Wandergesellen in der Innenstadt von Schwerin (Symbolbild)
Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Jens Büttner

Handwerker auf der Walz suchten im 19. Jahrhundert in den Städten Arbeit. Der Evangelische Handwerkerverein bot ihnen eine Unterkunft.

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Evangelischer Handwerkerverein in München: Immer noch attraktiv

Zur Zeit der Industrialisierung waren viele Handwerksgesellen arbeitslos. Protestantische Handwerker gründeten vor 175 Jahren in München den Evangelischen Handwerkerverein, den ältesten Bayerns. Bis heute ein wichtiger Anlaufpunkt für die Zünfte.

Über dieses Thema berichtet: Theo.Logik am .

Der Evangelische Handwerkerverein in München entstand aus einer Notsituation in einer Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs und der sozialen Unsicherheit: Die Industrialisierung hatte im 19. Jahrhundert eine neue Armut in den Städten entstehen lassen und dadurch die soziale Frage aufgeworfen.

Vor diesem Hintergrund gründeten 1848 protestantische Handwerker aus den Vierteln rund um die evangelische Matthäuskirche in München Bayerns ersten Evangelischen Handwerkerverein.

Im 19. Jahrhundert bricht das Zunftwesen zusammen

Volker Herbert ist heute der Vorsitzende. Er beschreibt die schwierige wirtschaftliche Lage, in der sich gerade Handwerkergesellen zur Gründungszeit des Vereins befanden. "Die Handwerkergesellen mussten nach den alten Zunftordnungen aus dem Mittelalter auf Wanderschaft gehen, die sogenannte Walz", so Herbert. "Als sie dann in ihre Zunftquartiere kamen und um Arbeit fragten, wurde ihnen immer wieder gesagt: Es gibt keine Arbeit."

Zumindest aber hätten die Zunftmeister gemäß Tradition den Gesellen, wenn es schon keine Arbeit anzubieten gab, das so genannte "Zeichen" gewähren müssen, also kostenfreies Essen mit Übernachtung. So war es unter den Zünften bereits seit dem Mittelalter üblich.

"Das hat in den großen Städten damals gar nicht mehr funktioniert", so Volker Herbert. Viel zu viele Arbeiter zogen in die Städte auf der Suche nach Jobs, die die Industrialisierung vernichtet hatte. Wer Glück hatte, kam in den gerade gegründeten Produktionsbetrieben der Industrie unter - zu "sklavischen Arbeitsbedingungen", so beschreibt es Volker Herbert.

Evangelische Handwerker gründeten "Herberge zur Heimat"

Andere blieben schlicht auf der Strecke. "Die lagen dann auf der Straße. Sie verfielen dem Alkohol oder wurden kriminell und verwahrlosten innerlich und äußerlich." Der Handwerkerverein wollte das Elend unter den arbeitslosen Gesellen abfangen.

In der Münchner Mathildenstraße wurde die "Herberge zur Heimat" für mittellose Gesellen gegründet. Im Laufe der Zeit kamen weitere Übernachtungshäuser dazu, erklärt Volker Herbert. "So dass dann zur Jahrhundertwende das größte christliche Hotel Deutschlands dem Handwerkerverein gehörte."

Handwerkerverein beherbergt bis heute Branchennachwuchs

Heute steht in der Münchner Innenstadt das "Wichernhaus" - benannt nach einem evangelischen Gründervater der Diakonie, Johann Hinrich Wichern. Es bietet auch jetzt noch Auszubildenden, die zum Blockunterricht an der Berufsschule in die Stadt kommen, eine günstige Wohnmöglichkeit. Denn für die meisten wäre Pendeln keine Option und Übernachten im Hotel viel zu teuer.

Bis zu 100 junge Erwachsene wohnen im Wichernhaus

Wochentags geht es hier zu wie im Taubenschlag. Zwischen Speisesaal, Gästezimmern und Aufenthaltsraum mit Kicker und Fernseher sind nach Berufsschulschluss bis zu 100 junge Erwachsene unterwegs. Abends wird gemeinsam gegessen.

Für die Unterkunft zahlen die Nachwuchshandwerker nur wenige Euro. Das Haus ist fast immer bis unters Dach belegt. "Man merkt auch die Tradition, die wir haben", sagt Volker Herbert. Das Wichernhaus sei eine "Institution" für den Handwerkernachwuchs. Bis heute.

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