Ein Junge im Schlafanzug steht nachts mit einem Kissen in der Hand auf einer Straße.
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Schlafwandeln kommt bei Kindern häufiger vor als bei Erwachsenen. Dass sie - wie im Bild dargestellt - auf die Straße laufen, ist aber selten.

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Somnambulismus: Was Sie übers Schlafwandeln wissen sollten

In der Oberpfalz stürzte kürzlich ein Mann offenbar beim Schlafwandeln aus dem Fenster. Passiert das häufiger? Welchen Gefahren sind Schlafwandler ausgesetzt und was können Betroffene und Angehörige tun? Was der Schlafforscher dazu sagt.

Über dieses Thema berichtet: Abendschau am .

Der Fall eines Mannes, der Mitte Juli in Nittendorf im Landkreis Regensburg aus einem Schlafzimmerfenster dreieinhalb Meter tief auf eine Terrasse stürzte und sich dabei schwer verletzte, sorgte auch in den überregionalen Medien für Aufsehen. Der 45-Jährige war wohl beim Schlafwandeln gestürzt - das berichtete jedenfalls seine Frau.

Ist Schlafwandeln, auch Somnambulismus genannt, generell so gefährlich? Warum gibt es das Schlafwandeln überhaupt? Und: Was kann man dagegen tun? Michael Schredl, wissenschaftlicher Leiter des Schlaflabors am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim, gibt einen Einblick in die Welt von Schlafwandlern.

Was ist Schlafwandeln?

Als Schlafwandeln bezeichnet man es, wenn eine Person nachts "ungewöhnliche Dinge tut", erklärt Schlafforscher Schredl. "Es ist ein spezieller Bewusstseinszustand, der irgendwo zwischen Wachsein und Schlaf liegt."

Zu unterscheiden sei Schlafwandeln insbesondere von der sogenannten REM-Schlaf-Verhaltensstörung. "Die Muskelhemmung, die bei gesunden Menschen im REM-Schlaf vorhanden ist, weil wir da besonders intensiv träumen, funktioniert hier nicht richtig", erklärt der Somnologe. Diese REM-Schlaf-Störung sei eine neurogenerative Erkrankung, bei der Nervenzellen absterben und die innerhalb von zehn bis 15 Jahren zu schwerwiegenden neurologischen Erkrankungen wie Parkinson führen kann. Deshalb sei es wichtig, das Schlafwandeln von der REM-Schlaf-Störung sicher zu unterscheiden. Die REM-Schlaf-Verhaltensstörung tritt vor allem bei älteren Männern auf.

Laut der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) ist das Schlafwandeln auch zu unterscheiden vom sogenannten Nachtschreck, dem nächtlichen Aufschrecken, sowie von nächtlichen epileptischen Anfällen und von nächtlichen Verwirrtheitszuständen oder bewusstem nächtlichem Essen.

Wer schlafwandelt und wie häufig ist Schlafwandeln?

Das Schlafwandeln tritt bei Kindern relativ häufig auf. Laut Schlafforscher Schredl sind etwa 20 Prozent aller Kinder, meist im Alter zwischen drei und zehn Jahren, mindestens schon einmal schlafgewandelt. Bei Erwachsenen ist Schlafwandeln eher selten. Wenn es bei Erwachsenen auftritt, dann eher bei jungen Erwachsenen. Etwa ein Prozent der Erwachsenen schlafwandelt, schätzt Schredl.

Was passiert im Kopf?

Schlafwandeln findet im Tiefschlaf statt. Dabei werden einige Bereiche des Gehirns aus dem Schlaf geweckt und aktiviert, ein anderer Teil des Gehirns schläft weiter. Das Gehirn ist in einem Zustand zwischen halb schlafend und halb wach.

Experte Schredl beschreibt das so: "Wach ist: Die Augen sind offen, die Person kann sich bewegen, kann einfache Dinge tun. Schlafend ist der Teil, den wir als Präfrontalen Kortex bezeichnen." Dieser Teil des Gehirns ist unter anderem für das Planen, das Denken und Reflektieren zuständig und wenig aktiv.

Wie gefährlich ist Schlafwandeln?

In der Regel können Schlafwandler "die Dinge tun, die sie tagsüber tun". Es sei sogar möglich, schlafwandelnd Auto zu fahren. Aber: "Vor allem einfache Tätigkeiten kann der Schlafwandelnde genauso ausführen wie im Wachzustand."

In den allermeisten Fällen bewegen sich Schlafwandler nur wenig. Und selbst wenn sie das Bett verlassen, läuft das Schlafwandeln in der Regel relativ glimpflich ab. "Aber dadurch, dass die Person wenig sieht, weil es im Schlafzimmer in der Regel dunkel ist, und die Person Gedanken hat, die nicht unbedingt kritisch reflektiert werden, kann es eben zu Verletzungen kommen", sagt Schredl. Die Bandbreite der Verletzungen reiche von kleineren Schürfwunden durch zum Beispiel ein Anstoßen an herumstehenden Möbeln bis hin zu schwersten Verletzungen, die aber laut Schredl äußerst selten sind.

