In der Mitte Umweltminister Thorsten Glauber mit einer ungefähr DinA-4 großen braunen Dämmplatte in der Hand.
Bildrechte: BR/Thorsten Bartberger

Der Bayerische Umweltminister Thorsten Glauber mit einer Dämmplatte aus Grasschaum im Mai 2023 im schwäbischen Donaumoos bei Günzburg

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Bringen Bauplatten den Moorschutz in Gang?

Bauplatten und Dämmstoffe aus Sumpfpflanzen könnten den Moorschutz ankurbeln. Diese neuen Produkte sind sehr gefragt. Es fehlt aber an wiedervernässten Feldern - und an Firmen, die die Baustoffe in Serie herstellen. Doch jetzt tut sich etwas.

Über dieses Thema berichtet: Notizbuch am .

Über 90 Prozent der Moore in Deutschland und Bayern sind entwässert und emittieren damit große Mengen CO2 in die Atmosphäre. Sie müssen wiedervernässt werden, um den Klimawandel zu bremsen.

Der Großteil der entwässerten Moore wird bisher landwirtschaftlich genutzt und so soll es auch bleiben, wenn die Moore wieder nass sind. Landwirtschaft auf nassen Böden heißt Paludikultur, vom lateinischen Wort "Paludi" für Sumpf. Da kann man keine Kartoffeln und keinen Mais erzeugen, aber zum Beispiel Rohrglanzgras, Seggen oder nasse Wiesenmischungen – also jede Menge Biomasse für Baustoffe. Und die sind gefragt. So gefragt, dass sie vielleicht sogar den Moorschutz ankurbeln können?

Dämmung aus Grasschaum

Eine dunkelgrüne Grasschaumplatte ist die Alternative zu Styropor: Sie hat vergleichbare Dämmwerte und verursacht auf der Baustelle im Gegensatz zum Styropor keinen Mikroplastik-Müll. Das Sumpfgras hat als Rohstoff in dem Fall auch Holz noch was voraus, denn die Biomasse aus dem nassen Moor lässt sich besser verarbeiten, sagt Anja Schumann, Agraringenieurin bei der Arbeitsgemeinschaft Schwäbisches Donaumoos. "Und man muss auch überlegen: Jedes Jahr kriegen wir eine riesige Masse an Material, wir brauchen nur jedes Jahr abschneiden, einmal Regen, bisschen warm, dann wächst das." Im Gegensatz zum Holz, das Jahrzehnte im Wald stehen müsse.

Bauplatte aus Sumpfgras-Heu

Für den Innenausbau gibt es inzwischen Musterplatten aus fest verpresstem Rohrglanzgras. Die Arge Donaumoos aus Leipheim bei Günzburg lieferte bereits Heuballen an die Firma, die den Prototypen herstellte. Die Platten können bis zu 80 Zentimeter Breite und 3,80 Meter Länge haben, "mit einer hervorragenden Schallisolierung und auch Wärmedämmung", so Anja Schumann. Ein neues Forschungsprojekt aus dem Oberbayerischen Donaumoos soll bis zum November dieses Jahres klären: Welche Paludipflanzen eignen sich besonders gut für diese Bauplatten? Wie reagieren die Platten, wenns brennt? Und wieviel Druck halten sie aus?

Außerdem: Möbelplatten und Zaunpfähle

Robuste Weide-Zaunpfähle aus 70 Prozent Paludimaterial, der Rest ist Kunststoff, sollen in Holland sogar als Wellenschutz am Strand eingesetzt werden. Und kleine Muster von grünen und rostroten Möbelbauplatten - die Grün- und Rottöne stammen von Lebensmittelfarben - kann Anja Schumann vorzeigen. Sie sind ganz aus Paludi-Gras. "Die Möbelbauplatten haben ganz normale Eigenschaften wie die Sandwichplatten, die wir kennen."

Baustoffe aus dem Moor mit Minus-Emission?

