Ein Schweißer arbeitet an seinem Arbeitsplatz. | Bildrechte: colourbox/smuay
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In vielen Branchen werden qualifizierte Facharbeiter händeringend gesucht.

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Fachkräftemangel: Verliert Deutschland den Kampf um kluge Köpfe?

Deutschland braucht dringend Fachkräfte. Einwanderer sind jedoch meist von den hohen bürokratischen Hürden abgeschreckt. Sie entscheiden sich oft lieber für andere Länder. Wie kann Deutschland für hochqualifizierte Ausländer attraktiver werden?

Über dieses Thema berichtet: Dossier Politik am .

Ob in der Pflege, im Handwerk oder in IT-Berufen - Deutschland sucht händeringend nach Fachkräften. Mit deutschen Bewerbern lassen sich die Personallücken nicht beheben. Die angedachte Lösung: Dem Personal aus Nicht-EU-Staaten soll der deutsche Arbeitsmarkt schmackhaft gemacht werden. An Anwärtern mangelt es nicht. "Im hochqualifizierten Bereich gibt es sehr, sehr viele Menschen, die gerne wandern möchten. Aber auch im ungelernten Bereich ist das Potenzial im Ausland gewaltig", sagt Thomas Liebig im Podcast "Dossier Politik". Er ist studierter Ökonom und Migrationsexperte bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).

Bürokratie: Langwierige Verfahren und hohe Kosten

Die deutschen Arbeitgeber sind den ausländischen Fachkräften nicht abgeneigt. Der Nürnberger IT-Unternehmer Andrew Zeller hat mit Personalmangel zu kämpfen. Deshalb möchte er IT-Experten anwerben, zum Beispiel aus Indien oder Pakistan. Doch das kostet viel Geld. Genauer gesagt 10.000 bis 25.000 Euro pro Person. Und dann ist noch nicht einmal garantiert, dass der Arbeitnehmer überhaupt nach Deutschland kommen kann.

Ein weiteres Hindernis: die Bürokratie. Ein digitales, einheitliches Portal gibt es nicht. Stattdessen weiterhin Zettelwirtschaft und komplizierte Wege zwischen Behörden und Konsulaten. Andere Länder sind da schon weiter. Ganz oben im Attraktivitätsranking landen Schweden, Norwegen, die Schweiz, die Vereinigten Staaten, Kanada und Neuseeland. Sie erfüllen viele der Kriterien, die Zuwanderern wichtig sind: unkomplizierte Verwaltung, Digitalisierung, Diversität, hohe Chancen.

Andrew Zeller wünscht sich für Deutschland bessere Rahmenbedingungen. Ansonsten sind für ihn die Folgen klar: "Die Welt ist halt nicht aufs Warten ausgelegt. Und gerade Menschen aus Ländern, die das nicht gewöhnt sind, viele, viele, viele Fragen zu beantworten - die gehen dann doch lieber den einfacheren Weg und sagen: Dann gehe ich woanders hin."

Fachkräfteeinwanderungsgesetz: Reform soll nachbessern

Diese komplizierten Verfahren will die Bundesregierung erleichtern. Helfen soll eine Reform des 2020 in Kraft getretenen Fachkräfteeinwanderungsgesetzes. Die "Blaue Karte EU" (EU Blue Card) soll fortan für mehr internationale Fachkräfte zugänglich werden. Dafür wird die Mindestverdienstgrenze gesenkt. Die Berufserfahrung soll außerdem mehr in den Fokus rücken und künftig als Alternative zum Studium besser anerkannt sein. Arbeitgeber können Facharbeiter im Rahmen einer Partnerschaft künftig auch schon vor der Berufsanerkennung bei sich beschäftigen.

Zusätzlich soll eine "Chancenkarte" mit einem Punktesystem eingeführt werden. Dann können potentielle Arbeitnehmer auch ohne konkretes Jobangebot nach Deutschland kommen. Anhand verschiedener Kriterien wie Sprache, Bildungsabschluss oder Berufserfahrung werden sie bewertet. Mit der "Chancenkarte" sollen Bewerber ein Jahr Zeit bekommen, einen Arbeitsplatz zu finden.

Ende März 2023 hat das Bundeskabinett einen entsprechenden Gesetzentwurf beschlossen. Thomas Liebig von der OECD erhofft sich von den neuen Regelungen, dass Arbeitgeber und neue Fachkräfte so besser zusammenfinden.

