Der Angeklagte vor Gericht
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Polizist kniet auf Mann - der bestreitet in Prozess Angriff

Ein S-Bahn-Passagier soll Kontrolleure angegriffen haben, in der Folge kam es zu drastischen Szenen: Ein Polizist soll sich auf den Hals des Mannes gekniet haben. Nun steht der Fahrgast vor Gericht und schildert die Minuten davor ganz anders.

Über dieses Thema berichtet: Regionalnachrichten aus Oberbayern am .

Ein Mann liegt auf dem Boden, umringt von Polizisten. Immer wieder schreit er "Hilfe, Hilfe!" und stößt Geräusche aus, die wie ein Röcheln klingen. Ein Beamter hält ihn am Boden, scheint sich dabei auf den Hals des Mannes zu knien.

Vorfall wurde von der Bodycam einer Polizistin gefilmt

Die Szene ereignete sich im Februar 2020 an der Münchner S-Bahn-Station Isartor, sie ist festgehalten im Video aus der Bodycam einer Polizistin. Seit diesem Freitag hat sie ein gerichtliches Nachspiel - allerdings nicht für den Beamten.

Vor dem Amtsgericht München muss sich der 54-Jährige US-Amerikaner verantworten, der am Bahnsteig von den Kräften der Bundespolizei niedergerungen wurde. Der Mann bestreitet die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft.

Wie die Staatsanwaltschaft den Vorfall sieht ...

Dieser zufolge war er in einer S-Bahn von Kontrolleuren konfrontiert worden, weil er ein mutmaßlich ungültiges Ticket dabeihatte. Er habe einen von ihnen als "Nazi und Rassist" beleidigt. Nachdem die Ausweisprüfer mit ihm an der Station Isartor ausgestiegen waren und die Polizei riefen, sei der Mann gewalttätig geworden.

Beim Eintreffen der Bundespolizei sei es zu einer Rangelei gekommen. Der Angeklagte habe zu Boden gebracht und von fünf Beamten festgehalten werden müssen. Er habe einer Polizistin ins Gesicht geschlagen und in die Hand gebissen, zuvor zudem dem Kontrolleur in den Arm. Die Anklage lautet unter anderem auf Körperverletzung, Beleidigung und tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte.

... und wie der Angeklagte

In einer Erklärung, die sein Anwalt verliest, klingt der Vorgang deutlich anders. Demnach wurde er nach der Kontrolle von einem der Kontrolleure grundlos angegriffen. Der Kontrolleur habe ihn gegen eine Wand gedrückt und in den Bauch geschlagen.

Schließlich seien die Polizisten hinzugekommen, die ihn ohne Anlass zu Boden gebracht hätten und ihm so auf Brustkorb und Hals gedrückt hätten, "dass ich fast erstickt bin". Wegen des Vorfalls sei er psychisch geschädigt und könne nicht mehr arbeiten. Als das Video aus der Bodycam im Gerichtssaal vorgespielt wurde, hielt er sich die Ohren zu und schaute weg.

Kontrolleure hatten den Angriff absichtlich verschwiegen

In der Verhandlung wurde auch einer der Fahrausweisprüfer befragt, der zunächst bestätigte, dass der Angeklagte zuerst aggressiv geworden sei. Kurz darauf verstrickte er sich jedoch immer weiter in Widersprüche. Schließlich gab er an, dass sein Kollege den Mann tatsächlich gegen einen Pfeiler gedrückt und in Richtung seines Bauchs geschlagen habe. In einem schriftlichen Protokoll hätten die beiden Kontrolleure den Angriff absichtlich verschwiegen.

Bundespolizei: "Ablegen des Schienbeins" ist Teil der Ausbildung

Ein Sprecher der Bundespolizeidirektion München verteidigte den Einsatz gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Es handle sich um ein "Ablegen des Schienbeins", das in der Aus- und Fortbildung vermittelt werde. Dabei werde kein Druck auf den Hals ausgeübt, sodass Atmung und Kreislauf nicht beeinträchtigt würden.

Der Bundespolizist, der den Angeklagten auf dem Bahnsteig festgehalten hatte, sagte als Zeuge vor Gericht aus, er könne sich nicht erinnern, ob er das Knie auf die Halsregion setzte. Er habe den Mann fixieren müssen, weil er sich sehr aggressiv verhalten habe.

Staatsanwaltschaft: Vorgehen des Polizisten soll überprüft werden

Nachdem das Nachrichtenmagazin "Focus" im Juli dieses Jahres das Video aus der Bodycam veröffentlicht hatte, teilte die Staatsanwaltschaft München I mit, das Vorgehen der Bundespolizei überprüfen zu wollen. Es handle sich um Vorermittlungen, um zu klären, ob ein Verfahren eingeleitet wird.

Filmmaterial weckt Erinnerungen an den Fall George Floyd

Das Material erinnert auf den ersten Blick - auch wenn die Folgen nicht zu vergleichen sind - an den tödlichen Polizeieinsatz gegen George Floyd in den USA, der eine Welle des Entsetzens und große Proteste ausgelöst hatte.

Floyd war im Mai vergangenen Jahres in Minneapolis bei einem brutalen Polizeieinsatz getötet worden. Ein Polizist presste dabei sein Knie gut neun Minuten lang auf Floyds Hals, während dieser rief, er könne nicht atmen. Floyd verlor das Bewusstsein und starb wenig später. Der Polizist wurde zu 22 Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt.

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