Ein Polizeiabsperrband vor einem Tatort
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Symbolbild: Umgangssprachlich redet man schnell von Mord. Doch wann trifft das wirklich zu?

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#Faktenfuchs: Wann spricht man von Mord?

Nachdem ein junger Mann in Münster bei einer Pride-Parade angegriffen wurde und später verstarb, sprechen Nutzer in sozialen Netzwerken von “Mord”. Das ist voreilig. Wann ist eine Tat “Mord” und welche Begriffe verwendet man? Ein #Faktenfuchs.

Darum geht’s:

  • Nach der tödlichen Attacke auf einen 25-Jährigen in Münster bezeichnen Nutzer in sozialen Medien die Tat als “Mord”.
  • “Mord” ist das juristische Fachwort für ein Tötungsdelikt, bei dem bestimmte Merkmale vorliegen müssen.
  • Bis ein juristisches Urteil über eine Tat mit tödlichem Ausgang gefällt (und rechtskräftig) ist, verwendet man laut Experten andere Begriffe.

Bei einer CSD-Versammlung in Münster wurde Ende August ein 25-Jähriger von einem anderen Mann niedergeschlagen und starb wenige Tage später. Er hatte sich für zwei Frauen eingesetzt, die der spätere Tatverdächtige beschimpft und bedroht hatte. Wie die Ermittlungen später ergaben, schlug der Tatverdächtige unvermittelt zu, der 25-Jährige ging zu Boden und schlug mit dem Kopf auf dem Asphalt auf.

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Im Netz bezeichnen einige die Tat sofort als Mord.

In den sozialen Medien beschrieben manche Nutzer die Tat als “Mord”. Dabei ist bislang niemand wegen Mordes angeklagt - oder gar schon verurteilt worden.

Auch auf dem Twitter-Account der Grünen Jugend ist der Begriff “ermordet“ zu lesen.

Andere Nutzer machten in ihren Tweets darauf aufmerksam, dass es bei den Begrifflichkeiten um einen gewaltsamen Tod Unterschiede gibt. Dieser BR24 #Faktenfuchs beleuchtet die unterschiedlichen Begriffe.

In Rechtsstaaten gilt die Unschuldsvermutung

Deutschland ist ein Rechtsstaat. In diesem gilt das Prinzip, dass Beschuldigte oder Tatverdächtige Rechte haben - wie auf anwaltlichen Beistand oder das Recht auf Schweigen.

Die Unschuldsvermutung ist ein Grundsatz des Rechtsstaates. In der Europäischen Menschenrechtskonvention in Art. 6 Abs. 2 garantiert die Unschuldsvermutung, dass jede Person während eines Strafverfahrens bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig gilt.

Gerade wenn ein Tatverdächtiger oder eine Tatverdächtige noch nicht juristisch verurteilt worden ist, spielen die Begrifflichkeiten eine wichtige Rolle, sagt Kirstin Drenkhahn, Professorin für Strafrecht und Kriminologie an der Freien Universität Berlin. Es sei generell wichtig, sensibel mit Begriffen wie Mord, aber auch mit Daten der Personen umzugehen. “Es kann theoretisch sein, dass die festgenommene Person nicht der Täter war oder die Tat anders abgelaufen ist“, sagt Drenkhahn.

Warum eine korrekte Verwendung der Begriffe wichtig ist

Werde medial “zu schnell” über eine Person geurteilt, das juristische Urteil falle dann aber anders aus, könne das “ganz lange auf das Leben der Menschen wirken“, so Drenkhahn. Besonders bei Anschuldigungen im Internet sei dies der Fall.

Auch Claudia Paganini hält deshalb eine vorsichtige Wortwahl für besser. Paganini ist Professorin für Medienethik an der Hochschule für Philosophie München und Leiterin des Zentrums für Ethik der Medien und der digitalen Gesellschaft. “Wenn ein Festgenommener oder Verdächtiger nicht der Schuldige ist, kann sich eine verheerende Dynamik entwickeln - was durch Social Media noch verstärkt wird”, sagt sie.

