Ein Mann sitzt in einer Kirchenbank. Die anderen Bänke sind leer.
Bildrechte: BR / Max Hofstetter

Tausende Menschen in Oberbayern traten in den letzten Wochen aus der Kirche aus.

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Nach Missbrauchsstudie: Tausende treten aus der Kirche aus

Seit Jahresbeginn sind tausende Menschen aus der Kirche ausgetreten, in den meisten Gemeinden deutlich mehr als im Vorjahr. Zuletzt hatte eine Studie zu sexuellem Missbrauch im Erzbistum München und Freising die katholische Kirche erschüttert.

Die Zahl der Kirchenaustritte ist in ganz Bayern deutlich angestiegen. 7.000 Menschen sind allein in München seit Anfang dieses Jahres nach Angaben des Kreisverwaltungsreferates aus der Kirche ausgetreten. Im Vorjahr waren es im gleichen Zeitraum rund 3.300 und im Jahr 2020 rund 3.800.

Nach Missbrauchs-Gutachten: Gläubige treten "in Scharen" aus

Im Januar war im Auftrag des Erzbistums München und Freising ein Missbrauchs-Gutachten vorgestellt worden. Es war zu dem Ergebnis gekommen, dass Fälle von sexuellem Missbrauch in der Diözese über Jahrzehnte nicht angemessen behandelt worden waren. Die Gutachter gehen von mindestens 497 Opfern und 235 mutmaßlichen Tätern aus, zugleich aber von einer deutlich höheren Dunkelziffer – und davon, dass Münchner Erzbischöfe - darunter auch der spätere Papst Benedikt XVI. - sich im Umgang damit falsch verhalten hätten.

Seither berichten Kommunen in Bayern und auch die katholische Kirche selbst von rasant steigenden Austrittszahlen. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Georg Bätzing, sagte kürzlich bei der Frühjahrsvollversammlung im Wallfahrtsort Vierzehnheiligen, die Gläubigen kehrten ihrer Kirche "in Scharen" den Rücken.

Mehr Kirchenaustritte überall Bayern

Nicht nur München verzeichnet steigende Kirchen-Austritte: Bis zum 15. März erklärten in Ingolstadt 529 Menschen ihren Austritt aus der Kirche - 333 mehr als im gleichen Zeitraum 2021. In Nürnberg traten nach Angaben des dortigen Standesamtes in diesem Jahr bis zum 16. März schon 1.050 Menschen aus der römisch-katholischen Kirche aus. Im Vergleichszeitraum 2021 waren es mit 425 weniger als die Hälfte. In Würzburg traten bis Mitte März 547 Katholiken aus, 2021 waren es im gleichen Zeitraum 315. In Bamberg traten nach Angaben der Stadt in zweieinhalb Monaten bis Mitte März dieses Jahres 340 Katholiken aus der Kirche aus. 2021 waren es im ganzen Jahr 642. In Regensburg traten bis Mitte März 1.043 Menschen aus der Kirche aus - fast dreimal so viele wie 2021 (363).

Nürnberg, Würzburg und Bamberg gehören zu den Kommunen, die die Kirchenaustritte nach Protestanten und Katholiken aufschlüsseln. Andere - wie die Stadt München - geben nur Gesamtzahlen an.

Diskussionsveranstaltung am Abend: Betroffene hören

Das Erzbistum München und Freising hat für diesen Montagabend (19.00 Uhr) zu einer Diskussionsveranstaltung geladen mit dem Titel "Betroffene hören", an der auch Kardinal Reinhard Marx und Mitglieder des Betroffenenbeirats der Diözese teilnehmen wollen. Der Beirat hatte Marx unlängst vorgeworfen, nach Vorstellung des Gutachtens untätig geblieben zu sein.

Garching an der Alz: Initiative "Sauerteig" gegründet

Das Münchner Missbrauchsgutachten hat auch in Garching an der Alz eingeschlagen. Rosi Mittermeier hat dort die Initiative "Sauerteig" mitgegründet. Es ist ein Zusammenschluss von Gemeindemitgliedern, die aufarbeiten wollen, was in ihrer Pfarrei in Garching passiert ist in den 20 Jahren mit Priester H., dem prominentesten Fall aus dem von der Erzdiözese München und Freising in Auftrag gegebenen Gutachten zu sexuellem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen. "Dass ein Missbrauchstäter bei uns Pfarrer war, ist kein Tabuthema mehr, wenn es auch immer noch schmerzt."

Gutachten zu Fall H. erschüttert viele Gläubige

Die Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl, die das Gutachten erstellt hat, widmet dem Fall H., dem mehrfach versetzten, verurteilten Missbrauchstäter, darin sogar einen eigenen Sonderband. "Bei manchen hat dies schwere innere Kämpfe ausgelöst, weil man sein bisheriges Bild von H. und von sich selbst überdenken muss", sagt Mittermeier. "Auch die vom Gutachten ausgelöste Erschütterung der Kirche bewegt viele Menschen sehr."

Rosi Mittermeier kann der Entwicklung trotz allen Schreckens auch etwas Positives abgewinnen. Denn in Garching scheint das Gutachten bei allem Entsetzen auch "eine befreiende Wirkung" zu haben. Sie sieht "sogar eine neue Aufbruchstimmung". Für die Pfarrgemeinderatswahl hätten sich - keine Selbstverständlichkeit - ausreichend Kandidaten gefunden - darunter viele junge Christen. "Fast scheint es, als ob mit der Offenlegung des Missbrauchs bei manchen eine schwere Last abgefallen ist."

(Material: dpa)

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