Die gestiegenen Beiträge zur Pflegeversicherung bringen manchen Heimen wenig. Der Grund: Ihnen fehlt Pflegepersonal, um möglichst viele Heimplätze zu besetzen. Das heißt: weniger Geld aus der Pflegeversicherung - mit Folgen für die Heime und ihre Bewohner
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Die gestiegenen Beiträge zur Pflegeversicherung bringen manchen Heimen wenig. Ihnen fehlt Pflegepersonal, um ihre Heimplätze zu besetzen.

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Bayerische Pflegeheime: Wenig Personal, noch weniger Geld

Fehlendes Pflegepersonal bedeutet, dass weniger Heimbewohner betreut werden können und dass es weniger Geld aus der Pflegekasse gibt. Für die Heime und ihre Bewohner hat das drastische Folgen, wie Recherchen des BR-Politikmagazins Kontrovers zeigen.

Über dieses Thema berichtet: Kontrovers am .

Viele Pflege-Einrichtungen sind in einem Teufelskreis gefangen: Immer weniger Personal soll immer mehr Pflegebedürftige versorgen. Das aber lässt der Personalschlüssel nicht zu. Deshalb können die vorhandenen Betten oft nicht belegt werden. Weniger belegte Plätze wiederum bedeuten weniger Einnahmen. Die Folge: Einigen Pflegeheimen droht die Insolvenz und am Ende sogar die Schließung.

Schließungen keine Einzelfälle: 70 Prozent aller deutschen Pflegeeinrichtungen bedroht

Laut einer aktuellen Umfrage des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste sehen fast 70 Prozent der Pflegeeinrichtungen in Deutschland ihre wirtschaftliche Existenz bedroht. Erst vor wenigen Tagen mussten in Bayern zwei Pflegeheime schließen: in Reichertshofen und in Coburg. Ein Grund: Personalmangel. Und das sind keine Einzelfälle, wie Recherchen des BR-Politikmagazins Kontrovers zeigen.

Drastische Folgen für betroffene Heimbewohner

Die Folgen für die Heimbewohner, die plötzlich kein Heim mehr haben, sind drastisch. Beispiel Ochsenfurt-Fuchsenmühle in Unterfranken: Das dortige Pflegeheim der Curata GmbH musste ebenfalls vor Kurzem wegen Personalmangels und baulichen Problemen schließen. Dutzende Bewohner mussten innerhalb weniger Wochen einen neuen Pflegeplatz finden.

Für die Demenzpatientin Emmi Bollin war die Schließung des Seniorenheims in Ochsenfurt-Fuchsenmühle besonders hart: Sie hatte dort jemanden kennen- und lieben gelernt, ihren Lebensgefährten Rainer. Aber das Glück der beiden währte nur ein Jahr. Denn sie wurde nach der Schließung von ihm getrennt: Sie fand nach längerer Suche ein neues Zuhause im kommunalen Seniorenzentrum Röttingen, Rainer allerdings wurde in ein anderes Pflegeheim verlegt, das eine Stunde davon entfernt ist. Sie vermisst ihn, sagt Emmi Bollin heute: "Es war halt hart, aber hier ist es auch schön. Aber es wäre halt schön, wenn wir zusammen wären."

Dutzende Pflegebedürftige müssen neuen Heimplatz finden

Den neuen Heimplatz in Röttingen zu finden, war für Emmi Bollin und ihre Familie nicht leicht. Ihre Tochter kritisiert vor allem, dass der private Pflegeanbieter Curata Bewohner und Angehörige nicht unmittelbar informiert hat: "Ich war erstmal schockiert, da ich es ja über die Medien erfahren habe und nicht direkt von der Fuchsenmühle", erzählt sie. Ihr erster Gedanke: "Was tue ich jetzt, weil es ja einen extremen Mangel an Pflegeplätzen gibt und dann habe ich mich auch erst einmal wie die anderen Angehörigen damit beschäftigt, überall anzurufen und zu schauen, irgendwo einen Platz zu bekommen, und dann hieß es halt überall: Warteliste."

Bundesverband warnt: "Schäden, die nicht mehr zu reparieren sind"

Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste schlägt Alarm: "Ein Stück weit sind die Einrichtungen ratlos", sagt Bernd Meurer, Präsident des Bundesverbands. "Die Kosten laufen weiter und die Einnahmen reduzieren sich. Eine Struktur, die hier vom Markt gehen muss, die wird nicht wiederkommen, und insofern kann ich nur warnen: Hier entstehen im Moment Schäden, die nicht mehr zu reparieren sind." Vor allem kommerzielle, gewinnorientierte Einrichtungen stehen vor dem Aus.

Eine Lösung: "Springer" statt festes Pflegepersonal

Der gemeinnützige Träger Illersenio in Illertissen versucht einen neuen Ansatz: Seit Anfang des Jahres hat sich hier - mit Teilen des bisherigen Personals - ein Springer-Team aus zehn Pflegekräften gebildet. Sie können flexibel eingesetzt werden, um den von Station zu Station unterschiedlich stark ausgeprägten Personalmangel in den Griff zu bekommen. Die Auslastung der Pflegeplätze liegt bei IllerSenio bei fast 100 Prozent, auch dank der Springer. Deshalb geht hier die Rechnung auf: Mehr Personal heißt auch mehr zahlende Bewohner.

Die Pflege-Springer entlasten die festen Teams etwa bei krankheitsbedingten Ausfällen. Das führt zu mehr Zufriedenheit bei den anderen Pflegekräften: Sie sind weniger krank und bleiben länger im Job. Und für die Springer gibt es je nach Flexibilität mehr Geld. Allerdings sind Springer auch nur eine Notlösung für das fehlende Pflegepersonal.

Pflegepersonal mit dem Modell der "Pflege-Springer" weitgehend zufrieden

Einer der Pflege-Springer ist Cheickna Toure aus Mali. Er versorgt bei IllerSenio einen der ältesten Bewohner: einen 100-Jährigen. Cheickna Toure ist in beiden Pflegeheimen von IllerSenio mit insgesamt etwa 250 Bewohnern im Einsatz: "Neun Stationen, verschiedene Schichten, früh, spät, nachts. Wenn man da eingearbeitet ist, hat man den vollen Blick über alles, und das gefällt mir", sagt er gegenüber Kontrovers.

Und auch die festen Pflegekräfte sind zufrieden, weil sie jetzt zu fixen Zeiten arbeiten und eine Dienstplangarantie haben. Für Pfleger Cheickna Toure jedenfalls steht nach sechs Monaten Testphase fest: Durch die Springer-Lösung hat sich die Personalsituation im gesamten Pflegeheim entspannt: "Ich habe jetzt die richtige Stelle für mich gefunden und ich werde dabeibleiben."

Im Video: Die FDP-Bundestagsabgeordnete Kristine Lütke im Interview

Das Kabinett hat Rekordeinsparungen im Gesundheitsetat beschlossen. Die FDP-Bundestagsabgeordnete Kristine Lütke fordert daher im Interview mit dem BR-Politikmagazin Kontrovers, auf Leistungsausweitungen in der Pflege zu verzichten.
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Die FDP-Bundestagsabgeordnete Kristine Lütke fordert im Kontrovers-Interview, auf Leistungsausweitungen in der Pflege zu verzichten.

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