"Spurwechsel": Von der Duldung zur Arbeitserlaubnis

Das Anwerben kluger Köpfe aus dem Ausland ist nicht die einzige Methode, um die Lücken auf dem Arbeitsmarkt zu schließen. In Deutschland halten sich viele geduldete Geflüchtete auf, deren Asylantrag abgelehnt wurde. Sie gehen aber aus verschiedenen Gründen nicht in die Heimat zurück. Eine Arbeitserlaubnis haben sie in den meisten Fällen nicht, sind aber immer wieder gut qualifiziert und arbeitswillig. Sie könnten als Fachkräfte integriert werden. Das Problem: Als Geduldete sind sie eigentlich ausreisepflichtig. Die Umwandlung ihres Status in Aufenthaltserlaubnisse sieht die Politik als falsches Signal. Asylrecht und Arbeitsmigration sollen getrennt bleiben.

"Das ist für uns als Fachwelt nicht nachvollziehbar, weil wir ja Arbeitskräfte und Fachkräfte brauchen und dieses Potenzial nutzen sollten", meint Anna Fröhlich, Fachanwältin für Asylrecht. Sie plädiert dafür, die bereits in Deutschland lebenden Geduldeten unkompliziert zu integrieren. So sollen Defizite auf dem Arbeitsmarkt ausgeglichen werden.

Bedroht die Zuwanderung die Herkunftsstaaten?

Auch der afrikanische Kontinent birgt enormes Potenzial für die Zuwanderung von Fachkräften. Mediziner, Ingenieure, Naturwissenschaftler oder IT-Fachleute sind nach Europa ausgewandert - vor allem nach Frankreich, Spanien oder Portugal. Doch droht den Herkunftsländern ein "Brain Drain", also ein Verlust von Schaffenskraft ins Ausland? Professor Elisio Macamo sieht dieses Problem ambivalent. Der Soziologe mit Schwerpunkt Afrika lehrt an der Universität Basel und stammt selbst aus Mosambik.

"Was man in Afrika an hochqualifizierten Kräfte verliert, gewinnt man natürlich durch die Bindungen." Außerdem seien viele afrikanische Staaten nicht in der Lage, allen hochqualifizierten Menschen Jobs anzubieten. Insofern findet Macamo es nicht problematisch, Menschen aus Afrika Zugang zum europäischen Arbeitsmarkt zu gewähren. Generell seien die an Universitäten ausgebildeten Menschen "Weltbürger", die in keine nationalen Grenzen mehr passen würden.

Deutsch-afrikanischer Wissenstransfer

Genau solche Weltbürger profitieren auch von diversen Kooperationen deutscher Hochschulen mit afrikanischen Universitäten. Die Technische Universität München beispielsweise setzt auf einen Wissenstransfer afrikanischer und deutscher Doktoranden. Sie forschen gemeinsam an global wichtigen Themen. Ziel ist es auch, dass die afrikanischen Teilnehmer ihr Wissen in der Heimat anwenden und weitergeben. Teilweise ist das der Fall, aber viele afrikanische Forscher entscheiden sich auch dafür, im Ausland zu bleiben. Deutschland sei gerade auf dieser Ebene sehr offen, erklärt Thomas Liebig. Gerade die Erfahrungen afrikanischer Studenten in Deutschland seien für deutsche Unternehmen sehr attraktiv.

Liebig: Stärker an klassischen Einwanderungsländern orientieren

Welche Lehren kann Deutschland für seine Fachkräftepolitik ziehen? OECD-Migrationsexperte Thomas Liebig rät, sich nicht nur - Beispiel Kanada - von Punktesystemen inspirieren zu lassen. Vielmehr sei es vor allem wichtig, die Infrastruktur attraktiv zu gestalten. Anders sei es nicht möglich, im globalen Vergleich mitzuhalten.

Außerdem plädiert der Experte für mehr Mut in der Einwanderungspolitik. Eine Möglichkeit könne es sein, wie in anderen Ländern einjährige Arbeits-Programme für junge Fachleute anzubieten. Sollten diese dann einen festen Job finden und ihre Sprachkenntnisse ausbauen, wäre eine Arbeitsgenehmigung die Folge. Vor diesem Hintergrund blickt Thomas Liebig mit Spannung auf die neue "Chancenkarte" des Einwanderungsgesetzes, die Ähnliches vorsieht.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD)
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Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) im BR24-Interview über Armut und Fachkräftemangel und welche Maßnahmen die Bundesregierung plant.

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