Der Vater von Muharrem D., dem mutmaßlichen Waldkraiburg-Attentäter, im Kontrovers-Interview
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Der Vater von Muharrem D., dem mutmaßlichen Waldkraiburg-Attentäter

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Eltern des Waldkraiburger Attentäters: Er war ein guter Junge

Der Fall sorgt vor einem Jahr deutschlandweit für Aufsehen: Ein selbsternannter IS-Anhänger verübt Anschläge auf türkische Geschäfte. Jetzt steht er vor Gericht. Seine Eltern äußern sich erstmals - im Interview mit dem BR-Politikmagazin Kontrovers.

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An einem großen Tisch mit Gebäck und Kaffee schlägt der Vater von Muharrem D. die Hände vor das Gesicht. "Ich bin total fertig", sagt er.

Für ihn und seine Frau sind die Drogen der Grund dafür, dass ihr Sohn Muharrem mutmaßlich die Taten begangen hat, für die er sich seit Anfang März vor dem Oberlandesgericht in München verantworten muss. Die Anschläge von Waldkraiburg haben vor einem Jahr Schlagzeilen gemacht. Mehrere türkische Geschäfte wurden damals attackiert, bei einem Brandanschlag gerieten 26 Personen in Lebensgefahr.

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Vater: "Das ist ganz schwer"

Erstmals reden die Eltern mit der deutschen Presse über Muharrem, den selbsternannten Anhänger der Terrorgruppe IS. Gegenüber den Reportern des BR-Politikmagazins Kontrovers zeigen sie offen ihre Gefühle. "Das ist ganz schwer", sagt der Vater, der immer wieder weint. Die Mutter versucht, sachlich zu bleiben. Mit am Tisch sitzt auch der ehemalige Fußballtrainer von Muharrem. Er sagt, Muharrem sei ein sehr netter Junge gewesen: "Er hat immer ein Lächeln im Gesicht gehabt und jeden Blödsinn mitgemacht. Aber er ist nie wirklich ausfällig geworden."

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Dem mutmaßlichen Attentäter Muharrem D. wird unter anderem versuchter Mord in 31 Fällen und schwere Brandstiftung vorgeworfen.

Die Suche nach dem Sohn

Irgendwann ist Muharrem D. seinen Eltern und seinem Umfeld entglitten. Vor ein paar Jahren brach der Sohn auf einmal den Kontakt mit den Eltern ab. Dann soll er sich in München aufgehalten haben - die Eltern wussten aber nicht genau, wo er sich befand. Sie suchten nach Muharrem. Der Vater kann sich noch gut an den Moment erinnern, als er seinen Sohn in einer Münchner Moschee in Sendling entdeckte. "Ich sagte zu ihm: Muharrem, so geht das nicht. Schwester und Mama sind draußen. Komm, lass uns miteinander sprechen." Aber sein Sohn Muharrem habe nicht mitgewollt: "Meine Frau und meine Tochter haben geweint. Ich habe auch geweint."

Die Salafisten-Moschee

Die Eltern wissen bis heute nicht genau, um welche Art von Moschee es sich handelt, in der sie ihren Sohn entdeckten. Der bayerische Verfassungsschutz beobachtet die El-Salam Moschee, stuft sie als salafistisch ein. Was Muharrem D. in der Moschee gemacht hat und wie lange er sich dort aufgehalten hat, soll vor Gericht geklärt werden.

Der Imam der Moschee möchte mit den Reportern nicht über Muharrem D. sprechen. Er bestätigt allerdings, dass er im Prozess als Zeuge vorgeladen ist.

Radikalisierung durch IS-Gewaltvideos?

Vorgeworfen wird Muharrem D. unter anderem versuchter Mord in 31 Fällen, schwere Brandstiftung und die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Zahlreiche Rohrbomben und kiloweise Sprengstoff wurden bei Muharrem D. gefunden. Laut Bundesanwaltschaft soll er einen großen Hass auf die politische Führung der Türkei entwickelt haben.

Muharrem D. hat sich zum Prozessauftakt umfassend auf die Vorwürfe eingelassen und die Taten zugegeben. Bei den Opfern entschuldigte er sich. Auch er sagt, dass er zunehmend Drogen konsumiert und sich "unbewusst radikalisiert" habe. Er sei, so Muharrem D., "durch das Internet zum IS" gekommen, habe einen "Tunnelblick" bekommen. Die Eltern sagen, sie hätten davon nichts mitbekommen.

Aber sie hätten ihrem Sohn den zunehmenden Drogenkonsum angemerkt, sagt seine Mutter: "Er hat sich zu hundert Prozent gedreht. Die letzte Zeit war er ganz nervös, hat immer geschlafen, hat nie gegessen. Er hat ausgeschaut wie ein Magersüchtiger."

Die Mutter schildert, wie sie und ihr Mann für den Sohn einen Termin beim Arzt ausgemacht hätten. Er sollte eine Therapie machen. Aber Muharrem habe diese Hilfe verweigert: "Und die Polizei hat gesagt, der ist schon volljährig. Als Eltern können sie nichts machen. Keiner hat uns geholfen."

Ist Muharrem D. schuldfähig?

Welche Rolle spielte der geistige Zustand von Muharrem D. bei den Taten? In einem Beschluss des Bundesgerichtshofs wird auf einen Sachverständigen Bezug genommen, der dem Täter Schizophrenie bescheinigt. Muharrem D. sagt vor Gericht aus, zum Zeitpunkt der Anschläge sei er nicht mehr Herr seiner selbst gewesen. Sein Anwalt Christian Gerber geht von einer verminderten Schuldfähigkeit aus.

"Kurz nach seiner Verhaftung gab es schon deutliche Züge einer Psychose. Das hat sich gebessert, aber an seinen Aussagen und Widersprüchen sieht man, dass er krank ist und behandelt werden muss." Rechtsanwalt von Muharrem D., Christian Gerber

Auch die Mutter erinnert sich an die Zeit kurz vor der Verhaftung:

"Er hat meine Blumentöpfe auf den Boden geschmissen. Er hat gesagt: Meine Mama ist eine Hexe. Sie versteckt immer Haare in der Ecke." Mutter von Muharrem D.

Seine Eltern sind froh, dass ihr Sohn jetzt Medikamente bekommt. Er habe sich normalisiert, sagen sie. Die Mutter hofft, dass ihr Sohn irgendwann wieder ganz gesund nach Hause zurückkommt.

Das Interview mit den Eltern von Muharrem D. geht nach zwei Stunden zu Ende. Ein Eindruck bleibt: Die Eltern kommen nur schwer mit der Schuld zurecht, die der Sohn auf sich geladen hat.

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