Ulrike Scharf, bayerische Staatsministerin für Arbeit, Soziales und Familie, aufgenommen Anfang April 2022.
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Ulrike Scharf, bayerische Staatsministerin für Arbeit, Soziales und Familie, aufgenommen Anfang April 2022.

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Scharf zu Kitas: "Sind hintendran, weil Bedarf horrend wächst"

Geringere Standards für Kita-Fachkräfte, mehr Geld für die Tafeln, vorerst keine Ausweitung der CSU-Frauenquote – und bald ein "Paket" mit eigenen Schwerpunkten: Im BR24-Interview spricht Bayerns neue Sozialministerin Ulrike Scharf über ihre Pläne.

BR24: Frau Scharf, CSU-Generalsekretär Stephan Mayer ist gerade zurückgetreten. Hat Parteichef Markus Söder ein Problem in Sachen Personalverschleiß?

Scharf: Das sehe ich nicht so. Es gibt auch Leute, die sehr lange an seiner Seite bleiben und arbeiten. Generell gehören Personalwechsel dazu – da geht es auch um Kompetenz und Schlagkraft. Der Fall Mayer scheint mir vor allem eine persönliche Tragödie zu sein.

Mit Ihrer Ernennung verbindet Söder eine konkrete Hoffnung: mehr sozialpolitische Handschrift für die Christlich-Soziale Union. Sie verkörpern jetzt sozusagen das S im Parteinamen. Was haben Sie konkret vor?

Sozialpolitik ist Grundlagen- und Zukunftspolitik. Wir machen so viel Gutes – aber vieles davon erfahren die Leute einfach nicht. Ein Beispiel: Ich war unlängst bei einem von uns geförderten Projekt für die Nachsorge von Frühgeborenen, das ist inzwischen ein bayernweites Netz. Mehr Öffentlichkeitsarbeit ist also wichtig. Und gegenüber der Bundesregierung werde ich klar adressieren, was aus unserer Sicht nicht gut läuft. Nehmen Sie das sogenannte Entlastungspaket, das alle Rentnerinnen und Rentner vergessen hat.

Eigene Schwerpunkte: "Wir arbeiten an einem Paket"

Bleiben wir in Bayern. Kleine, sinnvolle Projekte sind wichtig und schön. Aber brauchen Sie nicht ein großes Paket, einen Ulrike-Scharf-Aufschlag als neue Sozialministerin?

An einem solchen Paket arbeiten wir gerade. Aber die Haushaltsverhandlungen für 2023 beginnen erst, natürlich hoffe ich auf eine weitere Etat-Erhöhung für mein Ministerium. Übrigens werden auch die Folgen des Kriegs in der Ukraine – zum Beispiel deutlich höhere Energiekosten – wichtige Aufgaben für die Sozialpolitik.

Ihr Ministerium ist zuständig für die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse. Das ist zentral für die Integration – derzeit besonders für geflüchtete Menschen aus der Ukraine. Wie wollen Sie schneller werden?

Zunächst mal habe ich großes Verständnis dafür, dass man nicht als Erstes sein Abschlusszeugnis einpackt, wenn man fliehen muss. Ich bin für praktische Lösungen: Man kann auch mit einem Gutachten oder in einem Kurz-Praktikum nachweisen, dass man einen Beruf beherrscht. Was ich mir aber wünsche: Es sollte schon bei der Registrierung auch die berufliche Qualifikation abgefragt werden. Eine zusätzliche Frage – Bäcker, Metzger, Lehrerin oder ein anderer Beruf – wäre sehr hilfreich.

Immer mehr ukrainische Kinder müssen oder sollen auch in Bayerns Kitas. Dabei ist der Fachkräftemangel dort schon eklatant.

Klar ist: Wir werden auch Geflüchtete aus der Ukraine brauchen, um die zusätzlichen Kinder zu betreuen. Auch da bin ich für pragmatische Lösungen. Aber wir sollten jetzt wegen der ukrainischen Kinder nicht den Betreuungsschlüssel verändern.

Aber in Bayern kommen auf eine Erzieherin knapp zwei Kinder weniger als im Bundesdurchschnitt.

Einfach mehr Kinder pro Fachkraft oder Erzieherin, das wird nicht gehen. Auch im Sinne der Betreuungsqualität. Aber wir brauchen eine Diskussion über Standards: Wenn eine ausgebildete Kinderpflegerin zehn Jahre Kita-Berufserfahrung mitbringt – warum kann sie dann nicht mit einer Zusatzqualifikation Fachkraft werden? Gut ist jedenfalls, dass die Ausbildung von fünf auf vier Jahre verkürzt wurde.

Reicht das? Verdi spricht von mindestens 200.000 fehlenden Erzieherinnen und Erziehern im Freistaat.

