Kundgebung gegen Armut in Nürnberg
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Kundgebung gegen Armut in Nürnberg: Wenn das Geld nie reicht

In Bayern ist jede vierte Frau über 65 Jahre von Armut betroffen. Damit sei der Freistaat bei diesem Thema Schlusslicht in ganz Deutschland, heißt es vom Deutschen Gewerkschaftsbund. Um das zu ändern, haben Betroffene heute in Nürnberg demonstriert.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Es sind am Ende nur 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die sich vor dem bayerischen Ministerium für Finanzen und Heimat in Nürnberg versammeln. Sie nehmen an der Kundgebung zu der das Bündnis "Wir transformieren Bayern" aufgerufen hat, teil. Das Bündnis setzt sich aus Gewerkschaften, Sozialverbänden und kirchlichen Institutionen in Mittelfranken zusammen.

Das Thema sei groß, der Zeitpunkt schwierig, gibt Stephan Doll, Geschäftsführer des DGB Mittelfranken zu. Der Ort aber, nämlich vor dem Bayerischen Finanzministerium, richtig: Dort müsse gehört werden, erklärt der Gewerkschafter, dass gleiche Lebensverhältnisse nicht nur in der bayerischen Verfassung niedergeschrieben, sondern auch ermöglicht werden müssen. Diese treffe aber schon lange nicht mehr auf alle Bevölkerungsgruppen zu so Doll: Frauen in Rente, Menschen mit Behinderung, Alleinerziehende, Kinder – sie alle seien immer stärker von Armut betroffen.

Zwei Jobs und trotzdem aufstocken

Julia kommt von der Arbeit direkt zur Kundgebung im Herzen Nürnbergs. Vormittags hilft die alleinerziehende Mutter zweier Kinder im Kindergarten aus, abends erledigt sie die Büroarbeit eines Gerichtsvollziehers. Das Geld reiche trotzdem nicht, schlüsselt sie im BR-Interview auf: "Ich muss mit Wohngeld aufstocken, dabei insgesamt drei Einkommensnachweise pro Antrag einreichen und warte nun schon seit vier Monaten auf einen Beschluss und damit auf das Geld", so die 36-jährige.

Wenn dieses Geld käme, blieben ihr wenigstens kleine Rücklagen für Reparaturen, Schulsachen, neue Kleidung, Ausflüge für die Kinder, schildert die Nürnbergerin. Jetzt müsse sie jeden Cent umdrehen, seit sie sich von ihrem Mann 2018 getrennt hat.

Armut ein Gesicht geben

Die Alleinerziehende möchte nicht mit ihrem vollen Namen genannt werden. Ihre Kinder seien ohnehin schon stigmatisiert, weil sie bei vielen Unternehmungen einfach nicht dabei sein könnten, sagt sie. Und dennoch bringt sie den Mut auf, vor dem Ministerium für Finanzen auf die Bühne zu gehen und öffentlich über ihren Weg in die Armut zu sprechen.

Julia schildert auch die alltäglichen Folgen von Armut für ihre Familie. Sie fordert auf dem Podium einen erleichterten Zugang zu Hilfsangeboten, eine zentrale Anlaufstelle für Armutsbetroffene und weniger überfordernde Antragsregularien.

Auch ländlicher Bereich betroffen

Armut ist schon lange kein großstädtisches Problem mehr, erklärt Michael Groß, Geschäftsführer der Caritas Nürnberger Land, im Gespräch mit dem BR. Mit der Teuerung auf dem Wohnungsmarkt seien schon vor Jahren Familien aus Nürnberg in die Region gezogen, um günstigere Angebote zu finden.

Die Corona-Pandemie, der Krieg in der Ukraine, die steigende Inflation und die extremen Energiekosten hätten dazu beigetragen, dass sich inzwischen Menschen-Trauben vor der Armutsberatung der Caritas in Lauf bildeten. Dort wende man in 65 Prozent der Fälle den Verlust der Wohnung gerade noch ab, weil das Geld oft nicht mehr für die Miete reicht, erklärt der Geschäftsführer.

"Die Menge der Bedürftigen ist schlichtweg nicht mehr zu schaffen. Wir können das personell gar nicht stemmen. Unsere Mitarbeiter sind am Anschlag." Michael Groß, Geschäftsführer Caritas Nürnberger Land

Umverteilung gefordert

In seiner Rede erklärte der Geschäftsführer des DGB Mittelfranken, Stefan Doll, Armut sei eine Form struktureller Gewalt. Sie halte die Betroffenen von jeglicher Teilhabe am gesellschaftlichen Leben fern. Es könne nicht sein, dass sich Bürgergeld-Bezieher fragen müssen, wie man für 5,20 Euro täglich Essen auf den Tisch bekommen soll.

Doll forderte eine "Entreichung" der Superreichen. "Und weil sich immer mehr Arbeitgeber aus den Tarifverträgen stehlen, kommt es immer häufiger zu Armut bei Beschäftigten", wettert der Gewerkschafter. Gänzlich vergessen würden außerdem Menschen mit Behinderung, Verunfallte und Erwerbslosenrentner – das sei gegen die Bayerische Verfassung, sagte Doll und kündigte vor der Landtagswahl im Oktober einen umfangreichen Forderungskatalog an.

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