Strohbauplatte (innen pures Stroh, außen Recyclingkarton) auf der Baustelle
Bildrechte: Anja Schumann

Diese Strohbauplatte könnte man auch aus Moorpflanzen herstellen. In verschiedenen Stärken.

Per Mail sharen
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Adieu, Gipskarton? Moor-Bauplatten für Klimawende auf dem Bau

Bauen fürs Klima: Das funktioniert mit Baustoffen, die im nassen Moor wachsen. Aus Sumpfgräsern kann man Trockenbauplatten, Dämmstoffe und Möbel machen, die große Mengen CO2 fixieren. Nach Jahren des Stillstands herrscht jetzt Aufbruchstimmung.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Bauen kann zu einer Klimaschutzmaßnahme werden. Denn beim Anbau von Baumaterial auf wiedervernässten Mooren werden riesige Mengen Kohlenstoff gespeichert. So viel, dass die Moorbaustoffe unter Umständen den "Klima-Rucksack" von Beton ausgleichen und dazu führen können, dass auch ein Gebäude mit Beton CO2-neutral sein kann.

Vorneweg: Landwirtschaft auf nassen Mooren nennt man Paludi-Kultur. Paludi-Kultur kann die Weidehaltung von Wasserbüffeln sein oder der Grünfutteranbau für trockenstehende Kühe. Und zum Beispiel auch der Anbau von Sumpfgräsern wie Rohrglanzgras, Großseggen und Rohrkolben (Typha).

Baustoffherstellung direkt in der Region

Marcel Burgstaller, der Chef von I-Straw, einer Firma in Kirchanschöring, die bisher einen Dämmstoff aus Stroh vertreibt, will auch Paludi-Baustoffe auf den Weg bringen. Er verkauft Nutzungslizenzen für Produktionsanlagen, die Bauplatten aus Stroh oder eben auch Sumpfgräsern herstellen.

Die Lizenz soll für 10 Jahre um die 200.000 Euro kosten. Die Produktionsanlage könne man ganz simpel in einer ungenutzten Lagerhalle unterbringen. "Wenn sie heute also eine Lizenz bei mir kaufen würden: In einem halben Jahr hätten sie eine Produktion dastehen und könnten starten zu produzieren."

Tiny House und Wellness-Anbau mit Material aus Moorpflanzen

Die Firma "Moor and more" in Greifswald hat Möbelplatten aus Feuchtwiesengräsern entwickelt, die ebenfalls ganz ohne Bindemittel auskommen – und damit einen Tiny-House-Prototyp eingerichtet. "Typha Technik" aus Schönau im Landkreis Rottal-Inn hat bereits vor zwanzig Jahren zusammen mit dem Fraunhofer-Institut für Bauphysik in Holzkirchen Bauplatten aus Rohrkolben konzipiert, die eine aussteifende Funktion haben. Sie wurden bei der Sanierung eines denkmalgeschützten Fachwerkhauses in Nürnberg verbaut und bei der Erweiterung einer Wellnessanlage in Radolfzell.

Typha-Platten kann man auch als sogenannte Aufdachdämmung nutzen, also als Dämmung, die auf den Sparren angebracht wird. Man könnte aus den Sumpfgräsern auch Dämmschaumplatten für die Fassade machen.

CO2 speichern mit Bauplatten? Wie das funktioniert

Trockengelegte, also entwässerte Moore setzen mehr Kohlendioxid frei als jahrelang gedacht. Und nasse Moore speichern deutlich mehr Kohlendioxid als bisher vermutet. Wird die Entwässerung von trockengelegten Mooren gestoppt, stoppt man auch sofort die CO2-Freisetzung aus den Moorböden, die auf entwässerten Flächen bei 30 bis 40 Tonnen Kohlendioxid pro Hektar und Jahr beträgt. Und wenn man auf den nassen Moorflächen Sumpfgräser anbaut, dann lassen sich bis zu 50 Tonnen CO2 pro Hektar und Jahr speichern. Gleichzeitig wächst der Torfkörper sogar wieder – wenn auch minimal.