Schwere Verletzungen können zum Beispiel dann passieren, wenn der Schlafwandelnde denkt, dass es in der Wohnung brennt und er deshalb aus dem Fenster springt - weil er eben nicht kritisch hinterfragt, ob das tatsächlich der Fall ist. Psychologe Schredl nennt das "subjektives Erleben", das die Schlafwandler zu für Außenstehende nicht nachvollziehbaren Handlungen treibt. "Da sind immer Gedanken da und der Schlafwandler handelt nach diesen Gedanken." Weder an die Gedanken noch an die Handlungen kann sich der Schlafwandler oder die Schlafwandlerin später im wachen Zustand erinnern.

Sind Bewegungsabläufe beim Schlafwandeln anders?

"Die Augen sind beim Schlafwandeln geöffnet und der Bewegungsablauf entspricht dem, den man auch tagsüber hat", erklärt der Schlafforscher. Demnach stürzt man auch nicht anders als im Wachzustand.

Was sind die Ursachen fürs Schlafwandeln?

"Wir gehen davon aus, dass Schlafwandler einen besonders tiefen Tiefschlaf haben", sagt Schredl. Dieser besonders tiefe Tiefschlaf führe dazu, dass die Person unvollständig aufwache. Vermutlich spielten die Gene dabei eine Rolle, weil Schlafwandeln gehäuft in der gleichen Familie vorkomme. Auch wie viel Tiefschlaf man habe, sei genetisch bestimmt, erklärt der Schlafforscher. Außerdem kämen Stressfaktoren wie psychischer Stress zum Beispiel durch Stress in der Arbeit, in der Schule oder in der Partnerschaft dazu. "Alles, was Stress macht, führt zu mehr Weckreaktionen im Schlaf und deshalb auch zu einer höheren Chance, dass die Schlafwandel-Episode auftritt", erklärt Schredl.

Eine Veränderung der Schlafgewohnheiten führe ebenfalls dazu, dass die "Möglichkeit, dass Schlafwandel auftritt, erhöht wird". Das Fazit von Schredl: Je mehr Tiefschlaf, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass das Schlafwandeln auftritt. So auch nach einer schlaflosen Nacht.

In der darauffolgenden Nacht wird schließlich der Schlaf mit einem besonders tiefen Tiefschlaf nachgeholt. Deshalb tritt wohl auch bei Kindern das Schlafwandeln gehäuft auf. Sie haben einen tieferen Tiefschlaf als Erwachsene. Weitere Faktoren, die das Schlafwandeln fördern, sind ausgeprägter Alkoholkonsum, beruhigende Medikamente oder Fieber.

Wie lange dauert das Schlafwandeln?

Das Schlafwandeln dauert selten länger als zehn Minuten und nur in Ausnahmefällen eine Stunde oder länger.

Tipps für Betroffene und Angehörige

Schlafwandlern gibt Schredl folgenden Rat: Die Schlafumgebung sicher gestalten, das heißt zum Beispiel: keine scharfkantigen Gegenstände im Schlafzimmer, Fenster und gegebenenfalls die Wohnungstür abschließen. Aber: "Ganz wichtig: Den Schlüssel abziehen! Denn wenn Sie den Schlüssel abziehen, ist die Person schon überfordert", sagt Schredl. Wenn der Schlüssel hingegen steckenbleibt, ist die Gefahr, dass die Tür wieder aufgeschlossen wird, nicht gebannt. "Das kann die schlafwandelnde Person", erklärt der Psychologe.

Aufwecken oder nicht?

Schlafwandler nicht aufwecken, rät der Schlafforscher. Stattdessen die Person ruhig ansprechen und "sanft ins Bett zurückleiten". Denn was beim Schlafwandeln nicht funktioniere, sei das Erkennen von Gesichtern. "Das heißt: Wenn Sie anfangen, den Schlafwandler zu rütteln, kann es sein, dass der Schlafwandler denkt: Das ist eine fremde Person, die mich angreift." Das könne zu unangenehmen Gegenreaktionen führen, so der Mannheimer Forscher.

Was man zur Vorbeugung und als Therapie tun kann

Eine Therapie sollte laut dem Experten dann gemacht werden, wenn das Schlafwandeln "gefährlich geworden ist" oder wenn die Betroffenen dadurch in unangenehme oder gar peinliche Situationen geraten - wie etwa, wenn der Schlafwandelnde als Folge des Schlafwandelns nachts aufschreit. Als Therapie empfiehlt der Schlafforscher fünf- bis zehnminütige Entspannungsübungen vor dem Zubettgehen. "Dadurch wird der Schlaf physiologisch entspannter und die Wahrscheinlichkeit der Schlafwandel-Episoden nimmt ab", erklärt Schredl.

Wichtig sei auch ein regelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus. Bei Stress empfiehlt der Forscher Schlafwandlern eine kognitive Verhaltenstherapie, die auf den richtigen Umgang mit Stress abziele. Und Medikamente? Er selbst habe noch keine Patienten gehabt, bei denen der Einsatz von Medikamenten notwendig war, sagt Schredl. In sehr schwerwiegenden Fällen, bei denen die Betroffenen mehrmals in der Nacht schlafwandeln, könne man sich überlegen, ob man vorübergehend Medikamente einsetze. In Frage kämen dann "Valium"-ähnliche Medikamente, sogenannte Benzodiazepine.

Im Video: Schlafwandler stürzt aus Fenster und verletzt sich schwer

Schlafwandler stürzt aus Fenster und verletzt sich schwer.
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In Nittendorf in der Oberpfalz ist ein Mann nachts aus seinem Schlafzimmerfenster in die Tiefe gestürzt. Offensichtlich ist er ein Schlafwandler.

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