Treibhausgase geraten nicht nur wie auf dem Foto nicht nur über hohe Industrieschlote in die Luft.
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Treibhausgase geraten nicht nur wie auf dem Foto nicht nur über hohe Industrieschlote in die Luft.

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Klimaschutz: Kommunen kämpfen mit dem CO2 - und mit den Bilanzen

Beim Klimaschutz lautet die Gretchenfrage: Wie hältst Du's mit den Treibhausgasen? Immer mehr Kommunen wollen wissen, wie ihre Emissions-Zahlen aussehen. Die Bilanzen fallen sehr unterschiedlich aus. Denn hier werden Äpfel mit Birnen verglichen.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Oberbayern am .

Die Energieagentur Nordbayern hat schon für etliche Städte ausgerechnet, um wie viel Prozent sie ihre CO2-Emmissionen seit der deutschen Wiedervereinigung gesenkt haben. Ingolstadt schneidet dabei auf den ersten Blick schlecht ab, Fürth ein bisschen besser und Nürnberg richtig gut. Woran liegt das?

Entscheidend ist die Lesart

Über diese Frage kann Wolfang Seitz von der Energieagentur Nordbayern lange Referate halten, doch seine kurze Antwort lautet: "Es kommt darauf an, was man vergleicht!" Seitz verdeutlicht das am Beispiel von Nürnberg, Fürth und Ingolstadt. Für alle drei Kommunen hat seine Agentur jeweils Treibhausgas (THG)-Bilanzen erstellt. Die hierbei erfassten Zahlenreihen sind lang und müssen richtig gelesen werden.

Vergleicht man zum Beispiel bei den drei Städten die Treibhausgas-Emissionen insgesamt, also die absoluten Zahlen, so sieht es in Ingolstadt schlecht aus. Die Stadt hat nur fünf Prozent eingespart seit der Wiedervereinigung und liegt damit auf dem letzten Platz der drei Städte. Fürth konnte immerhin acht Prozent einsparen und Nürnberg sensationelle 44 Prozent. Damit wäre Nürnberg sogar deutlich besser als der Bundesdurchschnitt. Der liegt bei 40 Prozent CO2-Einsparung.

Vergleichsstart ab der Wiedervereinigung

Viele CO2 Bilanzen starten 1990, also nach der Wiedervereinigung. Für Wolfgang Seitz von der Energieagentur Nordbayern ist das genau der richtige Zeitpunkt. Diese Zeit bildet eine Zäsur. Nicht nur politisch, sondern auch beim Energieverbrauch.

"Wenn man sich eine Gemeinde in den neuen Bundesländern anschaut. Die hatten ab 1990 einen relativ großen Schwund an der Bevölkerung. Die hatten auch gleichzeitig einen relativen Niedergang der Industrie. Da gehen natürlich der Energieverbrauch und in der Folge die Emissionen zurück, ohne dass irgendwelche Effizienzmaßnahmen gemacht worden sind. Genau die gegenteilige Entwicklung hat Ingolstadt erlebt." Wolfgang Seitz von der Energieagentur Nordbayern

Industrieanteil entscheidend für THG-Bilanz

Ein wichtiger Faktor in der Treibhausgasbilanz ist der Anteil der Industrie am Energieverbrauch. Weil Ingolstadt seit der Wiedervereinigung wirtschaftlich extrem zugelegt hat, konnte die Donaustadt ihre Treibhausgas-Emissionen in den vergangenen 30 Jahren kaum reduzieren. Hier gibt es überdurchschnittlich viel produzierendes Gewerbe, darunter große, energieintensive Industrie, allen voran Audi und die Raffinerie Gunvor. Nach Angaben der Stabsstelle Klima der Stadt Ingolstadt liegt der Anteil der Industrie bei Energieverbrauch und Emissionen bei fast 50 Prozent und damit deutlich über dem Bundesdurchschnitt von knapp 20 Prozent.

Eine andere Zahl nennt die Energieagentur Nordbayern. Sie verweist darauf, dass in Ingolstadt 44 Prozent der Erwerbstätigen im produzierenden Gewerbe arbeiten, viele davon wohnen außerhalb von Ingolstadt, werden aber für die Statistik hier mitgezählt. In den fränkischen Kommunen liegen die Vergleichszahlen deutlich niedriger: In Fürth arbeiten 22 Prozent der Erwerbstätigen im produzierenden Gewerbe, in Nürnberg sogar nur 14 Prozent.

Bevölkerungsentwicklung schlägt auf Emissionen durch

Ein wichtiger Faktor ist auch die Bevölkerungsentwicklung. Seit 1990 wuchs die Bevölkerung in Ingolstadt um 30 Prozent. Noch deutlicher ist der Anstieg bei der Zahl der Menschen, die in Ingolstadt ihrer Arbeit nachgehen. Hier werden auch Menschen erfasst, die außerhalb der Stadtgrenze leben, aber in Ingolstadt arbeiten: Die Zahl der der Erwerbstätigen erhöhte sich deshalb in Ingolstadt sogar um 60 Prozent. Die Vergleichszahlen fallen in den fränkischen Kommunen deutlich niedriger aus: In Fürth wuchs die Einwohnerzahl seit der Wiedervereinigung um 20 Prozent, in Nürnberg lediglich um fünf Prozent.

Abstand hängt vom Vergleichswert ab

Vergleicht man jedoch die Treibhausgas-Einsparungen pro Einwohner, reduziert sich der Abstand zwischen den Kommunen deutlich: Dann liegen Ingolstadt und Fürth gleichauf bei einer Einsparung von 24 Prozent. Nürnberg bleibt aber auch dann Spitzenreiter: Seit der Wiedervereinigung hat die Mittelfrankenmetropole ihren Treibhausgas-Ausstoß pro Einwohner sogar um 47 Prozent gesenkt.

