Eine Hebamme tastet den Bauch einer Schwangeren ab.
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Vorsorgeuntersuchung im Geburtshaus Rosenheim.

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"Jede Geburt ist so kraftvoll": Einblicke in den Hebammen-Alltag

Es gibt genug Hebammen, aber viele sind ausgebrannt. Außerklinische Geburten nehmen zu, die Anforderungen an die Berufsgruppe steigen. Und doch zeigt sich auch am diesjährigen Internationalen Hebammentag: Die meisten lieben ihre Arbeit.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Oberbayern am .

Vorsorgeuntersuchung im Geburtshaus Rosenheim: Julia Aerzbäck ist mit ihrem zweiten Kind schwanger. Sie liegt im Doppelbett, das im gemütlich eingerichteten Geburtsraum steht. Bunte Vorhänge, Kerzen, Duftlampen, gedimmtes Licht sorgen für eine beruhigende, angenehme Atmosphäre. Hebamme Bettina Eilhardt setzt sich zu der Schwangeren. Erst tastet sie deren Bauch ab, fühlt, wie groß die Gebärmutter schon ist, wie das Baby im Bauch liegt. Dann kontrolliert sie mit einem kleinen, tragbaren Handgerät via Ultraschall die Herztöne des Babys. Das Herzchen schlägt. Die werdende Mutter strahlt.

"Hebamme für Schwangerschaft und Geburt das Allerwichtigste"

Hebamme Bettina Eilhardt und Julia Aerzbäck kennen sich schon von der ersten Schwangerschaft und Geburt. Für Julia war gleich klar: Sie möchte auch ihr zweites Kind wieder im Geburtshaus entbinden, außerklinisch also. Eine der Besonderheiten: Die Frau wird dabei rundum versorgt, von der Schwangerschaft über die Geburt bis hin zum Wochenbett von immer derselben Hebamme.

Diese Eins-zu-eins-Betreuung findet Julia Aerzbäck "total schön". Die Geburt sei sowieso immer eine Überraschung. Das Geburtshaus gebe ihr aber Sicherheit. Denn sie kenne bereits die Räumlichkeiten, sie wisse, ihre Hebamme Bettina werde sie empfangen und unterstützen. "Das ist total schön, kann ich jedem nur empfehlen. Ich finde, eine Hebamme ist für die Schwangerschaft und Geburt das Allerwichtigste."

Rosenheimer Geburtshaus setzt auf Natürlichkeit und Ruhe

Das Rosenheimer Geburtshaus gibt es seit fast 25 Jahren. Rund 2.600 Babys sind hier schon auf die Welt gekommen. Das Team der Hebammen ist klein: Sechs gibt es, die sich um Schwangerschaftsvorsorgen, Kurse und die Betreuung im Wochenbett kümmern. Auch für Frauen, die nicht im Geburtshaus entbinden.

Nur drei der Hebammen leisten Geburtshilfe. Eine von ihnen ist Bettina Eilhardt, die die Natürlichkeit und die Ruhe bei den außerklinischen Geburten schätzt. "Unsere größte Sicherheit ist, dass wir nicht eingreifen in den Geburtsprozess, sondern begleitend dabei sind. Das ist uns ganz wichtig, weil wir wissen, dass die Geburt leichter verläuft, wenn die Frau sich frei bewegt. Von daher brauchen wir auch ganz viele Interventionen gar nicht."

Ein friedlicher Start ins Leben

Ohne Schmerzmittel, ohne Narkose, ohne Kaiserschnitt und ohne Arzt kommen die Babys außerklinisch auf die Welt. Dafür mit einer Eins-zu-Eins-Betreuung durch die bereits bekannte Hebamme. Theresa Donauer, die ebenfalls im Geburtshaus Rosenheim arbeitet, verweist auf Studien der Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe. "Wir haben außerklinisch immer sehr gute Zahlen. Den Kindern, die hier geboren werden, geht es genauso gut wie Kindern, die in der Klinik auf die Welt kommen. Und den Mamas geht es besser nach der Geburt im Geburtshaus oder bei einer Hausgeburt. Das zeigen die Zahlen und da sind wir immer sehr dankbar dafür."

