Die "Long Covid"-Patientin Birgit S. steht im Unfallkrankenhaus Berlin (ukb). Sie arbeitete als Krankenschwester und infizierte sich mit dem Coronavirus im Jahr 2020 und leidet seither an den Spätfolgen.
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Je nach Quelle leiden zwischen 10 und 15 Prozent Betroffene auch Wochen und Monate nach einer Corona-Infektion an Symptomen.

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Schützt die Corona-Impfung vor Long Covid?

Auch wenn die Zahlen der Corona-Neuinfektionen derzeit relativ niedrig und die Verläufe mild sind: Die Folgen einer Erkrankung - Long und Post Covid - verschwinden nicht. Kann man sich davor schützen, beispielsweise durch die Corona-Impfung?

Von Long Covid ist betroffen, wer vier Wochen nach der Corona-Infektion noch immer Symptome hat. Bei Post Covid sind auch zwölf Wochen nach der Krankheit nicht alle Symptome verschwunden. Bei einigen Patienten fällt das milder, bei anderen sehr viel schwerer aus. Und die Symptome können vielfältig sein und in unterschiedlichsten Konstellationen auftreten. Das Bundesministerium für Gesundheit spricht von etwa 15 Prozent, die nach einer Corona-Infektion an Long Covid erkranken, das Robert Koch-Institut von zehn Prozent, bei Post Covid sind es etwa zwei Prozent.

Wie kann man sich vor Long Covid schützen?

Der beste Schutz vor Long Covid ist, nicht an SARS-CoV-2 zu erkranken. Nach über drei Jahren Pandemie dürften das aber nicht mehr viele sein, die noch gar nicht mit dem Virus in Kontakt kamen. Wer an Corona erkrankt, kann einen leichten oder schwereren Verlauf haben - mit der Omikron-Variante sind schwere Verläufe seltener geworden.

Auch die Impfung trägt zu einem leichteren Verlauf bei und Studien zufolge sorgt sie auch dafür, seltener an Long Covid zu erkranken, so das Bundesministerium für Gesundheit (BMG). Dabei könne eine Impfung auch nach durchgemachter Infektion helfen, den Krankheitsverlauf und Anzeichen von Long Covid zu mildern.

Wer erkrankt an Long Covid?

Ein erhöhtes Risiko für Long Covid haben Menschen mit Vorerkrankungen, einem schweren Krankheitsverlauf, Menschen zwischen 30 und 50 Jahren, Frauen, sozial benachteiligte Menschen und Beschäftigte im Gesundheitswesen, so das BMG. Aber bei der Erkrankung Long Covid sind noch viele Fragen offen, weshalb weltweit immer wieder neue Studien durchgeführt und andere analysiert werden. In einem aktuellen Artikel im Fachmagazin Nature wird der derzeitige Forschungsstand zusammengefasst.

Aktueller Forschungsstand zu Long Covid

Demnach unterscheiden sich die Studienergebnisse sehr in Bezug auf Corona-Impfung und dem Risiko für Long Covid - je nach wissenschaftlicher Methodik, der Zeitspanne nach der Impfung und der unterschiedlichen Definition von Long Covid. Der Auswertung zufolge leiden mindestens zehn Prozent der Patienten weltweit an Long Covid - mit etwa 200 unterschiedlichen Symptomen. Von ihnen sind etwa zehn bis zwölf Prozent geimpft. Die meisten Long-Covid-Fälle traten bei Erkrankten auf, die einen milderen Verlauf ohne Hospitalisierung, aber mit akuten Symptomen hinter sich hatten. Eine Studie legte keine Auswirkung der Impfung auf Long Covid dar. Alle anderen kamen als Ergebnis zu einer Reduzierung des Long-Covid-Risikos zwischen 15 und 41 Prozent.

Carmen Scheibenbogen, Leiterin des Fatigue Centrums an der Berliner Charité, erklärt die unterschiedlichen Zahlen so: "Impfung schützt auf jeden Fall vor Long Covid, wie gut hängt von der Zahl der Impfungen ab, dem Abstand zur letzten Impfung, welche Virusvariante und welche persönlichen Risikofaktoren man hat."

Impfung und unterschiedliche Corona-Varianten

So unterscheiden sich die Studien-Ergebnisse auch hinsichtlich der einzelnen Corona-Varianten: Doppelt Geimpfte hatten nach einer Infektion mit dem Omikron-Subtyp BA.1 ein zu 50 Prozent verringertes Risiko, Long Covid zu bekommen als nach einer Delta-Infektion, fand das Office for National Statistics in Großbritannien heraus. Einen Unterschied zu dreifach Geimpften gab es allerdings nicht. Nach durchgemachter BA.2-Infektion kam es ebenfalls zu mehr Long-Covid-Fällen als nach BA.1 bei dreifach geimpften Patienten.

Unterschiedliche Corona-Varianten und Long-Covid-Symptome

Jördis Frommhold, Medizinerin und Gründerin des Instituts Long Covid in Rostock, fällt auf, dass sich die Long-Covid-Symptome mit den Corona-Varianten ändern: Während Long-Covid-Patienten nach einer Delta-Infektion eher unter kognitiven Einschränkungen wie Konzentrationsstörungen litten, neigen Omikron-Infizierte eher dazu, Symptome wie beim Erschöpfungssyndrom Fatigue oder ME/CFS zu entwickeln - so die Beobachtung ihrer etwa 6.000 Patienten und Patientinnen. Daher sei es wichtig, frühzeitig gewisse Symptom-Konstellationen abzufragen, um entsprechend die richtige Therapie aufzustellen.