Nürnberg und die Fernwärme

Für die Vorreiterrolle Nürnbergs in der THG-Bilanz gibt es viele Gründe. Der relativ niedrige Industrieanteil und das geringe Einwohnerwachstum sind nur zwei. Ein wichtiger Faktor ist auch, dass Nürnberg im großen Stil Fernwärme einsetzt.

"1990 war Kohle noch der wichtigste Energieträger in Nürnberg. Doch seit Mitte der 2010er Jahre nutzt Nürnberg Biomasse, sprich Biomasse und die Abwärme vom Müllheizkraftwerk. Das ist eine Rieseneinsparung. Dazu kommt, dass das Gewerbe in Nürnberg nicht so energieintensiv ist wie in Ingolstadt. All diese Punkte beeinflussen die THG-Bilanz." Wolfgang Seitz von der Energieagentur Nordbayern

Keine landesweiten Zahlen verfügbar

Wo München und viele andere Städte in diesem Vergleich liegen, lässt sich nicht exakt sagen. Denn es fehlen die genauen Vergleichswerte. Es mangelt an landes- und bundesweit einheitlichen Erhebungen. Wie das Landesumweltministerium auf Anfrage des Bayerischen Rundfunks einräumt, hat das Ministerium keine Gesamtschau über die Treibhausgasbilanzen der bayerischen Kommunen. Wie weit die Städte und Gemeinden mit der CO-Reduktion sind, müsse man deshalb bei jeder Kommune einzeln erfragen, schreibt das Umweltministerium. Doch auch das ist nicht möglich. Denn es gibt unterschiedliche Erhebungsmethoden. So hat zum Beispiel München für seine Treibhausgas-Bilanz einen anderen Vergleichszeitraum gewählt als Ingolstadt und Nürnberg.

Hoher Industrieanteil als Chance

Fest steht: Der Rucksack auf dem Weg zu mehr Klimaschutz ist für die Städte unterschiedlich schwer. Mit den schwersten hat Ingolstadt. Doch Petra Kleine, als dritte Bürgermeisterin in Ingolstadt zuständig für Umwelt und Klima, lässt sich davon nicht entmutigen. Ihr Klimaziel für Ingolstadt lautet: Klimaneutralität bis 2035. Ende März entscheidet der Stadtrat über ihre Beschlussvorlage. Kleine betrachtet den hohen Anteil der Industrie an den Treibhausgasen sogar als Chance:

"Ja. Der Anteil der Industrie an unserer Treibhausgasbilanz liegt bei rund 50 Prozent. Aber wir wissen, dass Audi bis 2025 zumindest bilanziell klimaneutral sein möchte. Also auch mit Kompensationen und Zertifikaten. Aber: Wenn Audi das schafft, dann hätte der Autobauer dann noch zehn Jahre bis 2035, um tatsächlich auch den Energieverbrauch zu reduzieren und den Energieverbrauch zu ersetzen. Das heißt: Wir setzen darauf, dass in der Industrie ein ganz hohes Innovationspotenzial liegt. Und auch Gunvor steckt in einer Transformation hin zu grünem Wasserstoff." Petra Kleine, Ingolstadts dritte Bürgermeisterin, zuständig für Umwelt und Klima

Private Haushalte und Verkehr bilden Herausforderungen

Umweltbürgermeisterin Kleine weiß, dass sie bei der THG-Bilanz nur einen Bruchteil der Emissionen direkt beeinflussen kann. So verursachen die kommunalen Liegenschaften wie Schulen oder Kindergärten gerade mal zwei Prozent der CO2-Emissionen. Sie sollen durch Sanierungen und den Einsatz von Photovoltaik bereits 2030 klimaneutral sein.

Einfluss nehmen will Kleine auch auf den Verkehr. Sie will den ÖPNV attraktiver machen. Hilfreich ist hier, dass das Bundesverkehrsministerium den Verkehrsverbund Großraum Ingolstadt in ein Förderprogramm aufgenommen hat. In die Modellregion Ingolstadt fließen deshalb in den kommenden drei Jahren aus Berlin 29 Millionen Euro für den öffentlichen Nahverkehr. Mehr Linien, bessere Takte und mehr Digitalisierung solle es dafür geben. Doch damit Ingolstadt seine Verbrenner-Busse gegen E-Busse austauschen kann, braucht es laut der Umweltbürgermeisterin noch weitere Fördermittel:

"Der Klimawandel findet in der Kommune statt. Also im ÖPNV und in den Sanierungen der Gebäude. Dafür brauchen wir die Förderung vom Bund." Petra Kleine, Ingolstadts dritte Bürgermeisterin, zuständig für Umwelt und Klima

Ruf nach mehr Fördermitteln

Auf zusätzliche Fördermittel hofft die Umweltbürgermeisterin auch für die Haus- und Wohnungseigentümer. Petra Kleine will, dass mehr private Haushalte ihre Gebäude energetisch auf den neuesten Stand bringen. "Die Sanierungsquote muss von ein auf vier Prozent steigen." Dafür will Petra Kleine die Beratung verstärken. So genannte Klima-Karawanen sollen von Haustür zu Haustür gehen, die Eigentümer über Sanierungspotenzial beraten und natürlich auch auf Förderprogramme hinweisen.

Aktuell arbeitet die Umweltbürgermeisterin an einer Beschlussvorlage für den Stadtrat. Der entscheidet Ende März darüber, ob Ingolstadt sich - trotz des schweren CO2-Rucksacks - tatsächlich das Ziel zutrauen soll, schon bis 2035 klimaneutral zu werden. Die Klimabürgermeisterin hält es für eine riesige Herausforderung, aber bei vollem Einsatz für knapp machbar.

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