Sport - fussball


25

Interview mit Landauer-Neffe Uri Siegel "Der FCB begann nicht erst mit Beckenbauer"

Uri Siegel ist ein Neffe des einstigen Bayern-Präsidenten Kurt Landauer (1884-1961). Siegel wurde 1922 in München als Sohn jüdischer Eltern geboren. 1934 wanderte die Familie nach Palästina aus. 1956 kehrte er dauerhaft nach München zurück, wo er - in den Fußstapfen seines Vaters - bis heute als Rechtsanwalt arbeitet. Im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk blickt Uri Siegel zurück.

Stand: 12.08.2015 | Archiv

Uri Siegel in seinem Büro in München - das Foto rechts oben zeigt, wie der FC Bayern-Fanklub "Schickeria" Kurt Landauer anlässlich dessen 125. Geburtstags im Jahr 2009 ehrte. | Bild: BR/Ernst Eisenbichler

Frage: Herr Siegel, wie sind bzw. waren Sie mit Kurt Landauer verwandt?

Uri Siegel: Kurt Landauer war der Bruder meiner Mutter Henny.

Frage: Der FC Bayern wurde 1932 erstmals deutscher Meister - mit Ihrem Onkel als Präsident. Haben Sie als kleiner Junge damals davon etwas mitbekommen?

Siegel: Meine Mutter hatte noch eine Schwester, Gabriele. Diese hatte ein sehr schönes Landhaus in Untergrainau bei Garmisch. Zum Zeitpunkt des Meisterschaftsspiels (12. Juni 1932, Anm. d. Red.) versammelte sich dort ein Teil der Familie. Wir haben am Radio per Kopfhörer dieses Spiel von Anfang bis Ende gehört. Tante Gabriele hatte auch ein Haus in der Münchner Kaufingerstraße. Von diesem Haus aus haben wir den Einzug der Mannschaft zum Marienplatz beobachtet. Der Onkel und der Trainer saßen in der Kutsche. Neben dem Kutscher saß mein Vetter Otto.

Frage: Der FC Bayern konnte also damals schon standesgemäß mit einem Meisterkorso feiern.

Siegel: Ja, das war eine sehr beeindruckende Sache.

Frage: Der jüdische Präsident Landauer trat am 22. März 1933 zurück - kurz nach Hitlers Machtübernahme. Gab es davor schon antisemitische Töne gegen Landauer oder gegen den FC Bayern, den die Nazis - auch der Trainer Richard Dombi war jüdischer Abstammung - "Judenclub" nannten?

Siegel: Eigentlich nicht. Ich weiß nur, dass der Verein ihn halten wollte. Er sah aber ein, dass das nicht möglich war und trat zurück.

März 1933: Nazis demütigen den Rechtsanwalt Michael Siegel, einen Vetter des Vaters von Uri Siegel.

Mitte März wurde übrigens der Vetter und Sozius meines Vaters, Michael Siegel, von den Nazis mit abgeschnittenen Hosen durch die Stadt geführt - mit einem Schild um den Hals mit der Aufschrift: "Ich werde mich nie mehr bei der Polizei beschweren". Das war fast zum selben Zeitpunkt, als Landauer zurücktrat. Da war aber kein direkter Zusammenhang. Mein Vater beschloss nach diesem Ereignis, dass wir auswandern. Nach weniger als einem Jahr waren wir schon in Palästina.

Frage: 1939 ging Landauer ins Schweizer Exil. Konnten Sie den weiteren Lebensweg Ihres Onkels von Palästina aus mitverfolgen?

Uri Siegels Onkel

Kurt Landauer wurde am 28. Juli 1884 als Sohn jüdischer Kaufleute in Planegg bei München geboren. Selbst auch von Beruf Kaufmann war er seit 1901 Mitglied des FC Bayern, zunächst als Spieler. Dreimal stand er dem Verein als Präsident vor: 1913/14, 1919-1933 und 1947-1951.

