Spaziergänger und Fahrradfahrer auf einem Weg am Ufer des Hopfensees.
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Bei schönem Wetter lockt der Hopfensee im Allgäu viele Menschen an – manchmal auch zu viele.

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Overtourism: Mit Künstlicher Intelligenz gegen Besuchermassen

Sobald das Wetter schön ist, sind sie voll: touristische Hotspots wie der Hopfensee zum Beispiel. Wie Besuchermassen künftig entzerrt werden könnten, das erforschen Wissenschaftler der Hochschule Kempten und setzen dabei auf Künstliche Intelligenz.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

Ein später Vormittag in den Osterferien in Hopfen am See im Ostallgäu. Das Wetter ist gut, nur die Sicht auf die Berge ist etwas getrübt vom Saharastaub. Auf der Uferstraße wird der Verkehr langsam mehr und die Promenade füllt sich.

Wann wird der Tourismus zu viel?

Auch die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der Hochschule Kempten sind schon am Hopfensee. Im Gepäck haben sie ein Pult, auf das ein kleiner Abstimmungscomputer montiert ist. Für sie geht es heute darum: Wann empfinden es die Menschen als "voll"? Dafür lässt Wissenschaftlerin Franka Menke die Ausflügler direkt vor Ort abstimmen. Bei der Umfrage können die Leute zwischen vier Stimmungs-Smileys auswählen: von gar nicht voll, bis sehr voll. Die Mitarbeitenden der Hochschule Kempten wollen mithilfe der subjektiven Eindrücke der Personen ein Gefühl dafür bekommen, ab wann der Trubel für die Erholungssuchenden am Hopfensee zu viel wird.

Kameras zählen rund um die Uhr

Gleichzeitig zählen intelligente Kameras rund um die Uhr, wie viele Menschen und Fahrzeuge tatsächlich am Nordufer des Hopfensees unterwegs sind. Dafür wurden die Kameras in gut 2,5 Metern Höhe an Laternenmasten installiert. Die Bilder löschen die smarten Geräte sofort wieder. Nur die Anzahl der Leute und der Fahrzeuge leiten sie an das Team um Professor Robert Keller vom Institut für Nachhaltige und Innovative Tourismusentwicklung an der Hochschule Kempten weiter.

Infos für den Ausflugsticker Bayern

Mit den Zahlen können er und seine Mitarbeitenden schon jetzt darstellen, wie voll es in Hopfen am See ist. "Diese Informationen können wir einfach über verschiedene Plattformen ausspielen, die können wir sichtbar machen", sagt Robert Keller. Zum Beispiel über die Website des Ausflugstickers Bayern (externer Link). Dort können die Touristen über ihr Handy abrufen, wie die Auslastung am angesteuerten Zielort ist. Das Online-Ampelsystem macht die Infos leicht verständlich. Teilweise werden auch schon Prognosen veröffentlicht. Das Team um Professor Keller will erreichen, dass diese künftig noch besser werden.

Problem: Parkplatz-Such-Verkehr

Dabei geht es auch darum, die Menschen schon bei ihrer Planung und der Anreise zu lenken, sagt der Füssener Tourismusdirektor Stefan Fredlmeier. Denn die Masse der Leute, die einen Spaziergang rund um den Hopfensee mache, sei nicht das große Problem: "Es sind eher diejenigen, die einen Parkplatz suchen, das ist das große Problem dran und stresst uns auch." Die Uferstraße werde schnell zur Staufalle. Weil Hopfen am See zu Füssen gehört, war es für Fredlmeier schnell klar, sich an dem deutschlandweiten Besucherlenkungs-Projekt zu beteiligen. "Wir wollen damit einfach testen, worauf reagiert überhaupt ein Gast, wenn wir ihm Informationen geben: 'Du, pass' auf, Hopfen am See an einem Brückenwochenende bei schönem Wetter ist stark nachgefragt, es gäbe auch noch Alternativen', nimmt er solche Alternativen an?"

Wettervorhersage ist größte Herausforderung

Im Rahmen des drei Jahre andauernden Projekts arbeiten die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen solche Prognosen und Empfehlungen mit Hilfe Künstlicher Intelligenz aus. Dafür füttern sie die Computermodelle mit den selbst erhobenen Daten, aber auch mit Terminen wie Ferien oder Feiertagen und der Wettervorhersage. Diese sei dabei die größte Herausforderung, sagt Professor Robert Keller: "Weil sie einfach das Unplanbarste ist."

Touristen alternative Ausflugsvorschläge machen

Errechnet die Künstliche Intelligenz aus den zusammengeführten Daten schließlich, dass es einen Besucheransturm geben wird, wollen die Wissenschaftler künftig auch Tipps zur Anreise oder andere Ausflugsvorschläge generieren lassen. Diese sollen die Besucher weg von den Hotspots lenken beziehungsweise zu einer anderen Anreise, zum Beispiel mit Bus oder Bahn, motivieren. Veröffentlicht werden sollen solche Informationen dann automatisch auf den Websites der Tourismusregionen beziehungsweise auf Ausflugsseiten im Internet. Dafür kooperiert die Hochschule Kempten zum Beispiel mit dem Touren- und Reiseportal "outdooractive" aus Immenstadt.

Mögliche Maßnahme: Vorab buchbare Parkplätze

Das Problem ist dabei: Die Ausflügler müssen diese Infos auch abrufen, sagt Robert Keller. Denn in der Regel sei es bisher so: "Wenn ich mit meiner Familie am Wochenende wegfahre, dann überlege ich mir zwar: 'Hm, wo war es schön?' und dann fahre ich dahin. Bisher schaue ich nicht nach, ob es da voll ist oder nicht." Der genaue Blick ins Handy könnte sich künftig also lohnen, damit es für alle ein entspannter Ausflug ohne lange Parkplatzsuche wird.

Die Hoffnung sei, dass diese gezielte Besucherinformation schon ausreicht, um die Überfüllung der Ausflugsziele zu vermeiden. Sollte das nicht funktionieren, dann gäbe es neben den "weichen" Lenkungsmaßnahmen auch andere Möglichkeiten, die Besuchermassen einzudämmen: Die Verantwortlichen in Füssen könnten sich zum Beispiel vorab online buchbare Parkplätze vorstellen. "Doch so weit sind wir noch lange nicht", da sind sie sich einig.

Einziger Projektstandort in Bayern

Das Forschungsprojekt zur Besucherlenkung mit KI läuft noch bis Ende des Jahres. Im Rahmen von "AIR – artificial intelligence-basierter Recommender für nachhaltigen Tourismus" – so der offizielle Titel – forschen neben den Mitarbeitenden der Hochschule Kempten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen an fünf weiteren Standorten in ganz Deutschland: im Ruhrgebiet, im Sauerland sowie an der Nord- und Ostseeküste Schleswig-Holsteins. Die Region Füssen/Hopfensee ist also der einzige Forschungsstandort in Bayern. Finanziell gefördert wird das Verbundprojekt im Rahmen der sogenannten Künstlichen-Intelligenz-Leuchttürme vom Bundesumweltministerium.

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