Eine Stechmücke (Culex) auf Menschenhaut
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Wie gefährlich ist das West-Nil-Virus? Antworten von dem Virologen Jonas Schmidt-Chanasit von der Universität Hamburg.

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Wird das West-Nil-Virus zur Gefahr in Deutschland?

Der Virologe Christian Drosten sagte im Interview, dass die Zahl der Mücken, die das West-Nil-Virus in sich tragen, in Deutschland wohl zunimmt. Droht eine neue Gesundheitsgefahr? Was ist das für eine Erkrankung und wie ist die Situation in Bayern?

Über dieses Thema berichtet: IQ - Wissenschaft und Forschung am .

Seit dem Interview der Funke Mediengruppe mit dem Berliner Virologen Christian Drosten zum West-Nil-Virus (WNV) tauchen Fragen auf, was es mit diesem Virus auf sich hat und wie die Situation in Deutschland ist.

Das West-Nil-Virus wird von Stechmücken übertragen und kann grippeähnliche Symptome - in seltenen Einzelfällen auch eine schwerwiegende Gehirnentzündung - hervorrufen: "Die Zahl der Stechmücken, die das Virus mit sich tragen, scheint aktuell zu steigen. Sie kommen inzwischen in Berlin und in einem großen Teil von Ostdeutschland vor", sagte Drosten.

Besteht deshalb ein Grund zur Panik? Wichtige Fragen und Antworten rund um das Thema West-Nil-Virus.

Was ist das West-Nil-Virus?

Das West-Nil-Virus kommt in wildlebenden Vögeln vor und wird durch den Stich von Mücken der Gattung Culex übertragen. Dabei handelt es sich um einheimische Stechmücken, die hierzulande seit jeher vorkommen, mit den kühlen Temperaturen kein Problem haben und wunderbar angepasst sind, sagt der Virologen Jonas Schmidt-Chanasit von der Universität Hamburg. Die Stechmücken dienen dabei nur als Überträger, da sie das infizierte Blut der Vögel saugen und von Vogel zu Vogel weiterverbreiten.

Mücken, die sich beim Stich der Vögel infiziert haben, können das Virus auch auf Säugetiere wie Pferde und den Menschen übertragen. Diese sind aber sogenannte Fehlwirte mit nur niedriger Virämie - das heißt, sie haben nur wenig Viren im Blut, sodass sie selbst keine Virusquelle für Mücken sind, so das Robert Koch-Institut (RKI). Der Mensch trägt also nicht zur Verbreitung bei, da sich Mücken selbst bei einem betroffenen Menschen nicht infizieren können.

Wie wird das West-Nil-Virus übertragen?

Das West-Nil-Virus wird durch den Stich einer infizierten Mücke übertragen, aber auch das Anfassen von toten, infizierten Vögeln stellt ein Ansteckungsrisiko dar. In seltenen Fällen kann das Virus auch durch Bluttransfusionen sowie während der Schwangerschaft übertragen werden.

Wo kommt das West-Nil-Virus vor?

Das West-Nil-Virus ist über Zugvögel aus tropischen Breiten nach Europa eingeführt worden. Häufig betroffen sind laut RKI Südfrankreich, Nord-Italien, Griechenland und weite Teile des Balkans, weiter nördlich auch Teile von Tschechien, Ungarn, Slowakei, Österreich und die Türkei. "Das West-Nil-Fieber ist eine in verschiedenen Regionen der Welt endemisch vorkommende Zoonose. Alle Erdteile sind betroffen, allerdings in unterschiedlichem Ausmaß", schreibt das RKI dazu.

Ist Deutschland von dem West-Nil-Virus betroffen?

2018 wurden in Deutschland zum ersten Mal Fälle bei Vögeln und Pferden registriert, 2019 erstmals auch Krankheitsfälle beim Menschen. Laut Bayerischem Landesamt für Gesundheit und Ernährung wurde in Bayern bisher erst eine in Deutschland erworbene Infektion mit dem West-Nil-Fieber nachgewiesen (Stand: 29.09.2022): "In diesem Fall wurde das Virus – nach bisherigem aktuellem Kenntnisstand – nicht über Mücken übertragen, sondern durch den Kontakt der erkrankten Person zu einem an WNV verstorbenen Vogel während einer beruflichen Exposition (Obduktion)." In einigen Gebieten Ostdeutschlands werde das WNV bereits seit einigen Jahren regelmäßig bei Mücken, Vögeln, Pferden und auch beim Menschen nachgewiesen.

