Klassenzimmer mit Lehrerin und Schülern
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Demokratieerziehung an der Mittelschule Zellingen.

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Wichtig in Krisenzeiten: Demokratische Bildung an Schulen

Kriege, Proteste, Rassismus – an der Demokratie wird von vielen Seiten gerüttelt. Schwer zu entscheiden, wessen Aussagen man glauben soll. In den Schulen sind die Lehrkräfte dafür Bezugspersonen. Wie weit darf die Demokratiebildung dabei gehen?

Über dieses Thema berichtet: Regionalnachrichten aus Mainfranken am .

Die aktuelle Krisenlage in der Welt spiegelt sich auch in Schulen wider – so auch im unterfränkischen Zellingen an der Mittelschule: "Wir erleben, dass eine Positionierung unter den Schülern stattfindet, zum Beispiel, was die Problematik im Gazastreifen betrifft: Juden gegen Moslems, 'Free Palästina'-Rufe gehen durch die Schule", so beschreibt Lehrerin Anna Grigoleit die Situation, die sie im Unterricht aktuell erlebt. "Man unterrichtet nicht mehr nur Deutsch oder Geografie, sondern ist auch bei der Werteerziehung, Demokratiebildung viel mehr gefragt." Auch in ihrer Klasse treffen Jugendliche verschiedenster Herkunft und Sozialisierung aufeinander, für die die Einschätzung ihrer Lehrerin viel Gewicht hat. Eine Tatsache, die schulartübergreifend Bestand hat.

Aufklärung ja, Haltung nein – Beutelsbacher Konsens von 1976

Wie weit Lehrkräfte in Sachen Haltung und Meinungsbildung gehen dürfen, ist 1976 im baden-württembergischen Beutelsbach in einem Minimalkonsens festgehalten worden. Das ist kein Gesetz, aber bundesweit von den Ländern anerkannt.

Die drei Kernpunkte sind:

  • Schülerinnen und Schüler dürfen nicht von Meinungen überrumpelt und dadurch bei der Urteilsbildung beeinflusst werden.
  • Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers diskutiert werden.
  • Schülerinnen und Schüler müssen in die Lage versetzt werden, politische Situationen und eigene Interessen selbst analysieren zu können.

Dieser Konsens stößt immer wieder auch auf Kritik, da beispielsweise viel von der Lehrkraft abhängt, in welche Richtung die Unterrichtsinhalte gelenkt werden.

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Schülerinnen der 9. Klasse analysieren rechtsextremistische Internet-Memes

Gelebte Demokratie schon in der Grundschule

Für Frank Schiefer, zuständig für Politikdidaktik an der Uni Würzburg, ist es entscheidend, dass Demokratie nicht nur theoretisch gelehrt, sondern auch praktisch gelebt wird, schon in der Grundschule. Die Kinder könnten beispielsweise als eine Art Gemeindedetektive mit Kommunalpolitikern in den Austausch kommen: Mängel auf Spielplätzen, Gefahrenpotentiale auf dem Schulweg erkennen und in den Verbesserungsprozess mit einbezogen werden, um Verantwortung für die direkte Umwelt zu übernehmen. Wer von klein auf aktiv Teil demokratischer Prozesse ist, setzt sich auch als Jugendlicher und Erwachsener mit größerer Wahrscheinlichkeit mit den Strukturen auseinander, meint Schiefer.

Vorbild "Luxusschule" Zellingen

Nur 128 Schülerinnen und Schüler, eigener Sozialarbeiter, Profilschule Inklusion, Schule ohne Rassismus, im Klassenzimmer liegen aktuelle Infobroschüren zum Thema Demokratie aus – die Voraussetzungen an der Mittelschule Zellingen sind überdurchschnittlich. Dazu kommt, dass der Umgang zwischen Lehrkräften und Schülern familiär wirkt. Da an der Mittelschule - wie in der Grundschule - nach dem Klassleiter-Prinzip ein Lehrer komplett für eine Klasse zuständig ist, kennt man sich. Konflikte eskalieren in der Regel erst gar nicht. Schulleiterin Kerstin Schwarz ist es ein besonderes Anliegen, Demokratiebildung auch außerhalb des Stundenplans zu leben, wie zum Beispiel die Stärkung der Schülermitverwaltung als demokratisches Gremium an der Schule.

Lehrerverband: Demokratiebildung braucht Zeit und Raum

Christoph Rüttiger ist beim Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) in Unterfranken Abteilungsleiter für Schul- und Bildungspolitik. Er sieht zwar, dass sich die Schulen bemühen, oft aber Raum, Zeit und qualifiziertes Personal für die Demokratiebildung fehle. Ein eigenes Schulfach "Demokratieerziehung" sei in Bayern schon im Gespräch gewesen, was Rüttiger aber nicht für sinnvoll hält. Zu eingegrenzt und womöglich mit Leistungsnachweisen in Notenform, dazu viel auswendig Gelerntes – "das bringt uns nicht weiter". Auch, dass die Kultusministerkonferenz an jeden Schüler ein Grundgesetz für die Hosentasche verschenken will, hält er für Aktionismus: "Allein das Verschenken eines Buches reicht natürlich nicht aus, um kleine Demokraten aus unseren Schülern zu machen."

Als prinzipiell gut bewertet der BLLV den Ansatz der "Verfassungsviertelstunde", der auch im bayerischen Koalitionsvertrag steht. "Demokratieerziehung braucht einen verbindlichen Platz an der Schule – jedoch ohne Kürzungen." Man sei im Austausch mit der Staatsregierung, inwieweit eine Umsetzung möglich ist. Eine Stoppuhr sei dafür aber nicht nötig. "Wir brauchen die Zeit und den Raum, um Demokratie zu leben an den Schulen, und dafür sind wir im Moment noch zu wenig bereit."

Hinweis: Wir haben den Einstieg des Artikels überarbeitet, um die Schilderung unseres Reporters und die zitierten Eindrücke der Lehrerin klarer abzugrenzen (01.03.2024, 15:06).

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Anna Grigloeit (Lehrkraft), Christoph Rüttiger (BLLV) und Kerstin Schwarz (Schulleitung)

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