Bauprojekt im slowenischen Žalec im Sinne der Kreislaufwirtschaft
Bildrechte: BR

Bauwende statt Bausünde

Per Mail sharen
Artikel mit Video-InhaltenVideobeitrag

CO2 einsparen: Nachhaltiges Bauen macht Fortschritte

Neben dem Verkehr gilt auch der Bausektor als schlimmer Klimatreiber. Lange wurde alternatives Bauen jedoch nicht ernst genommen. Jetzt muss ein Umdenken stattfinden – das fordert auch die Fachwelt. Wie kann das aussehen?

Über dieses Thema berichtet: DokThema am .

Ganz aus Stroh, Holz, Lehm und trotzdem modern – so wollen Carolin Volk und ihr Mann Holger ihr Eigenheim bauen. Um ihren Traum eines ökologischen Hauses zu verwirklichen, beschließen sie Ende 2021 aus ihrer Nürnberger Altbauwohnung ins Burgenland auszuwandern – denn hier sind nicht nur die Grundstücke bezahlbar, sondern auch alle benötigten natürlichen Baumaterialien direkt vor Ort verfügbar. Ein Haus aus kompostierbaren Rohstoffen? "Das hat durchaus experimentelle Züge, was einen ein bisschen nervös macht", gesteht Carolin Volk. Doch deshalb nicht klimaschonend zu bauen, das kommt für das Paar nicht in Frage.

Dass man mit demselben Ziel der Nachhaltigkeit auch einen anderen Weg beschreiten kann, zeigt zeitgleich das Bauprojekt von Andrej Fideršek: Er will mit seinem Haus im slowenischen Žalec keine neuen Flächen versiegeln und auch keine neuen Ressourcen verbrauchen, die irgendwann später wieder weggeworfen werden. Er will statt Abreißen umbauen, und zwar ausschließlich mit dem schon verbauten Material - ganz im Sinne der Kreislaufwirtschaft, sprich ohne jeden Abfall.

Fachwelt nimmt alternatives Bauen ernst

Beide Bauvorhaben - die DokThema begleitet hat - wirken auf den ersten Blick eher unkonventionell und nicht unbedingt massentauglich – und sind doch Vorreiter für Ressourcen-schonendes und emissionsarmes Bauen. Genau das fordert zunehmend auch die Fachwelt. Ein Sinneswandel, denn alternative Konzepte wurden lange nicht ernstgenommen. "Die haben irgendwas gemacht mit Lehm und Stroh. Darüber haben wir gelacht, also das war nicht die wirkliche Baukonstruktion. Die wirkliche Baukonstruktion war Beton oder waren Steine, gemauerte, also alles nicht recyclingfähiges Zeug. Das war unsere Ausbildung." Heute lacht die Architektur-Professorin Annette Hillebrandt nicht mehr über Stroh und Lehm. "Im Gegenteil", betont sie.

Wohnungsnot und Klimakrise müssen beide zusammengedacht und dringend bewältigt werden. Das erfordert ein Umdenken in allen Bereichen. Doch bislang hat der Bausektor die Klimaziele krachend verfehlt.

Bildrechte: BR
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Architekturprofessorin Annette Hillebrandt

Bestehende Gebäude als gigantisches Materiallager

Architekturprofessorin Annette Hillebrandt hat sich mit ihren Forschungen zu Materialkunde und Nachhaltigkeit einen Namen gemacht. Die rund 21 Millionen Gebäude in Deutschland sind in ihren Augen nichts anderes als ein gigantisches Materiallager: 28 Milliarden Tonnen schwer! Schon bei der Herstellung wurden Unmengen an Energie verschlungen. Warum also diese sogenannte "graue Energie" nicht nutzen und die verbauten Ressourcen im Kreislauf halten?

"Wir reißen viel zu früh ab, und es hat sich mittlerweile herausgestellt, dass auch der beste Neubau, den wir hoch wärmegedämmt errichten, trotzdem mehr CO2 emittiert als eine schlecht sanierte Bestandsnutzung. Und wenn man das weiß, dann kann man eigentlich nicht mehr für Neubau sein", sagt die Fachfrau.

Nicht nur Dämmen und richtiges Heizen ist also wichtig für das Einsparen von CO2. Es gilt, den gesamten Lebenszyklus eines Hauses im Blick zu haben. Deshalb wünscht sich Annette Hillebrandt ebenso wie viele andere Architekturkolleginnen und -Kollegen eine Abrissgenehmigungspflicht, gekoppelt mit einer Erleichterung des Umbauens. Und die Expertin sieht noch ein weiteres Problem: Nachhaltigkeit wird zwar gefördert, doch sie ist noch kein verpflichtendes Kriterium für einen Neubau.