"Allergrößte Klimaschutzleistung" in der Landnutzung

Die Paludikultur von Sumpfpflanzen ist die "Anbaumöglichkeit, die die allergrößte Klimaschutzleistung bietet, die wir bisher kennen", sagt Matthias Drösler. Er ist Professor für Vegetationsökologie an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf und gleichzeitig der Chef des neuen Peatland Science Centre, des Moorforschungszentrums in Weihenstephan.

Zusätzlich zu den 50 Tonnen CO2, die im Boden und in den Wurzeln gespeichert werden können, speichern die Sumpfgräser auch oberirdisch in ihren Blättern und Stängeln Kohlendioxid. Wenn die Sumpfgräser als Baustoff genutzt werden, dann ist das in den abgeernteten Pflanzen gespeicherte CO2 auf Jahrzehnte im Gebäude fixiert.

Grasschaum zum Dämmen und Paludiplatten statt Gipskarton

Paludiplatten könnten in einigen Bereichen die bislang häufig genutzten Gipskartonplatten ersetzen, bei deren Herstellung riesige Mengen CO2 in die Luft gehen. Dämmschaumplatten aus Sumpfgräsern oder Typhadämmungen wären ein Fortschritt gegenüber Produkten auf Erdölbasis – im Hinblick auf die Klimabilanz sowieso. Und die Dämmungen aus Sumpfgrasmaterial bieten weitere Vorteile: Sie verursachen auf der Baustelle keinen Mikroplastikmüll und sind am Ende billiger und umweltschonend zu entsorgen.

Paludikultur: Anbau von Rohrkolben (Symbolbild)
Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Bernd Wüstneck
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Auch aus Rohrkolben kann man Bauplatten herstellen

Der Markt ist da

Die Nachfrage nach Baustoffen aus dem Moor ist nicht das Problem. Sie wäre auf alle Fälle da, so die Einschätzung von Stefan Wiedemann, Geschäftsführer des Bauunternehmen Bendl in Günzburg. Er geht davon aus, dass private Bauherren genauso wie gewerbliche an den Bauplatten aus Paludimaterial Interesse hätten: "Davon bin ich absolut felsenfest überzeugt." Auch bei Renovierungen könnte man die Trockenbauplatten gut brauchen, heißt es von vielen Seiten. Doch werden die Paludiplatten nicht zu teuer sein?

Paludibauplatten werden anfangs teurer sein

Stefan Wiedemann vom Bauunternehmen Bendl hat überschlagen, dass die Platten etwa 25 bis 35 Prozent teurer wären: "Also nicht wirklich viel." Würde man bei einem durchschnittlichen Einfamilienhaus alle nichttragenden Wände aus Paludiplatten machen, käme man auf Mehrkosten von 3.000 und 6.000 Euro – im Vergleich zu Gipskartonplatten. "Bei einem Gebäude-Preis von 450.000 Euro ist das durchaus erträglich, mein ich“, so Stefan Wiedemann. Der Preisunterschied wird im Lauf der Zeit aller Voraussicht nach geringer werden oder könnte sogar kippen – die CO2-Bepreisung wird den Gipskarton verteuern und mit steigenden Produktionsmengen werden die Paludiplatten günstiger.

Immerhin sind auch deutlich größere Wirtschaftsunternehmen als das Bauunternehmen Bendl an Baustoffen aus Paludimaterial interessiert, so eine Auskunft der Michael-Otto-Stiftung in Hamburg.

Woran hakt es dann?

Die neuen Baustoffe brauchen Zulassungen und damit labortechnische Prüfungen, die ins Geld gehen. Hohe Unkosten für die kleinen Unternehmen, die die Prototypen entwickelt haben. Der Staat sollte die Kosten für die Zulassungen zumindest zum Teil übernehmen, das fordern Fachleute immer wieder.