Wir sind hintendran, aber nur, weil der Bedarf so horrend wächst. Viel wurde schon erreicht. Vor zehn Jahren hatten wir rund 34.000 Fachkräfte. Jetzt sind es über 56.000. Rechnet man die Ergänzungskräfte dazu, sind wir von rund 64.000 auf über 110.000 gekommen. Aber klar: Mit dem Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder ab 2026 wird der Bedarf noch weiter steigen.

Ist das Ziel überhaupt zu schaffen?

Es wird sportlich, aber ich bin zuversichtlich.

Erzieherinnen-Gehalt: "Lohnfindung nicht Sache des Staates"

Wie wäre es mit deutlich mehr Gehalt?

Die Lohnfindung ist Sache der Tarifparteien, nicht des Staates. Auch bei kommunalen Trägern.

Jeder Kita-Platz wird vom Freistaat mit 100 Euro pro Monat bezuschusst – unabhängig vom Einkommen der Eltern. Ist das gerecht?

Das Geld aus dem Gute-Kita-Gesetz ist unter anderem für die finanzielle Entlastung der Eltern vorgesehen. So verwenden wir es auch. Das restliche Geld nutzen wir zur Qualitätsverbesserung.

Es gibt noch weitere Zuschüsse für Eltern – unter anderem das bayerische Familiengeld: 250 Euro pro Monat für Kinder im zweiten und dritten Lebensjahr. Bleibt dieses Familiengeld dauerhaft?

Ich werde mich dafür einsetzen, auch wenn knapp 770 Millionen Euro jährlich natürlich nicht ganz einfach zu stemmen sind. Das Familiengeld zeigt, wie ich mir unsere Politik vorstelle: direkt, unkompliziert.

Stichwort Lebensmittel-Tafeln: Die brauchen in Bayern mehr Unterstützung vom Freistaat als die bisher 100.000 Euro jährlich. Zuletzt haben Sie kurzfristig zusätzliche 200.000 Euro angekündigt. Kommt da noch mehr?

Die 200.000 Euro sind einmalig, damit die Tafeln Lebensmittel kaufen können. Das Überangebot ist ja aufgrund des russischen Kriegs deutlich geschrumpft. Wir werden da nochmal nachlegen. Ob man grundsätzlich die jährliche Fördersumme erhöhen kann, müssen wir sehen.

Ministerien: "Kann über Frauenanteil nicht jubilieren"

Frau Scharf, Söders Kabinettsumbildung im Februar hat Sie wieder zur Ministerin gemacht. Gleichzeitig hat sich durch die Rochade der Frauenanteil bei den CSU-geführten Ministerien weiter verringert – am Anfang der Legislatur herrschte noch Parität, jetzt sind es sieben Männer und vier Frauen. Wie sehr ärgert Sie das als Vorsitzende der Frauen-Union?

Natürlich kann ich über den Frauenanteil im Kabinett nicht jubilieren. Das gilt aber noch mehr für die Freien Wähler – drei Minister, keine Ministerin.

Die CSU will für die Landtagswahl 2023 ihre Bezirkslisten wieder paritätisch besetzen – fordern Sie, dass es jeweils mit einer Frau losgehen soll?

Diese Frage sollten wir nicht in den Mittelpunkt stellen. Die regionalen Spitzenkandidaten, also die Listenführer, müssen das Potenzial für ein gutes Wahlergebnis haben. Das ist mal eine Frau, mal ein Mann. Wichtig ist, dass wir Frauen auf der Liste haben. Und dass genug Frauen für Direktmandate kandidieren. Ich selbst habe mich 2013 als Direktkandidatin CSU-intern gegen einen Mann durchgesetzt und bin wieder in den Landtag gekommen.

Eine Frauenquote von 50 Prozent für CSU-Kreisvorstände ist beim Parteitag vor zweieinhalb Jahren gegen den Willen der Parteispitze durchgefallen. Zeit für einen neuen Anlauf?

Beim Parteitag in diesem Oktober ganz sicher nicht. Aber irgendwann wird es Zeit sein. Zuletzt gab es übrigens schon eine Verbesserung, in einigen Kreisverbänden jedenfalls.

Nächster Quoten-Anlauf, wenn Bayern die erste CSU-Ministerpräsidentin hat?

(lacht) So lange werde ich wahrscheinlich nicht warten.

Ulrike Scharf (CSU) ist seit Ende Februar Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales. Von 2014 bis 2018 war sie bayerische Umweltministerin – damals noch unter Ministerpräsident Horst Seehofer. Die 54-Jährige ist auch Landesvorsitzende der Frauen-Union, deren Mitglieder rund zur Hälfte auch der CSU angehören.

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