Es sind aber nach wie vor Einzelfälle von WNV-Fällen in Deutschland, betont Schmidt-Chanasit: "2018 hatten wir diesen starken Hitzesommer (...) und da sieht man gleich den Zusammenhang (...): Je wärmer es im Frühjahr oder Sommer ist, je mehr Hitze wir haben, desto größer ist auch die Gefahr, dass es zu Ausbrüchen mit diesen von Stechmücken übertragenen Viren kommt."

Welche Symptome ruft das West-Nil-Virus beim Menschen hervor?

Die Viruserkrankung verläuft meist ohne Krankheitsanzeichen. Bei etwa 20 Prozent aller Infizierten kommt es aber zu grippeähnlichen Symptomen, schreibt das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL). Zwischen Infektion und den ersten Symptomen können 2 bis 14 Tage liegen. Symptome können sein: Fieber, Schüttelfrost, Kopfschmerzen, Schlappheit, Schwellungen der Lymphknoten oder auch ein Hautausschlag. In der Regel heilt die Infektion ohne Komplikationen aus. Die Abgeschlagenheit kann allerdings längere Zeit anhalten.

Problematisch kann eine Infektion vor allem für ältere Menschen und welche mit einer Vorerkrankung werden. In seltenen Fällen kann es zu hohem Fieber und einer Hirnhautentzündung (Meningitis) kommen, die aber meist gutartig verläuft. Schlimmstenfalls droht vereinzelt eine Gehirnentzündung (Enzephalitis), die zu bleibenden neurologischen Schäden und sogar zum Tode führen kann. Studien zeigten, dass in neu befallenen Gebieten die Rate der schweren Erkrankungen bei 1 zu 1.000 Infizierten liege, sagt Drosten.

Wie wird eine Infektion mit dem West-Nil-Virus behandelt?

Es gibt keine gezielte Behandlung bei einer Infektion mit dem WNV. Die Symptome werden wie bei einer Erkältung mit zum Beispiel fiebersenkenden Medikamenten gelindert. In jedem Fall aber sollten Sie aufmerksam sein und auf mögliche Symptome einer Infektion achten, wenn Sie aus einem Gebiet mit hoher Mückenbelastung zurückreisen. Beim Auswärtigen Amt sollte man sich vor Antritt der Reise schlau machen, welche gesundheitlichen Gefahren im Reiseland lauern und wie und ob man sich schützen kann.

West-Nil-Fieber bei Pferden

Auch bei infizierten Pferden verläuft eine Infektion meist ohne Krankheitssymptome. Einige Tiere entwickelten aufgrund von Hirn- oder Hirnhautentzündungen aber zentralnervöse Symptome, wie Stolpern, Zittern oder Lähmungen. Für Pferde gibt es bereits eine Impfung, die die Tiere in besonders betroffenen Regionen schützt.

Steigende Zahlen: Trotzdem kein Grund zur Panik

Auch wenn es in Einzelfällen zu schweren Verläufen kommen kann, die Gefahr für den Menschen ist hierzulande noch gering - zumindest was die in Deutschland erworbenen Infektionen angeht (autochthone WNV-Infektionen). Die Zahl der Betroffenen ist gering, die schweren Verläufe sind noch deutlich geringer. Für eine WNV-Infektion besteht eine Meldepflicht.

Die Biologin Doreen Werner vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e. V. geht aber von einer Dunkelziffer aus, denn bei den meisten Infizierten verläuft die Erkrankung symptomlos oder die Symptome sind nicht eindeutig. Zu vermuten ist, dass die Zahl der Diagnosen steigen wird - auch, weil mehr über das Virus gesprochen und Ärzte dafür sensibilisiert werden und eine Infektion eher erkennen. "In Deutschland ist es bisher erst zu einem tödlichen Verlauf gekommen. Aber wenn sich das Virus in Regionen ausbreitet, wo wir eine höhere Bevölkerungsdichte haben, wo es dann auch zu viel mehr Infektionen kommt als bisher, dann werden sicher auch die tödlichen Verläufe mehr als bisher auftreten", sagt Schmidt-Chanasit.

Ein Twitter-Thread zum West-Nil-Virus von Philipp Kohlhöfer

Philipp Kohlhöfer arbeitet unter anderem für das Forschungsnetz Zoonotische Infektionskrankheiten, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Er äußert sich auf Twitter dazu, wie die Aussage von Drosten ausgelegt wird:

"Die Ausbreitung findet vor allem im östlichen Teil Deutschlands statt, in erster Linie in Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Im Spätsommer 2020 gab es aber auch den ersten Fall in Niedersachsen. Betroffen sind Vögel und Pferde. Das weiß man, weil es eine anzeigenpflichtige Tierseuche ist. Aber diese Verbreitung findet auf sehr niedrigem Niveau statt: 2022 waren gerade mal 17 Pferde betroffen und 56 Vögel. Bei Menschen autochthone humane WNV-Infektionen: 19. Allerdings waren es 2021 4 Fälle. Insofern: Es steigt. Das daraus eine Pandemie wird, hat nie jemand behauptet ..."

