Ein Mädchen hält auf dem Schulweg an einem Zebrastreifen. (Symbolbild)
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Ein Schild zur Schulwegsicherheit aus den 70er Jahren sorgt für Aufregung im Netz.

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"Einladung zum Missbrauch": Schild auf Schulweg sorgt für Ärger

Auf einem Schild, das den Schulweg sicherer machen soll, ist die Unterhose eines Mädchens zu sehen. Der Aufschrei ist groß. Nutzer im Internet vermuten das Werk Pädophiler. Schnell werden Ort und Schild Spielball von Verschwörungstheoretikern.

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Der Aufschrei im Netz ist groß: "Den Typ, der dafür verantwortlich ist, sollte man im Auge behalten", schreibt ein User auf Twitter. "An solchen Schildern geilen sich die Pädos auf", meint ein anderer. Das Schild habe wohl ein Pädophiler gemalt, vermutet ein Dritter. Es geht um ein Schild, das Autofahrer darauf aufmerksam machen soll, dass seit einigen Tagen Schul- und damit auch Verkehrsanfänger unterwegs sind.

Schild zeigt Mädchen mit kurzem Rock und Unterhose

Das Schild zeigt dazu ein Mädchen in kurzem Rock und Schulranzen das eilig eine Straße zu überqueren versucht. Das Brisante daran: Auf dem Schild ist die Unterhose des Mädchens zu erkennen.

Im Internet bieten Antiquitätenhändler Sammlern dieses Schild für rund 300 Euro an. Angaben zufolge stammt es aus den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts.

Betroffener twittert Bild zuerst

Zuerst veröffentlicht wurde das Foto von einem Mann, der nach BR-Recherchen unter einem Pseudonym twittert und Bücher darüber schreibt, dass er in Jugend und Kindheit selbst sexuell missbraucht wurde. Ob das Foto von ihm stammt oder nur von ihm verbreitet wurde, ist unklar. Wohl aufgrund der Fülle an Reaktionen und weil Querdenker und Verschwörungstheoretiker das Thema mehr und mehr für ihre Zwecke nutzten, war das Bild bald schon nicht mehr aufzufinden - bevor es von weiteren Usern erneut getwittert wurde.

"Verstörend und widerlich": Reaktionen auf Twitter

Hunderte von Reaktionen haben die Tweets innerhalb weniger Stunden hervorgerufen. Die meisten Kommentatoren reagieren schockiert: Als "sehr grenzüberschreitend", "nicht akzeptabel", "ekelig", "übergriffig", "sexistisch", "zutiefst verstörend" und "unfassbar widerlich" bezeichnen einige das Schild. Im Rathaus des dem auf dem Foto gezeigten Ortes müsse wohl ein Pädophiler sitzen, der seine Tagträume verewigt habe, heißt es weiter. Den Menschen, die das Schild angebracht hätten, sollte "ganz schnell das Handwerk gelegt werden".

  • Im vergangenen Jahr sorgte die Darstellung eines Mohrs im Wappen der Stadt Coburg für eine ähnlich hitzige Diskussion im Netz.

Verschwörungstheoretiker vermuten Einladung zu sexuellen Missbrauch

Sogar als "Einladung" zum sexuellen Missbrauch von Kindern will es ein Kommentator verstehen. Ähnlich äußern sich Verschwörungstheoretiker, die sich bald zu Wort melden. Schilder wie dieses würden in entsprechenden Kreisen als ein Zeichen dafür bekannt sein, dass in der Nähe Familien ihre Kinder zum sexuellen Missbrauch freigäben, schreibt einer. Ein anderer erklärt, dass aus dem gleichen Grund Menschen Bobbycars an den Wegrand stellten und nur Uneingeweihte das als einen Versuch zur Verkehrsberuhigung verstünden.

Es geht sogar noch absurder: Flüchtlingen solle mit dem Motiv "Appetit" gemacht werden und die "Grünen" oder der "Dorfpfarrer" hätten bei der Auswahl des Schildes ihre Hände im Spiel, schreiben manche.

Auch Fotos von brennenden Kerzen, die an missbrauchte und getötete Kinder erinnern sollen, werden gepostet. Eine Userin verweist auf den Missbrauchsbeauftragen der Bundesregierung. Dass derartige Schilder heute noch aufgestellt würden, lasse ihr "den Atem stocken", schreibt eine andere.

