Politiker und Journalisten sitzen auf einem Podium vor Zuschauern.
Bildrechte: Roland Fengler (Nürnberger Nachrichten)

Gemeinsame Podiumsdiskussion von BR und Nürnberger Nachrichten

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Klärung möglich? Was der NSU-Untersuchungsausschuss leisten kann

Bayerische Landtagsabgeordnete und Journalisten haben im BR-Studio Franken über die Herausforderungen im NSU-Untersuchungsausschuss diskutiert. Über allem hing die Frage, ob eine vollständige Aufklärung der Morde und Anschläge jemals gelingen kann.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

"Ich bin auch nicht auf dem rechten Auge blind, wenn Sie diese blöde Geste hier machen", wendet sich der CSU-Landtagsabgeordnete Tobias Reiß aufgebracht gegen einen Zuschauer. Reiß berichtet mit lauter Stimme, er sei als Jugendlicher bei den Gegendemonstrationen zu den Aufmärschen für den Hitlerstellvertreter Rudolf Heß dabei gewesen. "Es beklemmt mich heute wie damals." Es sei auch "nicht gut, dass wir eine AfD im Landtag haben, wir erleben wie diese Leute arbeiten", ergänzt Reiß wütend.

Podiumsdiskussion zum NSU-Untersuchungsausschuss

Reiß, der Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU im Landtag ist, verteidigt sich an diesem Abend häufiger. Allerdings mehr gegenüber den Gästen und Moderatoren auf dem Podium, zu dem der Bayerische Rundfunk und die Nürnberger Nachrichten gemeinsam eingeladen hatten.

Denn die beiden Medienhäuser unterhalten seit fünf Jahren ein gemeinsames investigatives Rechercheteam. Dieses hat es sich zum Ziel gesetzt, das Umfeld der rechtsextremen Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) aufzudecken - etwa das sogenannte "Taschenlampen-Attentat" gegen einen Gastwirt mit Migrationshintergrund.

Taschenlampen-Attentat: Warum ist die Aufklärung gescheitert?

Juni 1999: In der Gaststätte von Mehmet O. in der Nürnberger Scheurlstraße explodiert eine als Taschenlampe getarnte Rohrbombe, die ihn schwer verletzt. Er habe einzig deshalb überlebt, weil die Attrappe nicht fest verschraubt gewesen sei, sagt der Erlanger FDP-Landtagsabgeordnete Matthias Fischbach bei der Podiumsdiskussion. Der Politiker ist überzeugt: "Das wäre ein ganz entscheidender Punkt gewesen, an dem man die Verbindung hätte herstellen können."

Die Verbindung herstellen: Gemeint ist der Zusammenhang zur Mordserie des NSU. In den Jahren 2000 bis 2007 tötete der NSU zehn Menschen in Deutschland, alleine drei davon in Nürnberg. Erst 2013 wurde bekannt, dass auch das Nürnberger Taschenlampen-Attentat auf das Konto der Rechtsterroristen um Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt geht.

Zuerst wurde gegen den Wirt ermittelt

Zuvor hatten sich die Sicherheitsbehörden einen politischen Hintergrund offensichtlich nicht vorstellen können. "Wir haben gesehen, dass vor allem gegen Mehmet O. und seinen Freundeskreis ermittelt wurde", sagt Jonas Miller, BR-Redakteur und Teil des gemeinsamen BR/NN-Rechercheteams. Seine Kollegin Elke Graßer-Reitzner von den Nürnberger Nachrichten (NN) ergänzt: "Wäre der Anschlag aufgeklärt worden, hätte es die NSU-Mordserie vielleicht nicht gegeben."

Beide diskutieren in einem voll besetzten Saal des Studios Franken mit Landtagspolitikern darüber, was der seit Frühjahr laufende zweite bayerische NSU-Untersuchungsausschuss aufklären kann. Der Taschenlampen-Anschlag auf den Kneipenwirt steht dabei im Fokus - er passierte über ein Jahr vor dem ersten NSU-Mord am Blumenhändler Enver Şimşek.

Arif Taşdelen von der SPD kritisiert, dass die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth in Sachen "Mehmet O." 1999 nur wegen Körperverletzung ermittelt hat. "Für mich ist das ein Justizskandal", so der Nürnberger Abgeordnete. Hätte man wegen versuchten Mordes ermittelt, wäre der Anschlag beim Bundeskriminalamt in einer bundesweiten Sprengstoffdatei aufgeschlagen.

