Entwaldete Waldflächen am Rande des Juruena-Nationalpark im Amazonas-Regenwald in Brasilien.
Bildrechte: dpa-Bildfunk/Isaac Risco-Rodriguez

Nähert sich der Amazonas-Regenwald einem gefährlichen Kipppunkt? Eine Studie warnt, dass ein Waldsterben bevorsteht.

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Wird der Amazonas-Regenwald bald zur Savanne?

Steht der Amazonas-Regenwald kurz vor einem Kipppunkt, der aus dem dichten Dschungel eine Savanne macht? Das fürchten Forscher, nachdem sie umfangreiche Daten aus den vergangenen 30 Jahren ausgewertet haben. Die Folgen wären schwerwiegend.

Über dieses Thema berichtet: IQ - Wissenschaft und Forschung am .

Regenwälder wie der im Amazonasbecken spielen eine elementare Rolle im globalen Klimageschehen, weil sie einerseits das klimaschädliche Kohlendioxid umwandeln und damit als CO2-Senken dienen. Andererseits beeinflussen sie durch die Verdunstung im Tropendschungel auch den Wasserhaushalt angrenzender Regionen. Verschwinden Regenwälder wie der im Amazonasbecken, könnte einer der sogenannten Kipppunkte erreicht sein, durch den sich der Klimawandel noch beschleunigt - ähnlich wie durch das Abschmelzen der Polkappen und Gletscher.

Amazonas-Regenwald steuert auf einen Kipppunkt zu

Der Amazonas-Regenwald ist bedroht, nicht nur durch die immer weiter zunehmende Abholzung insbesondere in Brasilien. Auch geringere Niederschläge und extreme Dürreperioden machen ihm zu schaffen. Wie sehr, ist für das bloße Auge nicht so leicht sichtbar, denn es geht dabei nicht allein um kahle Flächen.

Auch beim Amazonas-Regenwald gibt es Kipppunkte: Entwicklungen, die den Niedergang des Dschungels so stark beschleunigen, dass sie unter Umständen nicht mehr umkehrbar sind. Waldbrände sind so ein sich selbst beschleunigendes System: Sie verstärken die Trockenheit noch zusätzlich, wodurch weitere Feuer wahrscheinlicher werden. Eine neue Studie warnt jetzt, dass der Amazonas-Regenwald seinen Kipppunkt bald erreicht haben könnte.

"Der Grund, warum wir uns auf den Amazonas-Regenwald konzentrieren: Wir glauben, dass dies einer der Teile des Klimasystems ist, der einen Wendepunkt überschreiten könnte. Denn die Vegetation und die Landoberfläche in diesem Teil Südamerikas könnten sich in eine Art Savanne verwandeln." Tim Lenton, TU München, Co-Autor der Studie

Im Urwald droht ein Waldsterben

Drei Viertel des Amazonasregenwaldes haben seit den frühen 2000er-Jahren an Widerstandskraft eingebüßt, teilweise so stark, dass ein regelrechtes Waldsterben droht. Das ist das erschreckende Ergebnis einer Studie dreier Forscher, die jetzt im Fachmagazin Nature veröffentlicht wurde. Diese stark sinkende Resilienz ist nicht so einfach zu sehen, erläutern die Autoren Chris Boulton (Universität von Exeter, Großbritannien), Timothy Lenton (Technische Universität München) und Niklas Boers (Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung/PIK). Selbst in Gebieten, die weiterhin dicht von Wald bedeckt sind, kann die Widerstandskraft schon so stark nachgelassen haben, dass der Kollaps droht.

Widerstandskraft des Amazonas-Regenwaldes stark gesunken

Der durchschnittliche Waldzustand, die sichtbare Biomasse, die häufig für Studien herangezogen wird, ist nach Ansicht der Forscher der aktuellen Studie nur beschränkt aussagekräftig. Stattdessen hat sich das Forscherteam auf die Resilienz des Waldes konzentriert, seine Widerstandskraft. Gemeint ist damit "die Fähigkeit des Amazonas-Regenwaldes, sich nach einigen Störungen wieder in einen stabilen Zustand zu versetzen. Störungen wären etwa bestimmte Wetter- oder Dürre-Ereignisse", erläutert Studien-Hauptautor Chris Boulton.

