Eine Mann geht an einem Wandgemälde mit Putin vorbei.
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Der Krieg in der Ukraine hat die Corona-Pandemie als bestimmendes Thema in vielen Querdenken-Chats abgelöst.

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Putin-Fans im bayerischen Querdenker-Milieu

In den bayerischen Chatgruppen der Querdenken-Bewegung wird nach BR-Recherchen russische Kriegspropaganda weiterverbreitet – und stößt auf Anklang. Viele sehen in Putin einen Kämpfer gegen die westliche Elite, der die Ukraine entnazifizieren will.

"Innerhalb weniger Stunden werden die Narrative der Klimahysterie und des Corona-Wahns gewechselt und durch das neue alte Feindbild des 'bösen Russen' installiert, womit sie quasi die neuen Ungeimpften werden", heißt es in einer oft geteilten Nachricht in bayerischen Querdenken-Gruppen. Von "Programmierung auf Knopfdruck" ist dabei die Rede. Verbreitet wurde die Nachricht beispielsweise in einem Telegram-Kanal aus Schwaben.

Derlei Nachrichten finden sich gerade vermehrt in bayerischen Chatgruppen aus dem Querdenken-Milieu, das zeigen BR-Recherchen. Dass der Krieg in der Ukraine die Corona-Pandemie als bestimmendes Thema abgelöst hat, belegt auch eine Datenanalyse der Süddeutschen Zeitung. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz (BLfV) sieht in dem Krieg ein "dominierendes Thema" in den Chatgruppen, dort werde Russland teils "als Opfer einer Diffamierungskampagne und Verschwörung des Westens dargestellt, einige benennen Russland auch als Aggressor", teilt Florian Volm vom BLfV dem Bayerischen Rundfunk mit.

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Anhänger fordert: "Putin befreie uns"

Nach BR-Recherchen werden zunehmend Inhalte aus prorussischen Telegram-Kanälen in Chats von bayerischen Querdenken-Gruppen verbreitet. Auch Russlands Präsident Wladimir Putin wird zum Heilsbringer beschworen. In einer Ansbacher Chatgruppe heißt es in einer Nachricht: "Wladimir Putin, befreie unser Volk vom BRD-Verwaltungskonstrukt".

In den prorussischen Nachrichten geht es vor allem um die Verklärung und Verharmlosung der russischen Aggression, die vom Kreml als "Spezialoperation" bezeichnet wird. In einer gesamtbayerischen Chatgruppe wird behauptet: "Der 25. Tag der Spezialoperation der russischen Streitkräfte in der Ukraine war geprägt von zahlreichen Angriffen ukrainischer Nationalisten in Donezk".

Zudem seien angeblich mehrere "Führer von Naziverbänden" durch russische Einheiten festgenommen worden. In anderen Nachrichten wird kolportiert, Putin wolle die Ukraine "entnazifizieren". Ein einflussreicher Akteur aus der Schweiz, den Anmelder der Corona-Proteste in Bayern immer wieder um Mobilisierungshilfe bitten, verbreitete in seinem Kanal ein Video, das einen Raketenabschuss zeigen soll. Er kommentierte das mit den Worten "Thermobarische Raketenwerfer im Einsatz. From Russia with LOVE an den Tiefen Staat". Seinem deutschsprachigen Kanal folgen mehr als 53.000 Nutzerinnen und Nutzer.

Hybride Kriegsführung auch in bayerischen Chatgruppen

Durch Putins Agieren würde es "eng werden für alle des Tiefen Staates", heißt es in einer anderen Nachricht. Der Verschwörungsmythos von angeblichen illegitimen Machtstrukturen im Staat wird seit Beginn der Pandemie in der Szene weiterverbreitet. Solche Nachrichten in bayerischen Chatgruppen passen in das Konzept von Putins hybrider Kriegsführung.

Dadurch werden die eigenen militärischen Absichten durch Desinformation verschleiert und die Grenze zwischen Krieg und Frieden verwischt. Russische Staatsmedien tragen die offizielle Linie des Kremls dann in die Welt hinaus – auch auf Deutsch. Die vor allem im Westen gezeigten Ansprachen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj wiederum würden sich an "alle Marionetten richten, die diese Kriegspropaganda anfeuern", schreibt ein Nutzer in einem bayerischen Querdenken-Chat.

Narrativ einer faschistischen Ukraine verbreitet

Anfang März veröffentlichte das belarussische Oppositionsmedium Nexta TV bei Twitter ein Bild, das Waffenlieferungen der NATO an das Asow-Regiment zeigen soll. Das paramilitärische Freiwilligenbataillon gilt als ultranationalistisch und rechtsextrem. Deutlich erkennbar auf den von Nexta verbreiteten Bildern ist das Symbol des Regiments auf den Uniformen der Soldaten: eine Wolfsangel-Rune. Ein Wappen, das auch von einer Panzerdivision der Waffen-SS verwendet wurde und auch heute ein beliebtes Symbol bei Neonazis ist.