Die Paludikulturen haben einen Riesenvorteil. Weil sie auf nassen Böden wachsen, sorgen sie dafür, dass sehr große Mengen Kohlendioxid im Moorboden gespeichert bleiben. Und zugleich bauen sie in das Erntegut über die Photosynthese Kohlendioxid aus der Atmosphäre ein. Ulrich Mäck, der Geschäftsführer der Arge Schwäbisches Donaumoos: "Wenn man das vom Gesetzgeber her hinkriegt, bekomme ich eine Platte mit einer Minus-Emission. Und das ist für die Bauindustrie natürlich das, was sie braucht." Denn beim Bauen werde es auch in Zukunft zwangsläufig zu Kohlendioxid-Emissionen kommen und die könnte man mit den Baustoffen aus dem Moor kompensieren.

Bauunternehmer: Paludibaustoffe lieber morgen als übermorgen

Die Prototypen sind da und sogar die Nachfrage wäre in rauen Mengen vorhanden, meint Stefan Wiedemann, Geschäftsführer des Günzburger Bauunternehmens Bendl. "Wir würden gern Dämmungen ersetzen. Alles was Chemie ist, alles was nicht Natur ist, rausschmeißen." Die vorhandenen Untersuchungen zeigen, dass man Spanplatten und Feuchtraumplatten ersetzen könnte. Es fehlen zum Beispiel noch Daten zu Brandschutz und Druckfestigkeit, "aber ansonsten kann man schon sehr viel damit machen". Auch seine Kollegen vom Holzbau würden gern Paludi-Baustoffe kaufen. "Lieber morgen als übermorgen", so Bau-Unternehmer Stefan Wiedemann.

Die Bauplatte aus dem Moor ist deutlich teurer – noch

Doch können die Grasschaum-Dämmung und die Sumpfgras-Bauplatte auch bei den Kosten mithalten? Man kann damit rechnen, dass die Baustoffe aus der Paludikultur um 25 bis 30 Prozent teurer sind im Vergleich zu den herkömmlichen Baustoffen, die aus einer "gnadenlos durchgetrimmten Industrieproduktion" kommen, so die Formulierung von Stefan Wiedemann. Dreißig Prozent mehr werden die Kunden nicht bezahlen. "Aber wenn man da effizienter produzieren kann, dann kommt man auf jeden Fall in Reichweite." Und die Menge an Sumpfgräsern, die man auf wiedervernässten Moorböden produzieren könnte, würden der Kalkulation nach weit reichen. Außerdem könnten die Baustoffe von mittelständischen Firmen aus der Region kommen und müssten nicht bei internationalen Konzernen gekauft werden.

Bisher nur Prototypen

Doch egal ob Bauplatte, Möbelplatte, Dämmung oder Weidepfosten – für alle Paludi-Produkte gilt im Moment: Man kann sie nicht kaufen. Es gibt nur Prototypen, keine Serienproduktion. Der Grund: Das Henne-Ei-Dilemma: Die Landwirte zögern, ihre Flächen wiedervernässen zu lassen, weil es keine Firmen gibt, die die Paludiernte aufkaufen. Und die Firmen investieren nicht, weil sie im Moment nicht an die Paludi-Rohstoffe in ausreichenden Mengen kommen.

Moor-Action-Centre im Schwäbischen Donaumoos?

Wie kommt man möglichst schnell zu wiedervernässten Flächen und Paludi-Baustoffen aus der Serienproduktion? Man braucht ein "Peatland-Action-Centre" oder "Moor-Action-Centre", so die Forderung von Ulrich Mäck, dem Geschäftsführer der Arge Donaumoos. Er hat bei der Arge Donaumoos inzwischen 30 Jahre Erfahrung im Moorschutz und im Mai sein Konzept für das Moor-Action-Centre dem bayerischen Umweltminister Thorsten Glauber vorgestellt. Ein Hauptpunkt im Konzept: Die regionale Wirtschaftsförderung, damit mehrere Firmen in der Region anfangen, verschiedene Moorprodukte herzustellen. "Wo sich jeder die Baustoffe in einem Ausstellungsraum angucken, mit der Firma sprechen und die Bauindustrie direkt einkaufen kann." Denn so entstehe aus dem Moor eine lokale Wertschöpfung, hofft Ulrich Mäck. Er geht davon aus, dass dafür eine Anschubförderung von insgesamt fünf Millionen Euro in den nächsten fünf Jahren nötig wäre.

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