Frau sitzt am Telefon.
Bildrechte: picture alliance/dpa | Markus Scholz

Rund zehn Prozent mehr Anrufe erreichen die Telefonseelsorge in den Sommerferien.

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In der Ferienzeit: Mehr Anrufe bei der Telefonseelsorge

Während der Sommerferien erhalten die Ehrenamtlichen der Telefonseelsorge deutlich mehr Anrufe als sonst. Viele sind im Urlaub – den Daheimgebliebenen oder auch psychisch Kranken fehlt es an Ansprechpartnern und Hilfsangeboten.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Die Telefone der Ehrenamtlichen bei der evangelischen und katholischen Telefonseelsorge klingeln heiß. Sie sind für viele in den Sommerferien die einzigen Ansprechpartner. Ob bei familiären Konflikten, körperlichen Beschwerden oder psychischen Erkrankungen: Die Ehrenamtlichen sind rund um die Uhr erreichbar. Die katholische Telefonseelsorge in München verzeichnete rund 2.400 Anrufe und Chat-Kontakte im August – etwa zehn Prozent mehr als außerhalb der Ferien.

Mehr Anrufer in den Ferien: Routine greift nicht

Gerade jetzt, in den Sommerferien, ist der Andrang besonders hoch. Alexander Fischhold, Leiter der katholischen Telefonseelsorge im Erzbistum München und Freising, weiß, warum: "Es sind eher Menschen, die hierbleiben, die nicht unterwegs sind, die in solchen Momenten die Einsamkeit noch mal mehr spüren, wenn die Routine nicht greift. Da merkt man das Alleinsein deutlich mehr als sonst."

Die Nummer der Telefonseelsorge wählen vermehrt auch jüngere Menschen. Bei ihnen stellt Alexander Fischold häufiger Ängste fest als noch vor einigen Jahren: "Junge Menschen haben das Leben noch vor sich, sie sind in der Lebensplanung, schauen, wo es hingeht." Fischhold bemerkt, dass die Corona-Pandemie viele junge Menschen aus der Bahn geworfen habe. "Da hat jemand das Studium begonnen, aber niemanden kennengelernt, weil er zu Hause bei den Eltern saß."

Anrufer jeden Alters: Von Jugendlichen bis zu Senioren

Manche rufen sehr regelmäßig bei der Telefonseelsorge an. Die Mitarbeitenden sprechen mit Menschen jeden Alters und über jedes Thema: "Da hast du den 14-Jährigen im Chat, der Liebeskummer hat, und du hast den hochsuizidalen 80-Jährigen, der nicht mehr weiterweiß", bemerkt Alexander Fischhold.

Trotzdem kann die Telefonseelsorge eine psychotherapeutische Betreuung nicht ersetzen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bekommen zwar eine spezielle Ausbildung, sind in der Regel aber weder Ärzte noch Psychologen, so Fischhold: "Wir versuchen zu unterstützen, dass jemand für sich den nächsten Schritt geht, das ist es, was wir anbieten können: Zeit schenken."

Ein Grund: Auch Therapeuten sind im Sommer im Urlaub

Bei der evangelischen Telefonseelsorge München arbeiten rund 120 Ehrenamtliche im Schichtbetrieb. Rund 45 Anrufe und Chats pro Tag können sie bewältigen. Dabei sind die Gespräche nicht immer einfach, erklärt Michael Schaar, Leiter der evangelischen Telefonseelsorge: "Diese Telefonate zehren auch an den Ehrenamtlichen, und dann ist es wichtig, dass die auch für sich selbst sorgen."

Die gestiegene Nachfrage bei der Telefonseelsorge sei auch deshalb so groß, weil es in Deutschland zu wenig Therapieplätze gebe, ist Michael Schaar überzeugt. Und es gibt noch einen weiteren Grund: "Ich kann mir vorstellen, dass viele Therapeuten in den Ferien sind und bei vielen heißt es dann auf dem Anrufbeantworter, bitte rufen Sie bei der Telefonseelsorge an."

Telefonseelsorge sucht nach ehrenamtlichen Helfern

Auch wenn nicht gerade Sommerferien sind, müssen Betroffene oft mehrere Monate auf einen Therapieplatz warten. Das sei unzumutbar, findet der Leiter der katholischen Telefonseelsorge, Alexander Fischhold: "Das ist eine lange Zeit. Wenn man sich vorstellt, ich hätte meinen Fuß gebrochen und ich bekomme zwar Röntgenbilder aber gesagt, ja der Fuß ist gebrochen, aber die Behandlung machen wir in fünf oder sechs Monaten. So eine lange Wartezeit wäre in anderen medizinischen Bereichen überhaupt nicht vorstellbar." Bei schweren Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen sei das aber Realität.

So ist die Telefonseelsorge in den Ferien oft die einzige Stelle, an die sich Hilfesuchende wenden können - auch nachts: "Krisen passieren halt auch in der Nacht", sagt Fischhold. 65 Prozent der Anrufe erhalten sie in Zeiten, wo andere Beratungsstellen geschlossen sind. Und damit die kirchliche Telefonseelsorge auch weiterhin genug Zeit für alle Anruferinnen und Anrufer hat, suchen sie immer auch ehrenamtliche Helfer, die ein Ohr für die Menschen haben. Die Rufnummer: 0800 / 1110111

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