Auf der anderen Seite sehe Paganini auch eine Gefahr darin, wenn Taten wie die in Münster durch verharmlosende Sprache beschrieben würde: “Spricht man bei so etwas von einem ‘bedauerlichen Vorfall’ wird die Tat ein Stück weit relativiert”, sagt Paganini.

Die juristischen Begriffe

Aus juristischer Perspektive können hinter einem gewaltsamen Tod wie dem des 25-Jährigen in Münster verschiedene Straftatbestände stecken. Um welche es sich handelt, muss durch Ermittlungsverfahren und eine Gerichtsverhandlung herausgefunden und abschließend geurteilt werden.

Mord ist einer dieser Straftatbestände. “Mord“ ist ein juristisches Fachwort für ein Tötungsdelikt, bei dem bestimmte Merkmale erfüllt sein müssen.

Wann ist eine Tötung ein Mord?

Wann spricht man also korrekterweise von “Mord“? Und wie grenzen sich die Straftaten “Totschlag“, “Körperverletzung mit Todesfolge“ oder “fahrlässiger Tötung“ davon ab?

Drenkhahn erklärt, dass die vier Begriffe eine gewisse Abstufung bilden. Mord ist dabei die Straftat, mit der das höchste Strafmaß einhergeht. Mord und Totschlag gelten jeweils als Tötungsdelikte. Bei beidem handeln die (mutmaßlichen) Täter vorsätzlich.

“Vorsatz bedeutet im juristischen Sprachgebrauch, dass man das Ergebnis seiner Tat – hier den Tod einer anderen Person – mindestens billigend in Kauf nimmt“, erläutert Drenkhahn im Gespräch mit dem BR24 #Faktenfuchs. Bei Vorsatz habe der Täter also das Risiko gesehen, dass die andere Person sterben könnte.

Vorsatz sollte aber nicht mit Absicht verwechselt werden, wie Drenkhahn erklärt. Dieser Begriff wird zwar im alltäglichen Sprachgebrauch oft als Synonym für Vorsatz verwendet. Wenn hingegen aus juristischer Sicht etwas absichtlich passiert, habe der Täter den Ausgang seiner Tat – wie etwa den Tod oder die Verletzung einer anderen Person – schon vor der Tat als Ziel gesetzt.

Drenkhahn rät, erst dann von “Mord“ oder “mutmaßlichem Mord“ zu sprechen, “wenn die Strafverfolgungsbehörden wie die Polizei oder Staatsanwaltschaft den Begriff ins Spiel bringen“.

Wann handelt es sich um Totschlag?

Was Mord wiederum von Totschlag abgrenzt, sind die Motive der Tat. Diese sind im Strafgesetzbuch (StGB) Paragraph 211, Absatz 2 geregelt. “Mordmerkmale sind zum Beispiel Mordlust, Befriedigung des Geschlechtstriebs, Habgier oder sonstige niedrige Beweggründe wie tiefer Hass oder starke Eifersucht“, sagt Drenkhahn.

Außerdem spiele die Art der Ausführung der Tat eine Rolle – grausam, heimtückisch oder mit gemeingefährlichen Mitteln. Als Beispiel für ein gemeingefährliches Mittel nennt Drenkhahn eine Bombe. Auch werde berücksichtigt, ob die Tat eine andere Straftat – wie zum Beispiel einen Einbruch – ermöglichen oder verdecken soll. Bei Mord ist das Strafmaß immer lebenslange Haft.

Sind diese Motive nicht nachweisbar, die Tötung aber vorsätzlich, wird der Täter oder die Täterin wegen Totschlags nach Paragraph 212 des Strafgesetzbuchs zu mindestens fünf Jahren Haftstrafe verurteilt. Bei besonders schweren Fällen kann auch eine lebenslange Freiheitsstrafe beschlossen werden. “Totschlag ist nicht harmlos. Das ist eine der schlimmsten und schärfsten Straftaten, die wir im Strafgesetzbuch haben”, sagt Drenkhahn.

Wann spricht man von Körperverletzung mit Todesfolge?

