Ein hellgrüner Traktor mit Doppelbereifung von hinten. Er fährt eine Grabenböschung entlang und hat hinten einen grünroten Bandrechen angebaut
Bildrechte: BR/Ursula Klement

Tobias Böhm holt das Mähgut mit dem Bandrechen von der Böschung rauf.

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Für mehr Artenvielfalt – Entwässerungsgraben räumen ohne Bagger

Doppelmessermähwerk statt Bagger: Wer bei der Pflege von Entwässerungsgräben umsichtig und mit den richtigen Maschinen arbeitet, kann den Lebensraum von Wasserlebewesen und Insekten erhalten. Und das Wasser fließt trotzdem gut ab.

Über dieses Thema berichtet: Unser Land am .

Gewässerpflege ist ein heikles Unterfangen, bei dem viel kaputtgeht, wenn man einfach drauflos baggert oder mulcht. Das ist spätestens seit den gravierenden Baggerarbeiten vor einem Jahr am Rappenalpbach bei Markt Oberstdorf im Allgäu klar.

Doch man kann beispielsweise Entwässerungsgräben auch so räumen, dass seltene Tierarten davon sogar profitieren.

Gräben sind zum Entwässern da

Gräben sind von Menschenhand angelegte Gewässer, die in der Regel dazu dienen, das Wasser aus Moorböden zu leiten. Die Gräben ermöglichen, dass man auf den Flächen Ackerbau betreiben kann. Ohne regelmäßiges Räumen und Pflegen würden sie aber schnell wieder zuwachsen und verlanden, das Wasser würde nicht mehr abfließen und etwa Kartoffeln und Getreidewurzeln würden ersaufen. Deswegen muss der Bewuchs an der Böschung regelmäßig entfernt werden – und im Notfall auch gebaggert werden.

Lebensraum für Bachflohkrebs, Rückenschwimmer und Insekten

Biologin Carolin Stoll steht an einem nasskalten Herbsttag mit Wattstiefeln in einem Graben bei Eppisburg im Landkreis Dillingen. Sie sucht mit dem Kescher im Wasser nach Lebewesen und gibt sie zum Bestimmen in eine weiße Wanne mit Wasser. Auch um diese Jahreszeit tummeln sich jede Menge Larven – von Köcherfliegen, Eintagsfliegen und Libellen zum Beispiel. Außerdem Bachflohkrebse – wenn "die schnellen Flitzer mit den vielen Füßen, die ein bisschen so seitlich sausen" vorkommen, sei es ein Zeichen dafür, dass die Wasserqualität gut sei, so Carolin Stoll. Sie findet auch noch Tellerschnecken, eine Sumpfdeckelschnecke und einen Rückenschwimmer, der mit dem Bauch nach oben unterwegs ist: "Das erste Beinpaar ist verlängert zu einem Ruderbein, er ist ein sehr schneller Schwimmer". Der Rückenschwimmer frisst unter anderem gern Libellenlarven.

Sogar extrem seltene Libellen können in einem Entwässerungsgraben leben

In und an den Gräben bei Eppisburg leben auch noch zwei extrem seltene Libellenarten: die Helm-Azurjungfer und die Vogel-Azurjungfer. Sie gelten als vom Aussterben bedroht und haben den europaweit höchsten Schutzstatus. Nur im Sommer, also von Mai bis August, sind sie als erwachsene Libellen mit einer Flügelspannweite von drei bis vier Zentimetern an der Luft. Den Rest des Jahres findet man die Libellen nur im Wasser, als Ei oder Larve. Die Larven sehen ein bisschen aus wie winzige Meerjungfrauen. 1990 waren die Bestände hier noch relativ gut, danach sind sie deutlich zurückgegangen. Und nun sind sie auf einem niedrigen Niveau stabil, sagt Carolin Stoll, die das Libellenvorkommen alle paar Jahre kartiert. "Es sind halt so viele Faktoren, die schlecht sind und jetzt kommen diese trockenen Sommer, alle zwei, drei Jahre sind die Gräben komplett trocken, ist mir eh ein Rätsel, dass die überhaupt noch da sind."

Libellen wollen auch einen gepflegten Graben

Die zwei Libellenarten sind ursprünglich in Kalkquellmooren und in Auenlandschaften daheim, Lebensräume, die heute Seltenheitswert haben. Die von Menschen angelegten Entwässerungsgräben sind quasi eine Ersatz-Unterkunft. Denn die Helm-Azurjungfer und die Vogel-Azurjungfer brauchen Sonneneinstrahlung, ein bisschen Strömung, nicht zu wenig und nicht zu viel, klares Wasser und möglichst kiesigen Untergrund. Außerdem eine freie Flugbahn und zugleich Versteckmöglichkeiten. "Also wenn der Graben völlig zugewachsen ist, taugt es ihnen nicht, weil sie nicht mehr durchfliegen können. Wenn der aber komplett ausgemäht ist, und es einfach eine vegetationsfreie Fläche ist, ist es auch nichts für sie."

