Aufgezogene Spritze (Symbolbild)
Bildrechte: BR/Julia Müller

Nach langem Warten: Prozess um Donauwörther Hepatitis-Skandal beginnt

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Langes Warten: Prozess um Donauwörther Hepatitis-Skandal beginnt

Vor fünf Jahren wurde der Fall bekannt: Ein Arzt am Donauwörther Krankenhaus soll über 50 Patienten mit Hepatitis C infiziert haben. Er war süchtig, gibt zu, sich an Medikamenten bedient zu haben. Unklar ist, wie das Virus übertragen wurde.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

Der Vorwurf ist schier unglaublich: 51 Menschen soll ein ehemaliger Narkosearzt am Donauwörther Krankenhaus mit Hepatitis C infiziert haben. Bekannt wurde das im Spätsommer 2018. Erst jetzt, gut viereinhalb Jahre später, beginnt der Prozess gegen den heute 60-Jährigen. Sein Anwalt David Herrmann erklärt: Sein Mandant sei süchtig gewesen und bestreite nicht, sich an Narkosemitteln bedient zu haben, um arbeitsfähig zu bleiben. Er litt zu diesem Zeitpunkt an einer anderen schmerzhaften Erkrankung. Unerklärlich sei allerdings, wie es dabei zur Übertragung des Virus habe kommen können.

Bis zum Prozessbeginn dauert es fast fünf Jahre

Dass der Prozess erst Jahre nach Bekanntwerden der Vorwürfe startet, hat mehrere Gründe. Zum einen dauerten die Ermittlungen sehr lange. Die betroffenen Patientinnen und Patienten wurden befragt, teils mehrmals. In jedem einzelnen Fall galt es zu klären, wie, wann und wo die Ansteckung passiert sein könnte. Erst im Frühjahr 2021 erhebt die Staatsanwaltschaft dann Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung in 51 Fällen. Außerdem ist der Arzt wegen Unterschlagung angeklagt, weil er Präparate für sich selbst verwendet haben soll. Weil er die Medikamente dabei verunreinigt haben soll, wird er auch wegen eines Verstoßes gegen das Medizinproduktegesetz angeklagt. Nun beginnt am Mittwoch beim Landgericht in Augsburg die öffentliche strafrechtliche Aufarbeitung des Falls. Bei einer Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung drohen ihm bis zu zehn Jahre Haft.

Landgericht fordert Nachermittlung, Personal wechselt

Bis zur Eröffnung des Verfahrens aber sollte es noch dauern: Das Landgericht forderte umfangreiche Nachermittlungen. Ein weiteres Gutachten musste erstellt werden, Kopien seien unleserlich gewesen, hieß es damals, müssten teilweise nochmals zugestellt werden. Außerdem wechselte während der Zeit die Zuständigkeit bei der Staatsanwaltschaft. Im Januar 2023 gab das Landgericht dann bekannt, ab April soll verhandelt werden.

Fast fünf Jahre Wartezeit also, für die Betroffenen, die endlich wissen wollen, wie genau sie infiziert wurden. Aber auch für den Angeklagten sei diese lange Zeit, so sein Anwalt David Herrmann, eine "irrsinnige Belastung" gewesen.

Wie der Skandal an die Öffentlichkeit kam

Im Oktober 2018 war das Donau-Rieser Landratsamt mit seinem Verdacht in Absprache mit der Augsburger Staatsanwaltschaft an die Presse gegangen. Man müsse potenziell betroffene Patientinnen und Patienten warnen, so die Begründung damals. In den Wochen zuvor hatte es mehrere Hepatitis-C-Infektionen im Landkreis gegeben. Die Infektion ist meldepflichtig, deshalb war die Häufung aufgefallen.

Man ging dem nach und stellte fest: Alle Infizierten hatten eine Gemeinsamkeit. Sie waren am Donauwörther Krankenhaus operiert worden - und zwar vom selben Anästhesist behandelt worden. Der war, so hatte man es zwischenzeitlich festgestellt, mit Hepatitis C infiziert. Bei seiner letzten routinemäßigen Blutuntersuchung hatte er das Virus noch nicht in sich getragen. So konnte man den Zeitraum feststecken, in dem er möglicherweise ansteckend war. Die Ermittlungen ergaben: Von November 2016 bis Februar 2018 war der entsprechende Zeitraum. Da war der Arzt an über 1.700 Operationen beteiligt. Das Gesundheitsamt schrieb alle betroffenen Patientinnen und Patienten an und forderte sie auf, ihr Blut testen zu lassen. In der Folge stieg die Zahl der Infizierten bis auf über 60 an.

Für 51 von ihnen konnte anhand der Genanalyse und Bestimmung des Phänotyps eindeutig nachgewiesen werden, dass sie sich an ein und derselben Quelle infiziert haben mussten - mutmaßlich dem Anästhesisten. Der Fall sorgte bundesweit für Schlagzeilen in den Medien.

Arzt unauffällig - bis er mit Spritze im Arm erwischt wird

Der Narkosearzt arbeitete zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr am Donauwörther Krankenhaus, wo er zuvor etwa zehn Jahre lang beschäftigt war. Er war bereits seit Februar 2018 freigestellt worden. Damals hatte ihn eine OP-Schwester mit einer Spritze im Arm erwischt, so Jürgen Busse, Vorstand des gemeinsamen Kommunalunternehmens (gKu), dem das Krankenhaus angehört. Der Arzt gab demnach zu, süchtig zu sein. Dass er an Hepatitis C erkrankt war, habe er nicht gewusst.

