Mehrere Gesetzestexte stehen auf einem Schreibtisch.
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Das Bundesjustizministerium will Extremisten als Schöffen verhindern

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Extremisten bei Schöffenwahl: Wenig Kontrolle der Bewerber

In Deutschland werden 60.000 Schöffenposten neu besetzt. Diese Gelegenheit wollen Extremisten nutzen: Sie haben zur Bewerbung aufgerufen. Ein neues Gesetz soll verhindern, dass sie ins Amt kommen. Ob das klappt, ist fraglich.

"Weitestgehend konsensfähig." So nennt Straubings Oberbürgermeister Markus Pannermayr (CSU) die Vorschlagsliste zur Schöffenwahl. Es ist ein Dienstagabend, Anfang Mai. Der Straubinger Stadtrat soll über die Liste abstimmen. 34 Personen stehen darauf, die als mögliche neue Schöffen dem Amtsgericht vorgeschlagen werden sollen. Aber nur 33 Personen von ihnen werden gewählt. Den AfD-Politiker Konrad Denk lehnen die Stadträte ab. Eine andere Person wird stattdessen gewählt.

Extremisten haben zur Bewerbung aufgerufen

Bundesweit werden derzeit neue Schöffen gewählt. Es geht um 60.000 Posten. In Bayern sind es rund 5.000. Ab kommendem Jahr werden die Schöffen dann gleichberechtigt mit dem Berufsrichter auf der Richterbank Platz nehmen und über Recht und Unrecht entscheiden, über Freiheit und Strafe. Es ist ein verantwortungsvolles Ehrenamt, das offenbar genau deswegen auch für Extremisten interessant ist.

Recherchen des BR-Politikmagazins "Kontrovers" haben im Frühjahr gezeigt, dass extreme und extremistische Gruppierungen ihre Anhänger dazu aufgerufen haben, sich zu bewerben. Die Kleinstpartei "Freie Sachsen" etwa schrieb in einer Telegram-Gruppe, "linken Hobby-Richtern" solle das Amt nicht überlassen werden. Die "Freien Sachsen" werden bundesweit vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestuft. Auch die "Freie Linke" rief auf Twitter zur Bewerbung auf, sowie Abgeordnete der AfD und ein Anwalt der Querdenken-Szene.

Bundesjustizminister will extremistische Schöffen verhindern

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) will nun das Richtergesetz ändern. Das Bundeskabinett hat den Entwurf in der vergangenen Woche beschlossen, mit dem Ziel, die Rechtsstaatlichkeit auf nationaler Ebene zu fördern. Demnach darf niemand zum Schöffen berufen werden, der nicht gewährleisten kann, jederzeit "für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes" einzutreten. Die Behörden sollen das bei Bewerbern in Zukunft abfragen.

Allerdings: Wie das kontrolliert werden soll, ist fraglich. Das Bundesjustizministerium verweist auf Anfrage des BR-Politikmagazins "Kontrovers" auf die Zuständigkeit der Länder. Die Überprüfung der Verfassungstreue "wird durch die Länder in eigener Verantwortung wahrgenommen", heißt es.

Behörden kontrollieren Bewerber nicht immer

Kontrovers-Recherchen zeigen aber: Nicht alle beteiligten Stellen nehmen diese Verantwortung in gleicher Weise wahr.

Grundsätzlich werden Schöffen in einem mehrstufigen Verfahren gewählt. Zunächst müssen sich Interessierte bewerben und ein spezielles Formular ausfüllen. In Bayern mussten Bewerberinnen und Bewerber darauf schon in diesem Jahr versichern, dass sie keiner extremistischen Vereinigung angehören oder diese unterstützen. Die Gemeinden erstellen aus den Bewerbungen eine Vorschlagsliste.

Auf dieser müssen mindestens doppelt so viele Personen stehen, wie Posten im Gerichtsbezirk neu besetzt werden. Die Vorschlagslisten werden daraufhin öffentlich ausgelegt, sodass Bürger Einspruch erheben könnten. Anschließend werden die Listen mitsamt den eingegangenen Hinweisen an die Amtsgerichte weitergeleitet, wo ein Schöffenwahlausschuss die finale Auswahl trifft.

Bei all diesen Stufen soll die Verfassungstreue geprüft werden. Aber nicht überall ist das gleichermaßen der Fall.