Nach der Reichspogromnacht am 9. November 1938 sperrten ihn die Nazis vier Wochen ins KZ Dachau. Danach ging er ins Schweizer Exil. Vier seiner Geschwister kamen durch den NS-Terror um. Nur Henny, Uri Siegels Mutter, überlebte. 1947 kehrte Kurt Landauer aus der Schweiz nach München zurück. Er starb am 21. Dezember 1961 in München.

Siegel: Ja, wir waren in Verbindung mit ihm, die Schweiz war ja neutral. Über ihn erfuhren wir auch etwas über das Schicksal der anderen Geschwister. Aber in Palästina gab es ja auch eine Zensur während des Krieges. Meine Mutter war wohl in Verbindung mit ihm. Ich selber war ab 1942 nicht mehr daheim, sondern beim Militär, und kam erst 1946 wieder zurück.

Frage: Der FC Bayern gab in den 1940er-Jahren ein Gastspiel in der Schweiz. Einer der Zuschauer war Landauer.

Siegel: Das Spiel fand meines Wissens 1943 in Zürich gegen die Schweizer Nationalmannschaft statt. Nach dem Spiel gingen die Bayern-Spieler auf die Tribüne und begrüßten Landauer, obwohl damals Gestapo-Aufseher dabei waren.

Frage: Die Bayern-Spieler bekamen dafür wahrscheinlich einen Rüffel.

Siegel: Ja.

Frage: Landauer erwarb sich sehr große Verdienste um den Verein. Dennoch betreibt der FC Bayern keine übermäßig offensive Erinnerungsarbeit an ihn.

Siegel: Eine Zeit lang kritisierte ich deswegen auch den Verein. Die Geschichte des FC Bayern beginnt nicht erst mit Beckenbauer, Hoeneß, Rummenigge und Co. Aber es ist ein allgemeines Problem, dass man die Vergangenheit - die gute und die schlechte - zu schnell vergisst.

Eine kleine Münchner Straße erinnert an Kurt Landauer.

Anlässlich Landauers 125. Geburtstag (28. Juli 2009, Anm. d. Red.) gab es eine schöne Feier in Dachau. Dazu kamen auch Bayern-Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge, Vizepräsident Fritz Scherer, Vorstandsmitglied Karl Hopfner und Ex-Präsident Willi O. Hoffmann. Der Münchner jüdische Sportverein TSV Maccabi hatte die Sache ins Rollen gebracht.

Da hatte ich schon das Gefühl, dass es jetzt eine Trendwende gibt. Aber dieses Nicht-Erinnern besteht nicht nur beim FC Bayern. Als der Onkel starb, hat man noch lange an Totengedenktagen Kränze ans Grab im jüdischen Friedhof gelegt - bis die Tante gestorben ist, von da an geriet das in Vergessenheit. Aber Landauer war auch so Publicity-scheu, dass ich nie versuchte, sein Andenken wieder aufleben zu lassen - weil ich nicht sicher war, was er dazu gesagt hätte.

Frage: Wie würde Landauer den heutigen FC Bayern beurteilen?

Siegel: Das ist schwer zu sagen. Er war leidenschaftlicher Fußballer und machte eine Banklehre in Lausanne. Er beherrschte also auch das Geschäftliche sehr gut. Vermutlich hätte ihm die gute Leistung, die der FC Bayern im Großen und Ganzen hat, schon imponiert - und geschäftlich steht der Verein auch gut da. Ich nehme an, das hätte ihm gefallen.

Aber was den Lebensstil betrifft, war er sehr kritisch. Rauchen durfte man überhaupt nicht, zum Kummer meiner Mutter. Trinken vor den Spielen war auch verpönt. Da hätte es ein Donnerwetter gegeben. Im Großen und Ganzen wäre ihm das fremd geblieben. Aber das ist auch eine Frage der Generation.

Herr Siegel, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Ernst Eisenbichler für BR.de


25