Zum Beispiel Anke Nordt, Paludi-Expertin am Greifswalder Moorzentrum. "Zum jetzigen Zeitpunkt denke ich, dass es sehr hilfreich wäre, wenn die Kosten für die Zulassungsprüfungen gefördert werden würden." Ein ähnliches Projekt habe es vor einigen Jahren für Dämmstoffe aus unterschiedlichen nachwachsenden Rohstoffen gegeben, wo verschiedene Institute grundlegende Kennwerte ermittelt haben. Das führe dazu, "dass dieser Zulassungsprozess schneller und vereinfacht wird".

Prinzip Baustoffneutralität: Bremsen bayerische Ministerien?

Doch während das Landwirtschafts- und das Umweltministerium in Bayern immer wieder Paludi-Projekte fördern, engagieren sich das bayerische Wirtschaftsministerium und das bayerische Bauministerium bislang überhaupt nicht für die zukunftsfreundliche Wertschöpfung aus dem nassen Moor. Man habe keine spezifische Förderung für die "Verwertung von Paludibaustoffen im Portfolio" heißt es aus dem Wirtschaftsministerium in München. Und das bayerische Bauministerium erklärt: "Die Haltung des Bayerischen Staatsministeriums für Wohnen, Bau und Verkehr ist stets Baustoffneutralität."

Baustoffneutralität: Das Bauministerium will also alle Baustoffe gleich behandeln. Egal ob sie das Klima schützen, in der Region landwirtschaftliche Einkommen generieren und die Artenvielfalt fördern oder ob sie einen hohen CO2-Ausstoß verursachen und von Weltkonzernen erzeugt werden.

Trotzdem Zuversicht

Bislang gibt es von den Baustoffen aus dem Moor nur Muster und Prototypen. Und zwei Gebäude, in denen Typhaplatten eingesetzt sind. Dennoch herrscht nun Aufbruchstimmung. Marcel Burgstaller geht davon aus, dass die Baustoffe einen wichtigen Beitrag zur Rettung der Moore leisten werden. "Und im Bauwesen ist es natürlich ein Game-Changer."

Ein "Game-Changer" ist auch nötig, damit die Baubranche bis 2045 klimaneutral wird. Und der Druck anders zu bauen wird bereits in den nächsten Jahren durch die CO2-Bepreisung zunehmen.

Momentan fehlt es bei den Baustoffen aus dem Moor allerdings noch auf beiden Seiten: Die Landwirte sind nicht bereit, ihre Moorflächen wiedervernässen lassen. Und die potenziellen Verarbeiter warten auf die wiedervernässten Flächen, auf denen Paludipflanzen wachsen, bevor sie in eine Produktionsanlage investieren. Matthias Drösler, der Leiter des Moorforschungszentrums in Weihenstephan: "Ich hätte vor zwei Jahren genau das Gleiche gesagt, dass die alle aufeinander warten, und keiner bewegt sich. Das sage ich jetzt nicht mehr." Denn einige Bauplatten-Produzenten seien startklar. Und die Landwirte?

Moorbauernprogramm kommt 2024

Bereits Anfang des kommenden Jahres sollen die bayerischen Landwirte, die Flächen auf entwässerten Moorböden haben, im Rahmen des neuen Moorbauernprogramms Geld für die Wiedervernässung bekommen können. Der neue Extra-Teil des Kulturlandschaftsprogramms befindet sich gerade zur Genehmigung bei der EU.

Die genauen Förderbeträge sind noch nicht bekannt, doch so viel ist bereits sicher: Der Einstieg in die Paludikultur wird dabei von allen Moorschutzmaßnahmen am höchsten bezuschusst. Naheliegend, denn Paludikulturen brauchen einen besonders hohen Wasserstand, der ungefähr eine Handbreit unter der Geländeoberkante liegt. Und es macht in den ersten beiden Jahren relativ viel Arbeit, die Sumpfgräser auf dem Feld zu etablieren. Danach ist der Arbeitsaufwand sehr niedrig.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!