Was begünstigt das Vorkommen des West-Nil-Virus?

Wann und wie lange die Stechmücken Saison haben, hängt von den klimatischen Bedingungen ab. In Deutschland ist die beste Zeit in der Regel der Spätsommer und bei anhaltend warmem Wetter auch der Frühherbst.

"Das Vorkommen von WNV-Erkrankungsfällen über mehrere Jahre zeigt an, dass offensichtlich das West-Nil-Virus (WNV) auch in Deutschland überwintert und im Sommer ausreichend günstige klimatische Bedingungen vorfindet. Es ist damit zu rechnen, dass sich das WNV in Deutschland weiter etabliert und es in den kommenden Jahren insbesondere in den schon bestehenden Gebieten, aber vielleicht auch in weiteren Gebieten, zu einem saisonalen Vorkommen von WNV-Erkrankungsfällen kommen wird", schreibt das Robert Koch-Institut. Der Klimawandel sorgt dafür, dass sich die Viren bei warmem Wetter noch schneller in der Mücke vermehren können.

Kann man sich vor dem West-Nil-Virus schützen?

Wer zu den Risikogruppen gehört, sollte an Orten mit bekannter Mückenbelastung die üblichen Vorsichtsmaßnahmen treffen, um nicht gestochen zu werden.

  • Ein Ventilator soll den für Mücken angenehmen Körpergeruch besser verteilen, sodass die Plagegeister ihn nicht so intensiv wahrnehmen können.
  • Öfter Duschen, vor allem, wenn man geschwitzt hat.
  • Kein Alkohol.
  • Meiden Sie die Nähe von Gewässern - gerade in der Dämmerung.
  • Tragen Sie eher helle Kleidung, Mücken fliegen eher auf dunkle Textilien. Ein weiterer Vorteil: Auf den hellen Klamotten erkennen Sie einen Angreifer besser.
  • Auch wenn es schwerfällt: Den Körper möglichst durch Kleidung bedecken und auf Shorts und Sommerkleidchen verzichten. Damit machen Sie es den Tierchen zumindest nicht ganz so einfach. Kriebelmücken halten Sie aber so zuverlässig fern, denn sie können nicht durch die Kleidung durchbeißen.
  • Versiegeln Sie ihre Fenster vor tierischen Eindringlingen mit Fliegengittern.
  • Im Wohnumfeld sollten Mückenbrutplätze möglichst beseitigt werden.
  • Nutzen Sie hochwirksames Mückenspray.

In Risikogebieten in der Dämmerung im Haus bleiben

Gerade für Menschen aus Risikogruppen empfiehlt es sich zu versuchen, den Stechmücken aus dem Weg zu gehen: "Man sollte vermeiden, in der Dämmerung oder nachts herauszugehen, denn das ist genau die Zeit, in der die Hausmücken, die das Virus übertragen, in Deutschland besonders aktiv sind. Die betroffenen Regionen, wo es eine intensive Zirkulation des West-Nil-Virus gibt, sind bisher Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Bayern ist interessanterweise bislang nicht betroffen", rät Schmidt-Chanasit.

Gibt es einen Impfstoff gegen das West-Nil-Virus?

Ein Impfstoff gegen das West-Nil-Virus ist bislang nicht verfügbar. Drosten weist darauf hin, dass es möglicherweise demnächst einen Impfstoff geben werde, denn die Forschung dazu liefe bereits. Er wies in dem Kontext darauf hin, dass es für eine eng verwandte Erkrankung bereits einen Impfstoff gebe, nämlich für die von Zecken übertragene Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME).

Nach Einschätzung von Schmidt-Chanasit kann es noch dauern, bis ein Impfstoff für Menschen zugelassen wird: "Es gibt für Menschen bisher keine Impfung, für Pferde ja. Dort wird die Impfung auch empfohlen und viele Pferdehalter machen das, weil auch Pferde an dieser Infektion versterben können. Beim Menschen ist ein Impfstoff in den nächsten Monaten und – meines Erachtens – auch in den nächsten Jahren nicht zu erwarten. Da fehlen einfach noch entscheidende klinische Studien, die durchlaufen werden müssen, um auch die Sicherheit von so einem Impfstoff zu gewährleisten."

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