Messbar wird das Schwinden der Widerstandskraft durch immer mehr oder stärkere Verzögerungen bei der Reaktion auf solche Störungen. Ein gesunder, resilienter Wald kann auf eine einmalige Dürreperiode noch gut reagieren und sich davon schnell erholen. Je mehr die Resilienz schwindet, umso anfälliger wird das gesamte Ökosystem für Störungen.

Klimawandel macht dem Amazonas-Regenwald zu schaffen

Und die "Störungen", die Gefahren für das komplexe Ökosystem Regenwald, sind mannigfaltig. Der Klimawandel macht mit erhöhten Temperaturen, länger dauernden Trockenzeitphasen und einzelnen, schweren Dürreperioden wie in den Jahren 2005, 2010 und 2015/16 dem Amazonaswald zu schaffen. Dazu kamen außergewöhnlich hohe Meeresoberflächen-Temperaturen und geringere mittlere Jahresniederschläge. Insgesamt sorgten all diese Faktoren dafür, dass es im Amazonasbecken deutlich trockener ist als früher. Das trägt nach Ansicht der Forscher dazu bei, den Regenwald zu schwächen. Die Forscher nutzen für ihre Studie satellitengestützte Daten zur Vegetationsdichte und verglichen diese mit zahlreichen Klimadaten.

Je näher der Mensch, umso schwächer der Urwald

Die Studie zeigt allerdings, dass die Widerstandskraft des Amazonasbeckens vor allem in den Gebieten stark abgenommen hat, in denen entweder besonders starke Trockenheit oder gar Dürre herrschen oder eine größere Nähe zu Landnutzung durch den Menschen besteht. Dabei wurden in der Studie nur Flächen einbezogen, in denen selbst noch keine Nutzung durch den Menschen stattfindet. Doch offenbar genügt schon die Nähe zur menschlichen Landnutzung, um den Wald zu schädigen. Das kann durch Straßenbau oder auch die Entnahme einzelner Bäume sein.

"Wir beobachten, dass Gebiete, die näher an menschlicher Landnutzung liegen, wie städtische Gebiete oder Ackerland, dazu neigen, schneller an Widerstandsfähigkeit zu verlieren. Genauso Gebiete, die weniger Niederschlag erhalten", erläutert Boulton. Der Zusammenhang zwischen Landnutzung und sinkender Resilienz des Regenwaldes wird noch dadurch unterstrichen, dass sich die Abnahme der Widerstandskraft seit 2010 stark beschleunigt - ebenso wie die Landnutzung im Amazonasbecken. Das bedeutet, dass der Mensch den Amazonas-Regenwald nicht nur dort direkt schädigt, wo er ihn abbrennt oder abholzt, sondern auch "nebenan" in den eigentlich unberührten Waldflächen, also in weit größeren Regionen.

Die Forscher zeigten sich alarmiert: Weite Teile des Regenwaldes könnten schon vor dem Kollaps stehen, ohne dass man es den Waldbeständen ansieht. Denn in der aktuellen Studie zeigte sich kein Zusammenhang zwischen gesunkener Resilienz und messbarer Vegetationsdichte.

Der gesamte Amazonas-Regenwald könnte an einen Kipppunkt kommen, mit verheerenden Folgen für die Artenvielfalt und die Fähigkeit des Waldes, weiter als CO2-Senke gegen den Klimawandel zu funktionieren. Wann der Amazonas-Regenwald den Punkt erreicht, zur Savanne zu werden, lasse sich nicht vorhersagen, so Niklas Boers vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), aber "wenn er dann zu beobachten ist, wäre es wahrscheinlich zu spät, ihn aufzuhalten."

"Wenn es zu diesem Wendepunkt kommt und wir den Verlust des Amazonas-Regenwaldes hinnehmen, kriegen wir eine signifikante Rückkopplung auf den globalen Klimawandel: Wir würden etwa neunzig Milliarden Tonnen Kohlendioxid freisetzen, hauptsächlich von den Bäumen und etwas vom Boden. Das entspricht den Emissionen mehrerer Jahre." Timothy Lenton, Wissenschaftler an der TU München

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