Verbindung zum Fund von TNT-Sprengstoff in Jena?

Vielleicht wäre dann aufgefallen, dass ein gutes Jahr zuvor im thüringischen Jena eine von Beate Zschäpe angemietete Garage durchsucht worden war, in der 1,4 Kilogramm TNT-Sprengstoff und mehrere Rohrbomben gefunden wurden. Damals tauchten die drei Terroristen ab: Es war der Moment, ab dem das NSU-Kerntrio in den Untergrund ging.

"Das war der erste Kardinalfehler", sagt CSU-Politiker Reiß, über den nicht erkannten Zusammenhang zwischen dem Taschenlampen-Anschlag und der Durchsuchung der Garage. Reiß äußert Zweifel, ob der neuerliche Untersuchungsausschuss nach so langer Zeit noch vieles aufklären kann. Gleichzeitig betont er, dass auch seine Partei daran interessiert sei, verloren gegangenes Vertrauen in den Rechtsstaat wiederherzustellen.

"Je tiefer man gräbt, desto mehr kommt ans Licht", sagt Fischbach von der FDP wenig später, als es um gelöschte Akten geht. Eine Anfrage des Untersuchungsausschusses hatte aufgedeckt, dass ein riesiger Datensatz des bayerischen Landeskriminalamtes (LKA) mit Informationen zum Umfeld des NSU im Oktober 2021 gelöscht worden war - laut Fischbach einen Tag nachdem im Innenausschuss zur Sprache gekommen war, dass es einen zweiten NSU-Untersuchungsausschuss geben könnte.

CSU und FW lehnten Beweisanträge ab

Schlamperei oder Absicht? Verena Osgyan von den Grünen hat den Ausschuss mitinitiiert und will sich noch kein Urteil erlauben. "Dazu untersuchen wir das Ganze ja", sagt sie. Merkwürdig und unüblich aber sei, dass die Regierungsvertreter von CSU und Freien Wählern (FW) entsprechende Beweisanträge abgelehnt hätten.

Fischbach zum Beispiel hätte gerne die zuständigen Systemadministratoren befragt, die während der Löschung Dienst hatten. Die Aussage des LKA-Präsidenten reicht ihm nicht aus: "Man kann ihm glauben, oder wir haben eine Thematik, wo man doppelt hinschauen muss, damit Vertrauen da ist."

Reiß kontert, dass die Vernehmung der Administratoren möglicherweise gar nicht relevant sei, kann dem ansonsten jedoch nicht viel entgegenhalten. Als einziger der auf dem Podium vertretenen Politiker ist er nicht Teil des Untersuchungsausschusses. Von den dort vertretenen CSU-Politikern hatten alle Angefragten eine Teilnahme am Podium abgesagt.

Vernichtete NSU-Akten sollen wertvolle Infos enthalten haben

Brisant: Die Akten sollen Informationen über Susann E. enthalten haben, einer engen Vertrauten Zschäpes. Mehmet O. hatte sie rund 15 Jahre nach dem Taschenlampen-Anschlag auf Fotos wiedererkannt, die ihm das Bundeskriminalamt vorgelegt hatte. Doch vernommen wurde E. nie - für die Grünen-Politikerin Osgyan eine Fortsetzung "systematischer Ermittlungsfehler".

NN-Journalistin Elke Graßer-Reitzner will wissen, ob Susann E. in der Gaststätte von Mehmet O. gewesen sein kann. Sie fordert, die Datenlöschung vollumfänglich aufzuklären: "So etwas weckt Verschwörungstheorien, so etwas weckt Verdachtsmomente. Schließlich sind zehn Menschen getötet worden. Da ist kein Platz für Parteiengezänk, das muss jetzt aufgeklärt werden."

Vollständige Aufklärung unwahrscheinlich

Die Frage aber, wer dem NSU-Kerntrio bei seinen Taten geholfen hat, wird der Untersuchungsausschuss bei weitem nicht vollständig aufklären können, meinen die Politiker auf dem Podium übereinstimmend. Und das, obwohl die Angehörigen der Mordopfer auf Antworten zu ihren quälenden Fragen drängen: Wie suchte der NSU seine Opfer aus, wie ging er vor, wer half dem NSU?

FDP-Mann Fischbach rät abschließend, der Ausschuss müsse sich bis zur Landtagswahl nächsten Herbst auf die wesentlichen Fragen konzentrieren. Er sagt: "Es ist wahrscheinlich die letzte Chance, noch etwas aufzuklären."

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