Seine Kollegen sagten, sie hätten von der Sucht nichts mitbekommen. Man stehe bei der Arbeit unter enorm hohen Druck. Wenn man viele Nachtschichten habe und wegen der extrem hohen Belastung viel Kaffee trinke, komme es schon mal vor, dass man zittere. "Da war nichts festzustellen, nicht so, dass es aus dem Rahmen gefallen wäre", so Chefarzt Ludwig Düthorn im BR-Interview kurz nach Bekanntwerden der Vorfälle. Der Medikamentenschrank sei verschlossen, es werde vorschriftsmäßig Buch geführt, wenn etwas entnommen würde. Wie der Arzt sich an den Medikamenten bedient haben könnte, sei ihm und dem Personal ein Rätsel.

Psychische und physische Auswirkungen für die Infizierten

Einigen Betroffenen fiel es bei Bekanntwerden des Falls wie Schuppen von den Augen. Zunächst hatten sich einige ihren Zustand nämlich nicht erklären können. Ein Betroffener sagte dem BR, er habe sich extrem schlecht gefühlt. Eine Blutuntersuchung habe dann ergeben, dass er mit Hepatitis C infiziert sei. Allerdings habe er sich nicht erklären können, wie das passiert sein könnte. Hepatitis C kann über Blut oder beim Sex übertragen werden. Seine Frau habe ihn gefragt, ob er fremdgegangen sei.

Bei einer anderen Patientin wurden nach ihrer Brustkrebs-OP schlechte Leberwerte festgestellt. Eine Blutuntersuchung auf Hepatitis C war zunächst negativ - es war noch zu früh, stellte man später fest. Sie konnte damals ihre Chemo wegen der schlechten Blutwerte nicht durchführen, so die Frau. Als sie den Brief vom Gesundheitsamt erhielt, ließ sie sich erneut auf Hepatitis C testen und war positiv. Danach habe sie nichts mehr vom Amt gehört, so die Patientin.

Allein gelassen mit ihrer Erkrankung fühlte sich auch eine Infizierte aus Wemding. Bis heute leide sie an Erschöpfungszuständen, ihre Hände seien noch immer zittrig. Sie habe lange nicht arbeiten können. Auch psychisch habe sie das alles sehr mitgenommen.

Medikamente mit großer Heilungschance aber Nebenwirkungen

Einige klagten außerdem über starke Nebenwirkungen durch die Medikamente, die sie zur Behandlung der Infektion einnehmen mussten. Wirksame Medikamente gegen Hepatitis C gibt es erst seit einigen Jahren. Eine akute Infektion wird nicht immer bemerkt, weil sie oft nur zu leichten Beschwerden führt. Bei rund einem Viertel der Infizierten heilt sie nach einigen Monaten von selbst aus. Wird die Infektion allerdings chronisch, kann sie zu schweren Leberschäden bis hin zur Leberinsuffizienz und Leberzirrhose führen. Auch das Risiko, an Leberkrebs zu erkranken, wird stark erhöht. Durch eine rechtzeitige Behandlung mit den neu entwickelten Medikamenten können medizinischen Studien zufolge aber nahezu alle Infizierten geheilt werden. Die Therapie dauert in der Regel mehrere Wochen.

Betroffene haben bereits Schmerzensgeld erhalten

Zivilrechtlich ist der Fall bereits abgeschlossen. Die Betroffenen und ihre Anwälte einigten sich außergerichtlich mit der Versicherung des Krankenhauses. Je nach Grad der Erkrankung erhielten sie bis zu 20.000 Euro Schmerzensgeld und Schadenersatz. Ob die Versicherung auf diesen Kosten sitzen bleibt, ist ungewiss.

Auch die Krankenkassen kostete der Fall viel Geld, die Medikamente gegen Hepatitis C sind teuer, da kommen mehrere tausend Euro pro Patient zusammen. Bisher haben die Versicherungen für Schmerzensgeld und Medikamente gezahlt. Allerdings gilt das in der Regel nur für den Fall, dass der damals beim Krankenhaus angestellte Arzt fahrlässig gehandelt hat. Angeklagt ist er allerdings wegen vorsätzlicher Körperverletzung. Würde der deshalb auch verurteilt, müsste der Mediziner theoretisch selbst für die Kosten aufkommen.

Prozess soll offene Fragen klären

Wie es zur Übertragung kam, ob er von seiner Hepatitis-C-Erkrankung wusste - und ob sein Handeln fahrlässig oder vorsätzlich war: All das soll vor Gericht geklärt werden. Die Beweisaufnahme im Prozess zum Hepatitis-Skandal am Klinikum Donauwörth wird umfangreich. Mehr als 60 Zeugen und vier Sachverständige sollen befragt werden, außerdem vier Sachverständige. Des Weiteren sind laut Gericht zehn Geschädigte in dem Prozess als Nebenkläger zugelassen worden. Es sind zunächst zwölf Verhandlungstage geplant. Ein Urteil könnte Mitte Juli fallen.

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