiter".

Dieser Artikel ist erstmals am 10.04.2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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