Der Tatverdächtige in Münster wurde zunächst wegen des Verdachts auf Körperverletzung mit Todesfolge festgenommen. Der Straftatbestand ist in Paragraph 227 des Strafgesetzbuchs beschrieben. Hierbei handelt es sich um ein Körperverletzungsdelikt. Dabei wird dem Opfer eine Gesundheitsverletzung zugefügt, die sofort oder mit Verzögerung zum Tod führt. Die Körperverletzung ist vorsätzlich. Im Hinblick auf den tödlichen Ausgang wird hier erst einmal fahrlässig gehandelt. “Der Täter hat im Augenblick der Tat nicht klar vor Augen, dass der Tod der anderen Person eine Folge sein kann“, sagt Drenkhahn.

Das Strafmaß beträgt mindestens drei Jahre Haft. Während der Ermittlungen kann der Vorwurf einer Körperverletzung mit Todesfolge zum Vorwurf eines Tötungsdelikts umgewandelt werden, wenn dem Täter oder der Täterin Vorsatz in Bezug auf den Tod des Opfers nachgewiesen werden kann.

Was ist fahrlässige Tötung?

Bei einer fahrlässigen Tötung hingegen ist weder eine Tötung noch eine Körperverletzung vorsätzlich. Unter diese Straftat fallen zum Beispiel Autounfälle, bei denen kein Vorsatz in Bezug auf Körperverletzung oder Tod zu erkennen ist. Fahrlässige Tötung wird nach Paragraph 222 des Strafgesetzbuchs mit einer Haftstrafe von bis zu fünf Jahren Haft oder einer Geldbuße bestraft.

Wann gilt eine Person als verdächtig - wann als beschuldigt?

Ähnlich wie bei den Begrifflichkeiten rund um die Straftat, gibt es Unterscheidungen bei der Bezeichnung eines Tatverdächtigen. Von einem “Verdächtigen” spreche man laut Drenkhahn vor der Festnahme. Sobald eine Person festgenommen wurde, sei die Bezeichnung “Beschuldigter“ zulässig, so Drenkhahn. Zudem gibt es einen Unterschied zwischen “Festnahme” und “Verhaftung”. Für eine “Verhaftung” muss ein Haftbefehl vorliegen, bei einer vorläufigen “Festnahme” muss dieser noch nicht vorliegen.

Bei der Festnahme oder Verhaftung muss der Person der Grund mitgeteilt werden. “Ab diesem Zeitpunkt weiß die Person über den ihr angelasteten Vorwurf Bescheid“, sagt die Expertin. Als “Angeschuldigter” - im Unterschied zum Beschuldigten - gilt man dann, wenn die Staatsanwaltschaft Anklage erhebt. Das heißt, die Staatsanwaltschaft formuliert ihre Ermittlungsergebnisse in einem Schreiben, das später an ein Gericht gegeben wird.

Sobald ein Gericht die Anklageschrift akzeptiert und ein Verfahren eröffnet, wird der Angeschuldigte zum “Angeklagten”. Mit dem Ende des Gerichtsverfahrens wird die Person dann verurteilt oder freigesprochen. Wenn eine Person als nicht schuldfähig eingestuft wird, wird die Person als nicht schuldfähig abgeurteilt.

Welche Regeln gelten für Journalisten?

Für die journalistische Berichterstattung gilt aufgrund des Prinzips der Unschuldsvermutung bei Ermittlungsverfahren oder Strafverfahren eine besondere Sorgfaltspflicht, was die Begriffsverwendung betrifft. Diese ist im Pressekodex des Deutschen Presserats verankert.

In Ziffer 13 dieses Kodexes ist beispielsweise geregelt, ab wann journalistische Medien von einem “Täter“ sprechen dürfen: “Die Presse darf eine Person als Täter bezeichnen, wenn sie ein Geständnis abgelegt hat und zudem Beweise gegen sie vorliegen oder wenn sie die Tat unter den Augen der Öffentlichkeit begangen hat.“

Damit soll verhindert werden, dass Berichterstattungen „eine soziale Zusatzbestrafung Verurteilter mit Hilfe eines ‘Medien-Prangers‘“ werden, heißt es im Pressekodex. Zwischen Verdacht und erwiesener Schuld müsse unterschieden werden. Verstößt ein Medium gegen diese Richtlinie, kann der Presserat eine Sanktion, etwa eine öffentliche Rüge, verhängen.

Gibt es Regeln für Privatpersonen?

