Über 100.000 Demonstranten protestieren rund um das Siegestor sowie in der Ludwigstraße und Leopoldstraße gegen Rechtsextremismus.
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Großdemos: Wie rechts ist rechts?

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Großdemos "gegen rechts": Was das genau bedeutet

In Bayern sind Hunderttausende Menschen auf die Straßen gegangen. Die meisten wollen ein möglichst breites Bündnis gegen Rechtsextremismus. Verschiedene politische Lager müssten dafür über ihren Schatten springen – manchen fällt das schwer.

Über dieses Thema berichtet: Kontrovers am .

"Gemeinsam gegen rechts" – so lautete das Motto einer Demonstration in München vor zehn Tagen. Rund 200 Parteien, Vereine und Bündnisse hatten zu der Veranstaltung aufgerufen. Doch schon im Vorfeld gab es Auseinandersetzungen.

Eine der Hauptorganisatorinnen, Lisa Poettinger, schrieb in einem Tweet auf der Plattform X, vormals Twitter: "Was wollen CSU-Politiker:innen vor Ort?" Sie habe "gar keinen Bock" auf Rechte jeglicher Couleur. Ludwig Spaenle, CSU-Landtagsabgeordneter und Antisemitismus-Beauftragter der Landesregierung, konterte öffentlich: "Wer ist Frau Poettinger?" Ihre Äußerung sei eine rotzfreche Pöbelei und demokratieschädigend.

Söder: "Sehr gutes Signal"

Der Chef der Freien Wähler, Hubert Aiwanger, behauptete in einem Tweet auf X, die Demonstrationen gegen rechts seien vielfach "von Linksextremisten unterwandert". Linke Parolen, auch später auf der Bühne, führten dazu, dass einige Politiker des konservativen Lagers (demonstrativ) nicht kamen. Aiwanger zeigte sich dafür später auf Bauerndemos. Trotzdem: Viele, die dabei waren, sehen die Demonstration, zu der über 100.000 Menschen gekommen sind, auch als großen Erfolg – wie zum Beispiel Florian Streibl oder auch Michael Piazolo von den Freien Wählern und Georg Eisenreich von der CSU. Ministerpräsident Markus Söder sagt, es sei ein "sehr gutes Signal", er denkt sogar über eine Veranstaltung mit anderen Parteien nach – die CSU in der Rolle des Mit-Organisators.

Dennoch stören sich viele an dem Titel. Was ist genau mit "gegen rechts" gemeint? Während für die einen 'rechts' gleichbedeutend mit 'rechtsextrem' ist, grenzen andere ab und sehen in 'rechts' und 'links' zwei legitime politische Strömungen, die erst mal nichts mit Extremismus zu tun haben.

Der Münchner CSU-Politiker Florian Post, der bis 2021 für die SPD im Bundestag saß, kritisierte auf X ebenfalls die Veranstalter in München um Lisa Poettinger. Diese hätten klar gemacht, dass sie gegen jeden demonstrieren wollen, "der nicht links ist". "Der Titel 'Gegen rechts' und nicht 'Gegen Rechtsextremismus' oder noch besser 'Gegen alle Extremisten' wurde schon bewusst so gewählt", so Post weiter. Er ist der Demo deswegen ferngeblieben, weil er "ungern gegen mich selber demonstriere". Andere wie Florian Streibl von den Freien Wählern haben dagegen kein Problem mit dem Begriff "gegen rechts" und haben kein Verständnis dafür, deswegen den Demos fernzubleiben.

Neubauer kritisiert CSU

Im Interview mit dem BR-Politikmagazin Kontrovers übt Fridays-for-Future-Aktivistin und Grünen-Mitglied Luisa Neubauer Kritik an der CSU: "Wir haben erlebt in den letzten Monaten, wie immer mehr aus dem konservativen Lager – auch zum Beispiel aus der CSU – eine tief rechte Sprache, Erzählungen in die Welt gesetzt wurden. Man muss sich fragen: Ist die Brandmauer da so stabil?" Gleichzeitig plädiert sie dafür, dass die demokratischen Parteien in ihrer Gesamtheit dabei sein sollten: "Sie müssen es aber ehrlich meinen. Man kann nicht an einem Tag auf der Demo stehen und sagen Friede, Freude, Demokratie für alle. Und am nächsten Tag wieder losziehen und rechte Sprachmuster übernehmen – von Zwangsgebühren sprechen und von Asyltourismus und meinen, damit würde man irgendeine Brandmauer schützen."

Ein Zeichen für Demokratie setzen

In den vergangenen Tagen wurde in vielen bayerischen Städten und Gemeinden demonstriert – vielerorts waren es die größten Kundgebungen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Auslöser des massenhaften Protests waren die Recherchen des Netzwerkes Correctiv, die einen Geheimplan von AfD-Politikern, Neonazis und finanzstarken Unternehmern aufdeckten, die die Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland planten. Unter den Demonstrationsteilnehmern sind viele, die noch nie auf die Straße gegangen sind. Doch jetzt wollen sie offenbar ein Zeichen für die Demokratie setzen.

Antifa am Rednerpult

Reporter des BR-Politikmagazins Kontrovers begleiten am vergangenen Samstag in Passau eine Demonstration. Hier sind rund 6.000 Menschen dem Aufruf von 95 Gruppen gefolgt. Die CSU ist nicht unter ihnen. Jakob Hagenberg ist einer der Organisatoren: "Wenn die CSU unzufrieden ist, dann bleibt natürlich auch immer noch die Möglichkeit, dass sie ihr eigenes Bündnis machen. Das würde mich persönlich sehr freuen. Ich würde dort auch hingehen."

