Auf Strecken, an denen ein solcher Fahrrad-Sicherheitsstreifen eingezeichnet war, hielten Autofahrende oft einen zu geringen Überholabstand.
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Auf Strecken, an denen ein solcher Fahrrad-Sicherheitsstreifen eingezeichnet war, hielten Autofahrende oft einen zu geringen Überholabstand.

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Forschungsprojekt: Mit Sensoren Radfahrende besser schützen

Im Schnitt halten Autofahrende zu wenig Abstand beim Überholen von Radfahrenden. Das zeigen erste Daten von Sensoren der Hochschule Kempten. Besonders in zwei Bereichen sind Radfahrende gefährdet. Wichtige Erkenntnisse für Kemptens Stadtplaner.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

Damit mehr Menschen mit dem Rad fahren, müssen sie sich sicher fühlen. Doch das Gegenteil ist der Fall: Gerade auf Strecken, auf denen viele Autos oder Lkw fahren und überholen, empfinden viele ein Unsicherheitsgefühl. Dass der Abstand beim Überholen oft zu gering ist, konnte nun wissenschaftlich nachgewiesen werden – durch eine genaue Messung der Hochschule Kempten.

Zu wenig Abstand zu Fahrrädern

Denn: Im Schnitt halten Autofahrende innerorts tatsächlich eher ein bisschen zu wenig Abstand – nämlich 1,4 statt der vorgeschriebenen 1,5 Meter innerorts. Wobei die Standardabweichung rund 40 Zentimeter betrug. Das heißt: Manche hielten nur einen Meter Abstand beim Überholen, andere sogar 1,80 Meter.

Das zeigen erste, stichprobenartige Daten eines Forschungsprojekts von Elektrotechnik-Studierenden der Hochschule Kempten. Mit einem sogenannten OpenBikeSensor sind sie und Mitglieder des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) verschiedene Strecken in Kempten abgefahren und haben die Überholabstände von Autos gemessen. Den Sensor nutzt zum Beispiel auch der ADFC in Augsburg, München und Dachau.

Warum der Fahrrad-Schutzstreifen zur Gefahr wird

Dabei haben sich vor allem zwei Gefahrenstellen herauskristallisiert, an denen häufig zu wenig Abstand beim Überholen gehalten wird: Einmal auf Strecken, auf denen mit viel Gegenverkehr zu rechnen ist, und außerdem auf Strecken, auf denen ein Fahrrad-Schutzstreifen eingezeichnet ist.

"Ich vermute mal, dass das daran liegt, dass der Fahrzeugfahrer denkt: 'Na gut, wenn ich wegbleibe von diesem Streifen, dann überhole ich schon ausreichend.' Das ist aber nicht der Fall", erklärt Thomas Zeh, Professor für Elektrotechnik an der Hochschule Kempten.

Daten wichtig für Stadtplaner

Das Gefährliche bei so geringen Überholabständen sei vor allem, dass das individuelle Sicherheitsgefühl sehr schlecht ist. Das könnte eine Panikreaktion verursachen, die dann zu einem Unfall führen kann, erklärt Zeh. Oder das Unsicherheitsgefühl halte die Menschen ganz vom Fahrradfahren ab.

Die Stadt Kempten wird nun aufgrund der Datenlage überlegen, was getan werden kann, damit Fahrradfahren überall in der Stadt sicher ist und damit sich die Fahrradfahrenden auch sicher fühlen. Zum Beispiel könnte eine Fahrspur erweitert oder für Autos eine Geschwindigkeitsbegrenzung eingeführt werden, erklärt Stefan Sommerfeld, Mobilitätsmanager der Stadt Kempten: "Die Daten helfen uns, dass wir den Blick auf Stellen richten, die wir noch nicht so im Fokus hatten."

Müssen Autofahrer zugunsten von Radfahrern zurückstecken?

Die Daten können also ein Beweis für Gefahrenstellen sein und helfen, Investitionen zu rechtfertigen. Denn an bestimmten Stellen könnte auch darüber nachgedacht werden, zum Beispiel Autoparkplätze zugunsten eines Radwegs abzubauen.

Darüber freut nicht natürlich nicht jeder. Doch die Maßnahmen seien wichtig, damit Fahrradfahren sicherer wird. Das sei dringend nötig, findet auch der bayerische Verkehrsminister Joachim Herrmann (CSU). Denn aus der letzten bayerischen Verkehrsunfallstatistik geht hervor, dass die Zahl der Fahrradunfälle steigt. Im Jahr 2022 erreichten sie ein Allzeithoch mit rund 19.600 Fahrradunfällen und 84 Toten.

Ziel: Straßenraum gerechter aufteilen, Gegnerschaft vermeiden

Der Anstieg hat unter anderem damit zu tun, dass Radfahren boomt. Deswegen braucht es auch mehr Platz für sie, findet Peter Walcher vom ADFC Kempten-Oberallgäu: "Es geht nicht um eine Gegnerschaft zum Auto, sondern um eine gerechtere Aufteilung des bestehenden Straßenraums."

Walcher erlebt immer wieder rücksichtslose Autofahrer. Doch in den letzten Jahren hat sich die Stimmung gegenüber Radlern aus seiner Sicht gewandelt: "Also ich denke, das ist ein ganz subjektives Gefühl, dass durch die Corona-Pandemie sehr viele aufs Fahrrad umgestiegen sind und sehr viele Autofahrer inzwischen auch Radfahrer sind. Und damit steigt aus meiner Sicht das Verständnis für Radfahrer." Aus seiner Sicht zeigen sich Städte wie Kempten immer offener für den Radverkehr.

So funktioniert der OpenBikeSensor

Die Elektrotechnik-Studierenden der Hochschule Kempten haben den Sensor, dessen Teile jeder kaufen und zusammenbauen kann, auf "Herz und Nieren" getestet und noch weiter optimiert, erklärt Thomas Zeh, Professor für Elektrotechnik an der Hochschule Kempten: "Diese Ultraschallsensoren arbeiten so wie Sensoren in den Stoßfängern von Autos. Die senden ein Ultraschallsignal nach links und wenn es reflektiert wird, gelangt es zurück zum Sensor und anhand der Laufzeit kann man den Abstand messen." Der Sensor wird unterm Sattel montiert. Über ein Kabel ist er mit einem roten Knopf am Lenker verbunden.

Immer, wenn ein Auto das Fahrrad überholt, drückt der Fahrer auf den roten Knopf und dann misst der Sensor, ob die vorgeschriebenen 1,5 Meter beim Überholen einhalten werden. Die Daten werden dann in ein Portal geladen, also in eine digitale Karte, in der zu erkennen ist, an welchen Stellen es zu kritischen Überholvorgängen kam. Das Forschungsprojekt der Elektrotechnik-Studierenden soll im nächsten Semester weitergeführt werden.

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