In Raisting reagiert man schockiert

Nur wo genau dieses Schild überhaupt stehen soll, diese Frage wird in keinem der Tweets beantwortet. BR-Recherchen ergeben aber Hinweise darauf, dass das Foto eine Straße in der 2000-Einwohner-Gemeinde Raisting im Landkreis Weilheim-Schongau zeigt. Was der Bürgermeister dort auf Nachfrage auch bestätigt.

Er habe am Montagvormittag das Foto per E-Mail von einer Frau aus einem Nachbarort erhalten und sofort reagiert, sagt Martin Höck von der Neutralen Bürgerliste. Umgehend habe er den Bauhof angewiesen, das Schild zu entfernen. Spätestens am Dienstag sei das auch geschehen. Mittlerweile sei das Schild vernichtet worden. Künftig kämen stattdessen gelbe Banner der Verkehrswacht zum Einsatz.

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Das umstrittene Schild in der Gemeinde Raisting ist entfernt und durch ein anderes ersetzt worden.

Beim Aufstellen des Schildes nichts Schlechtes gedacht

Warum das Schild überhaupt aufgestellt wurde, erklärt Höck so: Jedes Jahr zum Schulbeginn würde es auf- und im Oktober wieder abgebaut. Seit mehr als 40 Jahren gehe das schon so. Er selbst kenne das Schild seit seiner Einschulung im Jahr 1977. Noch nie habe sich ein Bürger über die Darstellung des Kindes beschwert. Vermutlich deswegen habe sich in der Verwaltung nie jemand Gedanken darüber gemacht, dass die Darstellung des Mädchens und seiner Unterhose aus der Zeit gefallen sein könnte. Die Mitarbeiter des Bauhofes jedenfalls hätten routinemäßig gehandelt und sich nichts Schlimmes gedacht, sagt der Bürgermeister.

Kommentatoren halten Reaktionen für Übertrieben

So sehen das auch einige Kommentatoren im Netz. Wer in das Schild etwas schweinisches hineininterpretiere, sei selbst ein Schwein, schreibt einer. Um Pädophile zur Tat zu treiben, brauche es eine Neigung und kein Schild, meint ein anderer. In den 70er-Jahren, aus denen das Schild stammen soll, seien Schüler nun mal so gekleidet gewesen, meint der nächste. Es dokumentiere nichts anderes als die Mode einer anderen Zeit.

Mittlerweile verstehe aber jeder in der Behörde, warum das Schild zum Problem geworden sei, sagt Bürgermeister Höck.

Landkreis: Presse und Anwalt einschalten ist in Mode

Gleichwohl: Über die Heftigkeit der Reaktionen im Netz zeigen sich sowohl er als auch ein Sprecher im Landratsamt schockiert. Lob dagegen erntet die unbekannte Frau aus dem Nachbarort, die die Gemeinde sensibilisierte. Es sei in Mode geraten, bei Problemen eher die Presse oder den Anwalt einzuschalten, als zunächst das Gespräch mit der Verwaltung zu suchen. Dabei zeige das Beispiel Raisting, dass es keinesfalls so sei, dass Behörden Bürgeranfragen nicht interessierten, heißt es auf dem Landratsamt.

Experten: Kein offizielles Verkehrsschild

Dort gibt man übrigens zu verstehen, von dem Schild nichts gewusst zu haben. Für das innerörtliche Aufstellen von Schildern seien die Gemeinden selbst verantwortlich, so sie sich an die Straßenverkehrsordnung hielten. Um ein offizielles Verkehrsschild handle es sich dabei sowieso nicht. Ein solches dürfte, wäre es aus der Zeit gefallen und durch ein neueres ersetzt worden, jedenfalls nicht mehr verwendet werden. Das bestätigt der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DRV) in Berlin auf Nachfrage des BR. Dort heißt es aber auch, die zuständige Straßenverkehrsbehörde - in diesem Fall das Landratsamt - hätte dem Aufstellen des "Hinweisschildes" zustimmen müssen. Es gelte schließlich auch zu verhindern, dass es nicht ablenke oder anderweitig die Sicherheit im Straßenverkehr gefährde.

Vielerorts könnte das Schild noch stehen

In Raisting scheint der Fall damit aber erledigt zu sein. In vielen anderen Gemeinden dürfte der Aufschrei dagegen erst noch kommen. Immer mehr Kommentatoren geben auf Twitter zu verstehen, dass das Schild bei ihnen auch zu sehen ist.

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