Auch Julia Aerzbäck freut sich auf die Geburt ihres zweiten Kindes in einigen Wochen. Denn an die ihres ersten Sohnes hat sie sehr gute Erinnerungen. Was ihr auch besonders gut gefällt: "Man ermöglicht dem Kind einen friedlichen Start ins Leben. Man kann erstmal kuscheln und ankommen. Es wird nicht gleich abgenabelt oder untersucht."

Bezahlung nicht adäquat, Haftpflicht fast unerschwinglich

Das alles schätzt auch Bettina Eilhardt. Sie liebt ihren Job als freiberufliche Hebamme. Trotz Rufbereitschaft, rund um die Uhr, an Sonn- und Feiertagen. Trotz vieler Geburten in der Nacht, trotz teils schlechter Bezahlung, trotz der extrem hohen Haftpflichtsumme von mehr als 12.000 Euro pro Jahr, die sie sich als Freiberuflerin erst mal erarbeiten muss.

Trotz all dieser Einschränkungen strahlt sie, wenn sie von ihrer Arbeit im Geburtshaus spricht. "Es ist so wunderschön, jede Geburt hier erleben zu dürfen. Jede Geburt ist so kraftvoll, jede Geburt ist anders. Das berührt mich als Hebamme. Hier arbeiten zu dürfen, ist mein großer Traum gewesen, neben den Hausgeburten. Aber das Geburtshaus ist für viele Frauen eine gute Alternative. Die Klinik hier in Rosenheim ist ja nur 500 Meter weiter. Wir haben ein gutes Verhältnis miteinander. Das klappt alles wunderbar."

Gute Zusammenarbeit mit nahe gelegener Klinik

16 Prozent der Frauen, die im Jahr 2022 in einem Geburtshaus oder zu Hause entbinden wollten, mussten während der Geburt in eine Klinik verlegt werden. Das zeigen die Zahlen der "Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe e.V.". 99 Prozent dieser Verlegungen passierten in Ruhe, nur bei einem Prozent gab es eine Notsituation.

Im Rosenheimer Krankenhaus arbeitet ein Team von 17 Hebammen im Schichtdienst. Eine von ihnen ist Brigitte Schuster. Sie oder eine ihrer Kolleginnen ist dabei, wenn eine Übergabe vom Geburtshaus ins Krankenhaus stattfindet. In der Klinik ist das gesamte Team auch 24/7 im Einsatz. Und bei einer Verlegung seien erst mal alle da: Hebamme, diensthabender Arzt, Oberarzt und oft auch noch ein Kinderarzt.

Ganz oft, erzählt Brigitte Schuster, gelinge es erfreulicherweise, dass die Geburt "normal", sprich durch eine Spontangeburt, zu Ende gebracht werde. Im Krankenhaus gebe es, anders als im Geburtshaus, die Möglichkeit einer Schmerzmedikation. Die bringe vielen Frauen Entspannung und dann komme das Baby doch noch auf natürlichem Wege auf die Welt.

Hebammenwesen seit einigen Jahren Studiengang

Im RoMed Rosenheim betreuen die Hebammen auch Geburten, bei denen nicht alles nach Plan verläuft. Anders als im Geburtshaus erleben sie hier Totgeburten, extreme Frühchen oder schwer kranke Neugeborene.

Das, so Kinderkrankenschwester und Hebamme Barbara Vodermaier, sei auch ein Grund dafür, warum der Hebammenberuf seit gut vier Jahren akademisiert ist. Seit Januar 2020 absolvieren Hebammen keine Ausbildung mehr, sondern ein Bachelorstudium, das an neun Hochschulstandorten in Bayern angeboten wird. Bis 2025 können die Hebammenschulen ihre Ausbildungsgänge noch beenden. Die Anforderungen an die Hebammen seien extrem gestiegen, so Vodermaier.

