Miltenbergs Landrat Jens Marco Scherf und der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer.
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Miltenbergs Landrat Jens Marco Scherf und der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer.

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Flüchtlings-Hilferuf von Miltenberger Landrat und OB Palmer

Die Kommunen sind mit der Flüchtlingsunterbringung überfordert. Das finden der Miltenberger Landrat Scherf und der Tübinger Oberbürgermeister Palmer. In einem offenen Brief an Kanzler Scholz präsentieren sie konkrete Verbesserungsvorschläge.

Über dieses Thema berichtet: Regionalnachrichten aus Mainfranken am .

Knapp zwei Monate ist es her, dass Miltenbergs Landrat Jens Marco Scherf (Grünen) sich mit einem offenen Brief an Bundeskanzler Scholz gewandt hat: Bei der Unterbringung und Betreuung von Geflüchteten sei das "Ende der Leistungsfähigkeit" erreicht, beklagte Scherf damals. Jetzt hat er erneut dem Kanzler geschrieben, zusammen mit dem Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer.

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Flüchtlingsunterbringung nicht nur ein finanzielles Problem

Der Tenor der beiden Politiker: Die Kommunen sind mit der Unterbringung der Flüchtlinge heillos überfordert. Das entscheidende Problem seien aber nicht die finanziellen Belastungen, also das Geld, sondern die Leistungsfähigkeit der Aufnahmestrukturen vor Ort und fehlendes Personal. Aufgrund der bescheidenen Ergebnisse des letzten Flüchtlingsgipfels haben Scherf und Palmer dem Bundeskanzler vor dem nächsten Zusammentreffen der Bundesebene mit Ländern und Kommunen ihre Probleme und Erwartungen in einem Brief zusammengefasst.

Maßnahmenkatalog mit konkreten Vorschlägen

Die Gespräche über die Unterstützung von Kommunen bei der Unterbringung der Flüchtlinge dürfe nicht zu reinen Finanzverhandlungen werden, fordern die beiden Grünen-Politiker. Sie haben stattdessen einen Maßnahmenkatalog mit "konkreten und relativ kurzfristig umzusetzenden Vorschlägen" ausgearbeitet, etwa zu den Aufgabenbereichen Unterbringung und Wohnungsmarkt, Kinderbetreuung, schulische Integration oder medizinische Versorgung.

Politiker befürchten Einschränkungen für Bevölkerung

"Entweder gelingt es, die Migration zu strukturieren und zu steuern und somit die Zugangszahlen an Geflüchteten in den Kommunen wieder deutlich zu reduzieren oder es drohen Leistungseinschränkungen, welche entweder die gesamte Bevölkerung, die auf die jeweiligen Leistungen angewiesen ist, oder den Kreis der neu zugewanderten Personen betreffen", heißt es in dem Schreiben an den Bundeskanzler. Derzeit sei das bürgerliche Engagement "bis an ihre Grenze belastet und teilweise auch schon überlastet".

Weniger Bürokratie, mehr Sprachkurse

Der Miltenberger Landrat und der Tübinger OB schlagen vor, "irreguläre Migration" zu reduzieren und die Verfahren zu beschleunigen. Außerdem müssten die Geflüchteten schneller und besser in den Arbeitsmarkt integriert werden. Wenn Familie von Geflüchteten nach Deutschland nachziehen, müsse das an den Nachweis eines geeigneten Wohnraums gekoppelt werden, fordern Scherf und Palmer. Strafrechtlich und psychisch auffällige Geflüchtete müssten in staatliche Unterbringung zurückkehren.

In Ausländerbehörden und Verwaltungen hemme oft überbordende Bürokratie. Wichtig seien außerdem mehr Plätze in Sprachkursen. Viele Geflüchtete würden derzeit Monate auf einen Sprachkurs warten.

Kein gesetzlicher Anspruch auf Kita-Platz für Geflüchtete?

In der Kinderbetreuung müsse die Möglichkeit geschaffen werden, den gesetzlichen Anspruch auf einen Kita-Platz für Kinder mit Fluchthintergrund notfalls für ein Jahr auszusetzen. Auch die Versorgung durch Allgemeinärzte sei nicht nur in ländlichen Räume wie Miltenberg schon jetzt kritisch. Die beiden Kommunalpolitiker fordern deshalb, den Status eines Hausarztes oder einer Hausärztin für Geflüchtete einzuführen. Diese Aufgabe mit "eingeschränkter Verschreibungs- und Behandlungskompetenz" sollen selbst ärztliche Kräfte aus den Zuzugsländern übernehmen, angeleitet durch Hausarztpraxen vor Ort.

Kommunen vor Ort stärker einbinden

Außerdem fordern die beiden Politiker, dass Menschen ohne Bleiberecht in den Aufnahmeeinrichtungen des Bundes und der Länder verbleiben statt an die Kommunen "durchgereicht zu werden". Ihre Vorschläge, schließen Scherf und Palmer ihren Brief, könnten zwar die bestehenden Probleme nur mildern und nicht auflösen. Dennoch sei ihre Bitte, die Erfahrungen der Verantwortlichen vor Ort stärker in die Gesetzgebung und Vorgaben einfließen zu lassen.

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