Für Äußerungen von Privatpersonen in sozialen Medien gibt es keinen solchen Kodex, der den Umgang mit bestimmten Begriffen regelt. “Man kann sich aber strafbar machen, wenn man eine Behauptung aufstellt, von der man weiß, dass sie falsch ist”, sagt Drenkhahn.

Jemanden des Mordes zu bezichtigen, obwohl nicht geurteilt wurde, dass die Tat Mord war, könne unter Umständen in den Straftatbestand der Verleumdung fallen. Bei Verleumdung kann laut Paragraph 187 des Strafgesetzbuches eine Person entweder mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder einer Geldstrafe belangt werden.

Bei öffentlicher Verleumdung kann es auch eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe geben. Auch auf Social Media gelte laut Drenkhahn eine Verleumdung nach dieser Definition als öffentlich, wenn sie für eine Vielzahl von Personen zu lesen sei.

Von übler Nachrede hingegen spricht man, wenn beispielsweise eine Person in sozialen Medien ein Gerücht verbreitet, von dem sie nicht sicher weiß, ob es stimmt oder falsch ist. Üble Nachrede, die in Paragraph 186 des Strafgesetzbuches geregelt ist, wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder mit einer Geldstrafe bestraft.

Möglicher Grund für Verwendung der falschen Begriffe: Alltagssprache hält sich nicht an Definitionen

Dass Begriffe wie “Mord” trotzdem oft voreilig verwendet werden, liegt laut Medienethikerin Paganini daran, dass sich Alltagssprache in den seltensten Fällen strikt an Definitionen halte.

Damit begründet auch die Grüne Jugend ihren Tweet zum Tod des 25-Jährigen in Münster.

Auf Anfrage des BR24 #Faktenfuchs teilt die Grüne Jugend mit, sie halte “den Begriff (“ermordet”, Anmerkung der Redaktion) im Kontext des alltäglichen Sprachgebrauchs für angemessen”. Dass die Polizei von dem Verdacht auf Körperverletzung mit Todesfolge spreche, sei nicht zentral, da am Ende ein Gericht über die Tat entscheide, schreibt die Grüne Jugend in ihrer Mail. Bei der Beurteilung spielten viele Faktoren eine Rolle und auch in ähnlich gelagerten Fällen könne die Beurteilung unterschiedlich ausfallen.

Medienethikerin Paganini weist außerdem darauf hin, dass in der Alltagssprache auch Moral und Emotion mit zum Ausdruck kommen können. Moralische Entrüstung könne man mit dem Begriff “Mord“ sehr gut zum Ausdruck bringen, da “wir alle darin übereinstimmen, dass ein Mord etwas Schlechtes ist”, sagt Paganini. Juristische Begriffe wie Totschlag oder andere Fachtermini seien weniger moralisch aufgeladen.

Akteure wie offizielle Vereine oder Institutionen sollten bei der Verwendung von Begriffen laut Medienethikerin Paganini trotzdem auf die Wortwahl achten. “Eine Partei oder auch ein Jugendverein sollten in ihrer politischen Kommunikation einen professionellen Sprachstil wählen und es vermeiden, emotional geleitet zu schreiben”, findet Paganini.

Fazit

“Mord” ist ein juristischer Fachbegriff für ein Tötungsdelikt. Damit eine Tat als Mord eingestuft wird, müssen dem Tatverdächtigen oder dem als Täter Verurteilten vor Gericht bestimmte Mordmotive nachgewiesen werden.

Um welchen Straftatbestand es sich handelt, entscheidet ein Gericht. Im alltäglichen Sprachgebrauch wird Mord dennoch oft voreilig verwendet, auch wenn der Begriff aus juristischer Sicht nicht korrekt ist. Um keine mediale Vorverurteilung zu schaffen, gibt es für den professionellen Journalismus Regeln, die im Pressekodex stehen. Für Privatpersonen gibt es keinen solchen Kodex, aber Gesetze, die Verleumdung oder üble Nachrede bestrafen.

Solange noch kein Urteil gefällt ist, rät Rechtsexpertin Drenkhahn, von einem Tötungsdelikt zu sprechen. Aus kriminologischer Sicht seien auch die Bezeichnungen Gewalttat oder gewaltsamer Tod passend.

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