Im Rosenheimer Klinikum durchlaufen zwei Hebammenstudentinnen pro Jahrgang ihre praktische Ausbildung. Eine Win-win-Situation, findet Hebamme Brigitte Schuster. Die jungen Studentinnen lernen viel, aber auch die erfahrenen Hebammen lernen Neues, das die jungen Kolleginnen aus dem Studium mitbringen. Und bei den schwangeren Frauen, so Brigitte Schuster, seien die Studentinnen "sehr, sehr beliebt". Auch im Rosenheimer Geburtshaus absolvieren Hebammenstudentinnen einen Teil ihrer praktischen Ausbildung.

Arbeit der Hebamme geht nach der Geburt noch weiter

Familie Akgül ist zur Geburtsnachbesprechung bei Hebamme Elisabeth Steer. Die kleine Sarah ist Anfang März im Geburtshaus auf die Welt gekommen. Ihre Eltern Eva und Mikael denken sehr gern an diese ganz besonderen Stunden zurück. Sie seien ins Geburtshaus gekommen und hätten sich sofort wohlgefühlt. Die Geburt und die Stunden danach mit ihrer frischgeborenen Tochter seien sehr intim gewesen. Sie hätten überhaupt keine Scham empfunden und sich wie zu Hause gefühlt.

Elisabeth Steer hat Eva bei der Geburt betreut. Auch danach sind die Hebammen noch Ansprechpartnerinnen für die junge Familie. Zum Beispiel fürs Stillen, die Nachsorge bei Mama und Baby und auch die Rückbildung. Eva empfindet Hochachtung für ihre Hebamme Lisi und deren Kolleginnen: "Was die leisten, wie wenig Freizeit die haben, immer in Bereitschaft zu sein. Aber sie geben einem nie das Gefühl, gestresst zu sein oder die Fünfte am Tag. Sondern sie haben immer 100 Prozent Zeit für einen. Das ist wirklich sehr, sehr schön."

Forderung nach mehr hebammengeleiteter Geburtshilfe

Damit diese exklusive Betreuung durch Hebammen in Zukunft noch mehr Frauen zugutekommen kann, fordert der Bayerische Hebammenverband im Zuge der Krankenhausreform noch mehr hebammen-, statt ärztlich geleiteter Geburtshilfe. Sprich: Nicht nur bei außerklinischen Geburten, sondern auch in den Krankenhäusern sollen bei gesunden, normal verlaufenden Geburten allein die Hebammen zuständig sein, in sogenannten Hebammenkreißsälen. Unter anderem in Nürnberg, Dillingen, Kulmbach, München und seit heute auch in Vilsbiburg gibt es diese.

Im Gegensatz zu den üblichen Kreißsälen verlaufen in den Hebammenkreißsälen laut Bundesministerium für Bildung und Forschung die Geburten öfter ohne medizinische Interventionen, wie etwa Wehenmittel, Dammschnitt oder Saugglocke. Denn im Hebammenkreißsaal ist die Eins-zu-eins-Betreuung gesichert. Und diese Betreuung ist laut Hebammenverband der beste Garant für einen sicheren und natürlichen Geburtsverlauf.

Hebamme Sylvia Pellikan, die nach ihrer Zeit in einer Klinik jetzt auch im Team des Rosenheimer Geburtshauses arbeitet, weist darauf hin, dass vielen nicht bewusst sei, dass die Hebamme die fachkompetente Person für Geburten sei, nicht der Arzt oder die Ärztin. "Es muss eine Hebamme bei einer Geburt anwesend sein. Ein Arzt darf eine Geburt allein nicht leiten. Die Hebamme ist erst dann verpflichtet, einen Arzt hinzuzuziehen, wenn die Geburt nicht im gesunden Verlauf ist."

Video: Internationaler Hebammentag: Beruf mit viel Verantwortung – und einigen Schwierigkeiten

Schwangere mit Hebamme
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Schwangere mit Hebamme

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