Einfluss der Impfung nach Symptom-Beginn

Die Forscher vom Nature-Artikel schauten sich die Studienergebnisse auch bezüglich des Einflusses einer Impfung bei Auftreten von Long-Covid-Symptomen an, also nach durchgemachter Infektion. Demzufolge hatte die Impfung bei einem Großteil der Fälle (fast 62 Prozent) keinen Effekt auf die Symptome, bei knapp 17 Prozent verbesserten sie sich, bei gut 21 Prozent wurden sie schlimmer.

Noch ist die Studienlage relativ dünn, aber zukünftige Forschung muss auch untersuchen, inwieweit das Risiko für Long Covid nach mehreren durchgemachten Infektionen steigt. Denn erste Ergebnisse legen nahe, dass bei Zweit- oder Drittinfektion das Risiko steigt - auch bei doppelt oder dreifach Geimpften. Das berichtet auch die Pneumologin Frommhold, die sowohl Patienten behandelt, die drei- oder vierfach geimpft sind, als auch solche, die schon zwei- oder dreimal infiziert waren.

Corona-Lage hat sich seit 2020 verändert

Für die Einschätzung, inwieweit sich eine Corona-Impfung günstig auf Long Covid auswirkt, spielen auch die zeitliche Komponente und damit die unterschiedlichen Varianten eine Rolle. Studienergebnisse aus den Jahren 2020 und 2021 beziehen sich auf eine Zeit, in der es viel weniger Infektionen gab und - im Verhältnis zu heute - viel mehr Menschen im Krankenhaus mit einem schweren Verlauf behandelt werden mussten. Daher kam eine Studie in der Fachzeitschrift Journal of Medical Virology von 2020 zu dem Ergebnis, dass 50 Prozent aller Hospitalisierten auch noch zwei Monate später an Symptomen litten. Und laut einer großen Studie vom März 2021 bekamen "nur" zehn Prozent der Infizierten Long Covid, die einen leichten Verlauf hatten und nicht im Krankenhaus behandelt wurden. Ein schwerer Verlauf brachte also ein größeres Risiko für Long Covid mit sich.

Omikron, breiter Immunschutz und milde Verläufe

Die Annahme (damals): Da Long Covid vor allem bei schweren Verläufen auftritt und die Impfung vor einem schweren Verlauf schützt, schützt die Impfung auch vor Long Covid. So berichteten mehrere Medien (hier, hier, hier, hier und hier) - und bezogen sich vor allem auf eine Studie aus Israel, die sich auf Daten von 2020 und 2021 stützt.

Aber geht die Rechnung auch heute noch auf? Nein, die Impfung kann auf jeden Fall nicht ausschließen, dass man Long Covid bekommt, ist sich Lungenfachärztin Frommhold sicher. Mittlerweile gibt es sehr viel weniger schwere Fälle - dafür sind die mildere Omikron-Variante, aber auch der breite Immunschutz in der Bevölkerung nach durchgemachter Infektion oder Impfung verantwortlich. Und: Die Mehrheit der Long-Covid-Patienten hatte laut Studienlage einen eher milden Verlauf - was der Mehrheit aller Covid-19-Fälle entspricht.

"Dieser Rückschluss, dass man bei Omikron einen leichteren Verlauf und deswegen seltener Long Covid hat, der zieht einfach nicht." Jördis Frommhold, Medizinerin und Gründern Institut Long Covid, Rostock

Gründe für weniger Long Covid vielfältig

Der Pneumologe Tobias Welte, der an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) eine Long-Covid-Ambulanz betreibt, bestätigt auf BR24-Anfrage, dass er seit der Omikron-Variante weniger Long-Covid-Fälle registriert. Die Gründe dafür können aber vielfältig sein. Ein Problem sieht er auch darin, dass Long Covid selbst noch immer schwer zu diagnostizieren ist - weil die Symptome so unterschiedlich sein können. Daher sei es auch schwierig, einen Zusammenhang zu bestimmten Maßnahmen - wie der Impfung - herzustellen. Ihm sind derzeit acht Studien bekannt, die den Einfluss der Impfung auf Long Covid untersuchten: Bei sechs von ihnen hat die Impfung das Risiko für Long Covid reduziert, bei zweien hatte sie keinen Einfluss.

Long-Covid-Expertin Jördis Frommhold weist im BR24-Interview darauf hin, dass eine Impfung vor den Long-Covid-Fällen schützen kann, die nach einem schweren Verlauf entstehen - was gut ist, aber auf die Mehrheit der Fälle nicht mehr zutrifft. Weniger Patienten durch Omikron kann sie daher in ihrem Institut nicht beobachten: "Wir werden überrannt," sagt sie.

Fazit: Impfung hilft, aber unklar wie sehr

Die derzeitige Studienlage lässt darauf schließen, dass die Corona-Impfung vor Long Covid schützen kann bzw. das Risiko, daran zu erkranken, verringert - vor allem aber bei schweren Verläufen, die es wesentlich seltener gibt. Wie gut die Impfung aber Long Covid verhindert, lässt sich kaum einschätzen - denn das kommt auf verschiede Faktoren wie Abstand zur letzten Impfung, Anzahl der Impfdosen, Virusvarianten und eigene Risikofaktoren an. Medizinerin Jördis Frommhold legt vor allem nahe, sich während der Infektion richtig auszukurieren - egal, wie mild der Verlauf ist - denn auch das könnte zu Spätfolgen führen.

Der Direktor der Klinik für Pneumologie an der MHH, Tobias Welte, erinnert auch, "dass Wissenschaft ein fortschreitender Prozess des Erkenntnisgewinns ist, bei dem Hypothesen aufgestellt, geprüft und auch wieder verworfen werden müssen."

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