Der politische Arm des Regiments, die Asow-Bewegung, verfügt auch über Kontakte zu deutschen Neonazis, beispielsweise zur Kleinpartei "Der dritte Weg". Die UN-Menschenrechtsorganisation OHCHR wirft dem Regiment vor, 2014 Kriegsverletzungen begangen zu haben. Schon damals wurde die Miliz in der westlichen Öffentlichkeit kritisch hinterfragt. Beispielsweise wurden deren Soldaten von der FAZ als "Zweifelhafte Maidan-Kämpfer" bezeichnet. Die Existenz des Asow-Regiments ist auch Thema in den bayerischen Querdenken-Chatgruppen und dient als Beleg für eine angeblich faschistische Ukraine.

Rechtsextremes Asow-Regiment

So verbreitet unter anderem eine einflussreiche Aktivistin der Szene aus München ein Bild eines angeblichen Kämpfers des Asow-Regiments in ihrer Telegram-Gruppe und schreibt: "Nazis in der Ukraine sind sehr lebendig mit ihrem Einfluss und sie werden immer mehr." Das Asow-Regiment ist tatsächlich dem ukrainischen Innenministerium unterstellt. Auch der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, unterstützte jüngst das Regiment und bezeichnete die Milizionäre als "mutige Kämpfer".

Zum Hintergrund: Das Asow-Regiment spielte vor allem bei den Maidan-Protesten 2014 eine Rolle. Dort half die Miliz laut dem kanadischen Journalisten Michael Colborne vom Recherchekollektiv Bellingcat dabei, gewaltsame Impulse des Janukowitsch-Regimes zurückzudrängen. "Die traurige Realität ist, dass auf dem Maidan die Mehrheitsgesellschaft und die Rechtsextremen einander brauchten", sagte Colborne dem Portal Belltower News. "Die Rechtsextremen waren zwar eine Minderheit, aber sie waren notwendig, um zu verhindern, dass die Polizei die Proteste niederschlägt", meint Colborne.

"Entnazifizierung" als Vorwand

Die russische Führung sieht Belege dafür, dass in der Ukraine Faschisten an der Macht seien, unterstützt von rechtsextremen Milizen wie Asow. Das russische Präsidialamt erklärte zu dem Angriff auf die Ukraine, das Land müsse daher von "Nazis" gesäubert und befreit werden. Für die deutsch-ukrainische Publizistin Marina Weisband, die aus einer jüdischen Familie stammt, handelt es sich dabei allerdings schlicht um Propaganda.

Auch für den Europaabgeordneten Sergey Lagodinsky (Bündnis 90/Die Grünen) ist Putins Rhetorik einer "Entnazifizierung" ein Vorwand. "Gibt es in der Ukraine Rechtsradikale und Antisemiten? Natürlich, wie in jedem anderen europäischen Land auch, nicht zuletzt in Russland", sagte Lagodinsky dem ARD-faktenfinder. Alexander Ritzmann von der gemeinnützigen Nichtregierungsorganisation "Counter Extremism Projekt" hält die Behauptung Putins, die Ukraine entnazifizieren zu wollen, ebenfalls für eine Lüge. Das schlechte Abschneiden von Rechtsextremen bei den Parlamentswahlen zeige klar, "dass die Ukrainer kein Interesse an rechtsextremen Bewegungen haben."

Auch kritische Töne in Querdenken-Chats

Innerhalb des Querdenken-Milieus werden auch Telegram-Nachrichten des ehemaligen Moskau-Korrespondenten des Focus, Boris Reitschuster, kritisch kommentiert. Reitschuster gehörte zu den prominentesten Quellen des Querdenken-Milieus, teilt die Putin-Liebäugelei von Teilen seiner Anhänger aber offenbar nicht. Er schreibt: "Anders als von Putins Propagandisten behauptet", habe Asow so gut wie "keinen Einfluss auf die ukrainische Regierung". In einem Beitrag fragte ein Nutzer anschließend, ob Reitschuster nun "vom Geheimdienst eingesetzt" wurde.

Nicht in allen Diskussionen wird der Kreml-Propaganda in den Chatgruppen Glauben geschenkt. Vereinzelt kommt es auch zu Kritik. So schrieb ein Nutzer in einem Chat: "Liebe Putin Fans, macht die Augen auf. Wie kann man nur so naiv sein, bei den Informationen, die einem zur Verfügung stehen (..) Propaganda wird von allen Seiten betrieben!" Erneut zeigt sich, dass die Querdenken-Szene heterogen aufgestellt ist, keine einheitliche politische Linie hat.

Verfassungsschutz warnt vor russischer Staatspropaganda

Beim Landesamt für Verfassungsschutz ist festgestellt worden, dass die gezielte Einflussnahme auf eine ohnehin dem deutschen Staat kritisch gegenüberstehende Szene ein Vorteil sein kann für Staaten, "die destabilisierend auf die Bundesrepublik Deutschland einwirken wollen." Dahingehend könne die "Verinnerlichung der russischen Staatspropaganda zur Ablehnung des Handelns der deutschen Regierung" führen oder zu einer verstärkten "staatsablehnenden Haltung", meint Verfassungsschützer Florian Volm. Seit April des vergangenen Jahres beobachtet der Inlandsgeheimdienst Personen und Teile der Querdenken-Bewegung. Dafür wurde beim Dienst sogar eine neue Kategorie geschaffen, bei der es um das "Delegitimieren des Staates" geht.

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Querdenken-Anhänger fordert in Chatgruppe: "Putin befreie unser Volk"

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