Tausende Bewerbungen bei bayerischen Städten

Der Bayerische Rundfunk hat bei den elf größten bayerischen Städten nachgefragt, wie viele Personen sich beworben haben und wie die Vorschlagslisten erarbeitet wurden. Das Ergebnis: Einige der Gemeinden, etwa München, Landshut oder Augsburg haben alle Bewerber an das zuständige Gericht weitergeleitet. Andere, wie Fürth, Bamberg oder Bayreuth haben zwar eine Vorauswahl getroffen, dabei allerdings viel mehr darauf geachtet, dass die Angaben im richtigen Formular übermittelt wurden, vollständig waren oder die Bewerber einen Querschnitt der Bevölkerung abbilden.

Bei keiner der Städte ging ein Hinweis aus der Bevölkerung auf eine mögliche extremistische Gesinnung eines Bewerbers ein. In keiner der Städte wurde ein Bewerber oder eine Bewerberin abgelehnt, weil sie eine extremistische Gesinnung hatte. Die Frage ist nun: Gab es keine extremistischen Bewerber oder sind diese durchgerutscht?

Bewerber der AfD abgelehnt

Klar ist: In einigen Gemeinden wurde durchaus über einzelne Kandidaten diskutiert, in Straubing zum Beispiel, wo der Kandidat der AfD abgelehnt wurde. In den Augen einiger Mitglieder des Stadtrates hatte er sich in der Vergangenheit nicht ausreichend von einem Schriftsteller distanziert, der in seinen Texten Hitler verherrlicht hatte.

Auch in der thüringischen Stadt Sonneberg, nahe der bayerischen Grenze, wurde ein AfD-Kandidat abgelehnt. Im baden-württembergischen Offenburg wurde über zwei AfD-Mitglieder und einen bekannten Querdenker diskutiert. In Regensburg hat man einen Aktivisten der "Letzten Generation" als Jugendschöffen abgelehnt.

Der Bayerische Verfassungsschutz teilt auf Kontrovers-Anfrage mit, er habe keine Erkenntnisse darüber, dass sich Extremisten für das Schöffenamt beworben haben. Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz hat das nicht festgestellt.

Letzte Entscheidung liegt bei Schöffenwahlausschüssen

Mittlerweile liegen alle Vorschlagslisten bei den zuständigen Amtsgerichten. Manche haben ihre Schöffen bereits gewählt, bei anderen wird in den kommenden Wochen entschieden. Der Wahlausschuss beantragt auch Informationen aus dem Bundeszentralregister. Dann würde auffallen, wäre eine Bewerberin oder ein Bewerber bereits wegen einer rassistisch oder extremistisch motivierten Straftat verurteilt worden.

Allerdings: Weil an die Gerichte zum Teil so viele Bewerber weitergeleitet werden, stellen manche die Abfrage erst nach der Wahl für die gewählten Schöffen.

Extremisten sind schon Schöffen geworden

In der Vergangenheit sind so bereits Schöffen ins Amt gekommen, die nicht auf dem Boden der Verfassung standen. 2016 wurde etwa am Landgericht München I ein Schöffe aus dem Amt enthoben, weil er eine Reichsflagge auf seiner Terrasse hissen wollte. 2021 wurde eine Schöffin am Landgericht Amberg ebenfalls des Amtes enthoben, weil sie Deutschland als "Firma" bezeichnete.

Der Gesetzentwurf von Bundesjustizminister Buschmann sieht nun vor, dass ein Gericht als fehlerhaft besetzt gilt, wenn sich herausstellt, dass ein Schöffe nicht verfassungstreu ist. Das Urteil kann angefochten werden.

Ein Richter, der lange Jahre auch Schöffen betreut hat, verweist im Gespräch mit "Kontrovers" darauf, dass schon jetzt offensichtlich ungerechtfertigte Entscheidungen angefochten werden können. "Es ist ja auch schwer, ein Urteil zu begründen, hinter dem man nicht steht." Außerdem haben Richter bei Problemen einen Prozess schon neu aufgerollt – mit neuen Schöffen. "Die Justiz wird mit den Leuten fertig", sagt er. In den meisten Fällen aber habe man mit den Schöffen kein Problem.

Im Video vom 8. März 2023: Schöffen: Gesucht, gewählt, unterwandert?

Justizia auf einem Gerichtsgebäude
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Schöffen: Gesucht, gewählt, unterwandert?

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