Die Unterwasservegetation sollte auch im Winter grün sein, am liebsten sind ihnen Berle, eine Verwandtschaft vom Giersch, sowie zum Beispiel Wasserminze und Brunnenkresse. Würde man die Bewässerungsgräben ausbaggern – das wäre ihr Untergang. Doch ohne Pflege können sie auch nicht überleben. Die Insekten sind also viel anspruchsvoller als die Landwirte im Hinblick auf die Grabenpflege.

Entwässerungsgräben sind Aufgabe der Gemeinde

Für die Pflege von Entwässerungsgräben sind in der Regel die Gemeinden, manchmal auch die Landwirte selbst zuständig. Sie sollen die Pflegemaßnahmen mit der Wasserwirtschaft, dem Naturschutz und der Fischerei abstimmen – damit der ökologische und chemische Zustand eines Gewässers nicht verschlechtert wird, sondern wenn möglich sogar naturnäher und damit verbessert wird.

Die Grabenpflege im Donauried bei Dillingen organisieren die Mitarbeiter vom Landschaftspflegeverband Donautal-aktiv, also Profis, die nah dran sind an Landwirtschaft und Naturschutz. Weil hier eben noch Vogelazurjungfer und Helmazurjungfer vorkommen, wurde ein Natura-2000-Gebiet ausgewiesen, es gelten strenge Naturschutz-Auflagen. Die Grabenpflege wird staatlich gefördert. Matthäus Neidlinger von Donautal aktiv organisiert die Grabenpflege und vermeidet Baggereinsätze. "Das hat man auch eine gewisse Weile gemacht und hat festgestellt, dass dann der Lebensraum völlig verloren geht."

Mulchen bringt's nicht

Auch das Mulchgerät ist keine Alternative. Denn beim Mulchen entsteht ein Pflanzen- und Tiermus, das Gegenteil von Artenvielfalt. Dazu kommt: Die zerkleinerten Pflanzen bleiben liegen. "Das heißt, es reichern sich Nährstoffe an und es wächst immer mehr zu. Und auch zum Beispiel die Grabensohle wächst immer mehr zu und dann werden Bagger-Einsätze immer wahrscheinlicher", so Matthäus Neidlinger.

Sensen war der Goldstandard

Mähen statt Mulchen heißt deswegen die Devise. Und nachdem Mähen auch nicht gleich Mähen ist, arbeitet Tobias Böhm, ein Landschaftspflege-Unternehmer aus dem benachbarten Zusamaltheim, mit einem Doppelmesser-Mähwerk, dessen Neigung er ganz gezielt verstellen kann. Mit dem Doppelmesserbalken kann er höchstens zwei Kilometer pro Stunde schnell fahren. Bis vor einigen Jahren hat er mit dem Scheibenmähwerk gemäht, da ging es um einiges schneller. Zu schnell für die Insekten, sagt Tobias Böhm. Mit dem Doppelmesser-Mähwerk sehe er vom Traktor aus, wie die Insekten wegfliegen: "Das hast Du beim Scheibenmähwerk nicht, weil das alles so schnell dreht, der fährt ja mit 750 Umdrehungen".

Das Doppelmesser-Mähwerk ist also eindeutig die insektenfreundlichere Technik. In Eppisburg sind die Gräben bis zum Jahr 1999 noch von Hand mit der Sense gemäht worden, das ist vielleicht der ausschlaggebende Grund, warum es die seltenen Libellen hier überhaupt noch gibt.

Baggerfrei: Pflege funktioniert

Tobias Böhm zieht das Mähgut anschließend mit einem Bandrechen, der an einem anderen Traktor angebaut ist, die Böschung hoch. In ein paar Tagen kommt er mit dem Ladewagen und transportiert die gemähten Pflanzen ab.

Im Herbst mäht er immer nur die Böschungen auf der Nordseite der Gräben. Und im Frühjahr, bevor die Libellen ihre Eier an die Pflanzenstängel legen, die Südseite der Gräben. So bleiben für die Insekten immer ganz in der Nähe Ausweichmöglichkeiten erhalten. Und Baggereinsätze sind bei dieser Art der Pflege in den meisten Gräben überhaupt nicht mehr nötig, so Matthäus Neidlinger. "So wie wir hier arbeiten, schaffen wir genügend Material raus und es ist genügend Struktur dann auch für die Libellen da."

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