Florian Herrmann (l.), Chef der bayerischen Staatskanzlei, Markus Söder (M.), bayerischer Ministerpräsident, und Arye Shalicar, Pressesprecher der israelischen Armee, stehen im Kibbuz Nir Oz in einem zerstörten Haus.
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Florian Herrmann (l.), Chef der Staatskanzlei, Markus Söder (M.), Ministerpräsident, und Arye Shalicar, Pressesprecher der israelischen Armee

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Söder besucht zerstörten Kibbuz: "Mit einer solchen Gewalt"

Zutiefst beeindruckt zeigt sich Bayerns Ministerpräsident in Israel. Der Besuch in einem zerstörten Kibbuz entlockt Markus Söder neben den offiziellen Äußerungen vor allem ein Wort: "krass".

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Markus Söder (CSU) stapft über Schutt und zerbeulte Dachblechplatten. Er weicht einem verkohlten Dachbalken aus, der in den Gehweg ragt. Es knirscht und quietscht leise, wenn Schuhe auf Glasscherben treten. Wo mal Fenster waren, klaffen schwarze Löcher, eine herausgerissene Haustür liegt am Boden. "Krass", murmelt der bayerische Ministerpräsident. Und nochmal: "krass".

Er folgt einem Mann im grünen Langarmshirt durch den Kibbuz Nir Oz. 400 Bewohner lebten hier einst, bis am 7. Oktober Hamas-Terroristen kamen und mehr als hundert Menschen ermordeten oder entführten. Der Mann im grünen Shirt ist Amit Rubin, 58 Jahre. Er zeigt auf ein Haus: Hier versteckten sich an jenem Samstag zwei Ehepaare, ein altes und ein sehr junges.

Terroristen im Wohnzimmer

Zuerst kauerten sie stundenlang im Sicherheitsraum, während im Wohnzimmer Terroristen aßen und tranken. Als der Wohnbereich brannte, flohen die vier durchs Fenster, verbargen sich im Garten. Stunden später wurden sie gerettet. Ein Raunen geht durch Söders Delegation, als Rubin sagt, wer die Familie war: seine Eltern, seine Tochter und ihr Mann. Der Pflanzenkübel, hinter dem seine Tochter sich wegduckte, steht noch an Ort und Stelle.

Rubin erzählt einige solcher Geschichten. Nur wenige enden mit Rettung. Nir Oz liegt eineinhalb Kilometer vom Gazastreifen entfernt, acht Stunden war der Kibbuz in der Hand der Hamas. Gegründet wurde er 1955, mit Landwirtschaft verdienten die Bewohner ihr Geld. Hauptprodukt: Spargel. Dass es mal ein schöner, fast idyllischer Ort war, kann man sich leicht vorstellen: Zwischen Gerümpel und Ruinen liegt grüner Rasen, den Rand der Ortschaft zieren prächtige Kakteen, Papageien fliegen kreischend umher.

Die Anlage erinnert an eine Feriensiedlung. Tatsächlich kamen ja Leute zur Erholung: Die deutsche Touristin Carolin Bohl, 22 Jahre alt, war mit ihrem Freund in Nir Oz, als die Terroristen anrückten. Beide wurden ermordet. Auf dem Gartensofa vor dem Haus liegt noch eine Trinkflasche. "Die Idee von einem Kibbuz ist Frieden", sagt Markus Söder.

Söder: "Total bedrückend"

Der Ministerpräsident, mit dem beigefarbenen Militärhelm noch größer als sonst, muss sich bücken, ein Stahlträger hängt aus dem Dach eines ausgebrannten Häuschens. "Total bedrückend", sagt er. "Der Vandalismus, die Radikalität, die Gewalt, diese Brutalität, das Zerstören-Wollen."

Keine Frage, Söder ist wirklich erschüttert. Manchmal lässt er sich anmerken, wenn er Besichtigungen eher als Pflichttermine empfindet. Dann spult er solche Dinge korrekt, aber unverbindlich ab. Hier nicht. Er lässt sich Zeit. Und fragt: Wie es sein konnte, dass die Sicherheitskräfte erst nach acht Stunden zu Hilfe kamen. Arye Shalicar, Sprecher der israelischen Armee, antwortet, man habe zwei Fehler gemacht: zum einen unterschätzt, dass die Hamas eine solche Attacke überhaupt ausführen würde, zum anderen die Grausamkeit nicht für möglich gehalten. In der Ferne, Richtung Gazastreifen, hört man Detonationen.

Außenminister: Söder ein "wahrer Freund Israels und der Israelis"

Am Ende der Führung sagt Söder, es sei "jetzt wichtig zu zeigen, dass man an der Seite Israels steht". Dieses Bekenntnis prägt Söders ganzen Israel-Besuch. Auch in Yad Vashem hatte der CSU-Chef es abgegeben. Hier, in der staatlichen Holocaust-Gedenkstätte, ist er nun das dritte Mal, wie er betont. "Hier erlebt man die Geschichte, die unglaubliche Vernichtung der Juden im Holocaust." Nie wieder dürfe dergleichen passieren. Und deshalb: Bayern stehe "fest an der Seite Israels. Für immer."

Yad Vashem: Anspielung auf Aiwanger?

Ein Bekenntnis, das keinen Zweifel zulassen soll. Dani Dayan hegt trotzdem welche. Der Leiter von Yad Vashem sagt, neben Söder sitzend, es beunruhige ihn, dass Antisemitismus-Vorwürfe, "seien sie berechtigt oder nicht, einem Politiker in Ihrem Land einen Zuwachs an Wählerstimmen bringen". Eine Anspielung auf Hubert Aiwanger und die Flugblattaffäre?

Markus Söder hatte schon vor seiner Abreise betont, die Sicherheit Israels sei "bayerische Staatsräson". Belächelt wird das keineswegs. Wen man auch fragt, der Besuch des CSU-Chefs ruft bei den Gastgebern Dankbarkeit hervor. "Very good, thank you", sagt der junge Soldat an einer Tankstelle, nachdem man ihm erklärt hat, wer da zu Besuch ist.

Außenminister Eli Cohen, der Söder als Erster empfangen hatte, lobte, der Bayer sei "ein wahrer Freund Israels und der Israelis".

Druck auf Israel wächst

Weltweit schrumpft die Zahl dieser Freunde derzeit. Der internationale Druck auf Israel wächst wegen des Leids und der zivilen Opfer im Gazastreifen. Die Vereinten Nationen fordern einen Waffenstillstand. Für den Außenpolitiker aus der bayerischen Staatskanzlei wäre das zwar grundsätzlich gut. Aber nicht zum jetzigen Zeitpunkt. "Blauäugigkeit" wäre falsch. Es sei richtig, dass Israel den Terrorismus "erfahnden, ahnden und auslöschen will".

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