Mitglieder des NSU-Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags während einer Sitzung.
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Mitglieder des NSU-Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags während einer Sitzung.

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NSU-Untersuchungsausschuss: Kritik an polizeilichen Ermittlungen

Auch mehr als zwölf Jahre nach der Selbstenttarnung der NSU-Terrorristen lässt die Kritik an der Arbeit der Ermittler nicht nach. So herrscht bei manchen Mitgliedern des NSU-Untersuchungsausschusses Unverständnis über die Arbeit der Polizei.

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Nach 17 Sitzungen, die der zweite NSU-Untersuchungsausschuss in Bayern seit Mai absolviert hat, kritisieren Landtagsabgeordnete die Arbeit der Polizei während der Terrorserie. Die Grünen bemängeln ein "äußerst fragwürdiges Ermittlungsverständnis der Behörden".

Keine Verbindung nach Bombenattentat in Nürnberg?

Beispielsweise zum Vorgehen der Ermittler nach dem Bombenattentat auf eine Nürnberger Gaststätte 1999. Am 23. Juni 1999 verübten die Rechtsterroristen des NSU ein Bombenattentat auf die Nürnberger Pilsbar Sonnenschein. Diese lag nur wenige Gehminuten vom Nürnberger Hauptbahnhof entfernt im Stadtteil Glockenhof. Die Pilsbar hatte erst einen Tag vorher offiziell eröffnet.

Für den Anschlag nutzten die Terroristen eine Taschenlampe als Tarnung für den Sprengsatz. Obwohl der Sprengsatz den Materialien ähnelte, die Polizeibeamte 1998 bei Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe fanden, wurde keine Verbindung zwischen dem Anschlag in Nürnberg und dem Terror-Trio hergestellt. Stattdessen ermittelten die Beamten gegen das Opfer, den jungen Kneipenwirt Mehmet O., und seinen Freundeskreis, und schlossen ein politisches Motiv aus.

Neonazis wohnten in Tatortnähe

"Je tiefer wir bohren, desto mehr Ermittlungsdefizite werden deutlich", sagt Cemal Bozoğlu, Grünen-Abgeordneter aus Augsburg. Hinweise des bayerischen Verfassungsschutzes auf Nürnberger Rechtsextreme, die in der Nähe der Pilsbar gewohnt hatten, hätten das Bundeskriminalamt erst mit einer Verspätung von acht Monaten erreicht, kritisiert Bozoğlu.

Und obwohl auch ein führender Rechtsextremist der Fränkischen Aktionsfront (FAF) damals in Tatortnähe gewohnt hatte, seien keine Ermittlungsmaßnahmen eingeleitet worden. "Wichtigen Spuren wurde nicht nachgegangen, während vehement in die falsche Richtung ermittelt wurde", kritisieren die Grünen. Die Gesamtübersicht sei schnell verloren gegangen.

Auch der Erlanger FDP-Abgeordnete Matthias Fischbach wundert sich. Schließlich hätten bei dem rechtsextremen Führungskader wöchentlich Treffen von Skinheads stattgefunden. "Es mag ja sein, dass der Wohnort alleine noch keine tiefgreifenden Maßnahmen rechtfertigt. Dennoch hätte ich schon erwartet, dass man zumindest diese Verbindungen mit Blick auf weitere Anhaltspunkte genauer untersucht", sagt Fischbach.

Fragwürdige Aussage zu Bekenner-DVD

Nach der Selbstenttarnung des NSU und den Suiziden von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt verschickte Beate Zschäpe rund 50 sogenannter Bekenner-DVDs an muslimische Einrichtungen, Polizeidienststellen und Medien in Deutschland. Auch fünf Adressen in Bayern erhielten das Propagandavideo per Post, in dem die Mordopfer zu sehen sind: Die Täter hatten die sterbenden Menschen an den Tatorten fotografiert. Einzig im Verlagshaus der Nürnberger Nachrichten (NN) wurde ein Umschlag mit der DVD offensichtlich direkt in den Briefkasten geworfen. Zwar wurde das Kuvert in der Redaktion ins Altpapier gegeben, da der brisante Inhalt nicht sofort ersichtlich gewesen war. Doch der damalige NN-Redakteur Herbert Fuehr, auf dessen Schreibtisch die DVD im November 2011 gelandet ist, versichert, dass der Umschlag keine Briefmarke getragen habe.

Dies hatte er bei der Polizei auch so zu Protokoll gegeben, ebenso eine Sekretärin, die die Post sortiert hatte, und fünf weitere Kolleginnen und Kollegen, die mit dem Fall betraut gewesen waren. Selbst die Bundesanwaltschaft war damals nach der polizeilichen Untersuchung zu der Überzeugung gekommen, dass jemand die Sendung persönlich in den Briefkasten des Verlags Nürnberger Presse geworfen habe, versichert Fuehr auch heute. Dies habe man ihm bei der Behörde in Karlsruhe bestätigt.

NSU-Terroristen waren oft in Nürnberg

Dennoch sagte ein Polizeibeamter des BKA den Mitgliedern des NSU-Untersuchungsausschusses, dass es für diese Darstellung keine gesicherten Aussagen gebe. "Dass dem BKA solche Zweifel an dem unfrankierten Einwurf kommen, ist für mich verwunderlich", findet MdL Fischbach. Grünen-Abgeordneter Cemal Bozoğlu empört sich noch über einen weiteren Sachverhalt: Ein Münchner Moschee-Verein, der ebenfalls die DVD erhalten hatte, habe das Video laut Bozoğlu auf Anraten einer Polizistin im Müll entsorgt.

Das NSU-Kerntrio konnte sich bei der Mordserie auf etliche Unterstützer aus der Neonazi-Szene stützen. Das Umfeld des NSU wird auf bis zu 200 Personen geschätzt, unter ihnen V-Leute des Verfassungsschutzes und Funktionäre rechtsextremer Parteien. Auch fränkische Rechtsextreme hatten engen Kontakt zum NSU. Das Kerntrio stieg nach Angaben eines ehemaligen Führungskaders der Szene auch regelmäßig in einer Neonazi-WG im Nürnberger Stadtteil Mögeldorf ab. Versammlungsort war demnach eine Mietwohnung, die unter anderem von einem Neonazi und Holocaustleugner aus den USA mitfinanziert worden sein soll. "Die (das NSU-Kerntrio, Anm. d. Redaktion) kannte in Nürnberg jeder Kamerad", sagte der ehemalige Neonazi dem Rechercheteam von BR und Nürnberger Nachrichten.

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