In Passau ist die Antifa mehrfach vertreten – auch auf der Bühne. Und stößt manche Demonstrationsteilnehmer mit Aussagen wie dieser vor den Kopf: "Es steht die Befürchtung im Raum, dass diese Bewegung nicht mehr ist als das scheinheilige Gewissen der NS-Nachfolgegesellschaft!" Es gibt Buhrufe. Mit dem Vorwurf der Scheinheiligkeit sind viele hier nicht einverstanden. Ein Teilnehmer meint, solche Aussagen würden eher abschrecken und spalten: "Die CSU wird sagen: Da sieht man es wieder, da kann man nicht mitmachen!"

Im Video: Fridays-for-future-Aktivistin Luisa Neubauer im Interview

Luisa Neubauer im Kontrovers-Interview
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Luisa Neubauer Fridays for Future

Es gibt Verbesserungsbedarf

Parallel zu den vielen, großen Demonstrationen taucht immer wieder die Frage auf, ob hier tatsächlich ausgegrenzt wird und wenn ja, wer hier wen ausgrenzt. Was kann man tun, um alle im Kampf für Demokratie zu vereinen? In München trifft Kontrovers die SPD-Stadträtin Micky Wenngatz. Sie war eine der Organisatorinnen der Demonstration am Siegestor vor zehn Tagen. Sie nimmt die Kritik ernst: "Nach meiner Wahrnehmung hat das in ganz vielen der Organisationen durchaus noch mal zu Diskussionen geführt. Da wird man noch mal darüber nachdenken. Was ist gut gelaufen? Was kann man besser machen? Wie gehen wir das nächste Mal damit um? Wen lassen wir zu Wort kommen?"

Demonstranten in Sorge

Auch in Aichach bei Augsburg wurde am Samstag demonstriert – unter dem Motto "Aichach bleibt bunt!". Die Veranstalter waren die Grünen im Stadtrat und die SPD. Hier kamen rund 2.000 Menschen dem Aufruf nach. Linksextreme Parolen bleiben aus. Es gibt kein Ampel-Bashing und keine Angriffe auf die bürgerliche Mitte. Die Menschen stehen hier, weil sie sich sorgen. "Ich war noch nie auf einer Demo, das ist heute meine erste Demo." Ein anderer sagt: "Es ist höchste Eisenbahn, um zu zeigen, dass die, die sonst still sind, die Mehrheit sind und nicht die Minderheit."

Der zweite Bürgermeister von Aichach, Josef Dußmann von der CSU, ist auch anwesend. Aber der CSU-Ortsverband Aichach ist hier offiziell nicht dabei. "Ich kann mir vorstellen, dass sich Ortsverbände nicht als Unterstützer draufschreiben, weil die Demo "gegen rechts" heißt. Und weil die CSU ja Mitte-Rechts ist. Wenn es rechtsextrem heißen würde, dann wäre das was ganz anderes", meint Dußmann. Was anderswo schwierig ist, gelingt in Aichach: ein starker gemeinsamer Auftritt gegen Rechtsextremismus.

Holetschek: "Lassen uns nicht in irgendeine Ecke stellen"

Die Freien Wähler sind in Aichach auch nicht dabei. Wie an vielen Orten, an denen es an diesem Wochenende Demonstrationen gibt. Kontrovers fragt nach im Bayerischen Landtag, ob die demokratischen Parteien in dieser Situation nicht mehr aufeinander zugehen müssten. Parteichef Hubert Aiwanger meint dazu: "Ich würde mir wünschen, dass eine Mitte gegen jede Art von Extremismus auftritt. Und nicht, dass da Linke kommen und sagen 'rechts' und meinen damit die bürgerliche Mitte". Der Fraktionsvorsitzende der CSU, Klaus Holetschek, steckt klar ab: "Wir lassen uns nicht vereinnahmen und in irgendeine Ecke stellen. Wir sind in der Mitte der Gesellschaft und da bleiben wir auch."

Gelingt die Reaktivierung eines breiten Bündnisses?

Auffällig ist, dass auf den Webseiten von CSU, FW und FDP kaum eine Demo für die Demokratie im Terminkalender erscheint. Digitalminister Fabian Mehring (FW) wägt ab: "Es ist jetzt nicht unbedingt die Aufgabe von Staatsregierungen oder von der Mitte der Parteien, Demos zu organisieren. Wenn das gemeinsam auf den Weg gebracht wird und das Wording stimmt, wollen die Freien Wähler bestimmt dabei sein."

Um eine breite gesellschaftliche Mitte für den gemeinsamen Kampf gegen Rechtsextremismus zu gewinnen, gebe es noch viel zu tun, davon ist Micky Wenngatz vom Bündnis "München ist bunt" überzeugt: "Wir müssen ja mehr machen, als nur auf die Straße zu gehen und zu protestieren. Wir müssen ja auch innerhalb unserer Gesellschaft wirken. Und das gilt natürlich für die einzelnen Akteure, die eingeladen sind. Aber auch die haben natürlich unterschiedliche Agenden. Und auch unterschiedliche Zielgruppen."

Oberbürgermeister Dieter Reiter, SPD, hat schon angekündigt, ein breites Bündnis der Mitte zu reaktivieren. 1992 hat es schon mal sehr gut funktioniert. 400.000 Menschen sind damals für die Lichterkette auf die Straße gegangen. Womöglich auch deshalb, weil es nur Kerzen gab und keine Parolen.

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