Soweit die Theorie. Doch wie ist das alles in der Praxis umsetzbar? Eines kann verraten werden: Einfach hatten es die beiden unterschiedlichen Bauvorhaben, die DokThema begleitet hat, nicht.

Projekt "Strohhaus": Tatkräftige Helfer vor Ort

Zunächst läuft alles gut. Die ins Burgenland ausgewanderten Nürnberger Carolin und Holger Volk werden in Österreich überaus herzlich empfangen, der Bürgermeister ist vom Projekt begeistert. Genauso wie ein international renommierter Strohbau-Experte, der miteinsteigt und einen seiner Workshops vor Ort abhält - wodurch sie tatkräftige Helfer für die umfangreiche Handarbeit gewinnen. Schließlich muss jeder Ballen für den lasttragenden Strohbau manuell gepresst, verbaut und verputzt werden. Aber gemeinsam mit den Teilnehmern des Workshops macht es auch Spaß. Hinzu kommt der Aufwand für das runde Holzdach, das oben stabil auf den Strohwänden sitzen soll. Präzisionsarbeit! Es wird das Gesellenstück eines 22-jährigen Zimmerers aus der Region, der von dem Projekt begeistert ist.

Dennoch: Auch im Burgenland herrscht Fachkräftemangel, der sich trotz der vielen Eigenarbeit auswirkt. Und so kommt es, dass der ursprüngliche Zeitplan am Ende nicht einzuhalten ist. Nach dem ersten Teilabschnitt, dem Gästehaus, treffen Carolin und Holger Volk die Entscheidung, den Bau des Haupthauses aufs nächste Jahr zu verschieben. Später wollen sie auch eigenen Strom und eigene Wärme herstellen, mit Photovoltaik und Solarthermie. Und sie haben eine neue Passion: Permakultur – also die Philosophie, auch im Garten im Kreislauf zu wirtschaften.

Das "Zero-Waste-Haus": Tücken der Sanierung

Drei Monate sind vergangen und auch für Andrej Fideršek in Žalec läuft es zunächst gut. Der Anti-Müll-Aktivist weiß nun sicher, er wird das alte Haus sanieren können. Ein Gutachter hat das bestätigt und damit ist der Umbau genehmigt. Er ist erleichtert. Denn ein altes Haus steckt voller Überraschungen – und die sind nicht immer gut. Seine Sorge galt der neuen Dachkonstruktion: Ob die historischen Balken intakt genug sind, um diese zu tragen? Schließlich sollte das Dach ja angehoben und ein neuer Kubus eingebaut werden. Am Ende entpuppten sich die meisten Balken als tragfähig. Zum Glück, denn sonst hätte er die Baukosten wohl kaum stemmen können. Bei einigen der nicht lasttragenden Decken musste er allerdings schon Abstriche machen: Echter 70er-Jahre-Styropor kam zum Vorschein – ein kleiner Rückschlag. Denn ursprünglich sollte es ja ein Null-Abfall-Haus werden.

Ist die Zero-Waste-Utopie also gescheitert? Nein, sagt Fideršek: "Die Idee ist lebendig. Sie befindet sich in ständiger Bewegung. Ich hoffe nur, dass ich zeigen kann, wie man Dinge anders machen könnte. Ich meine, es gab viel Müll, aber auf der anderen Seite könnte es noch viel mehr Müll geben, weil wir vieles im Originalzustand belassen haben." Und die Kosten? Tatsächlich immer noch viel weniger als für einen Neubau.

Zunächst hatte Andrej Fideršek übrigens nicht den Plan, den alten Hof stehen zu lassen. Er wollte ihn ursprünglich durch ein leicht abbaubares Holzhaus ersetzen. Um Abfall zu sparen, sollten aus dem Abbruchmaterial weitere Nebengebäude entstehen – die allen in der Nachbarschaft offenstehen. Für den Entwurf bekam er sogar den Bauhauspreis der Europäischen Union und Aussicht auf Fördergelder. Doch es sollte anders kommen. Denn eines hatte er übersehen: eine kleingedruckte Klausel im Kaufvertrag, betreffend den Ausbau einer Straße auf seinem Grund. Statt Abriss also Umbau. Den Preis durfte er trotzdem behalten.

"Was wir brauchen, ist wirklich ein Denken im Kreislauf, im Gesamtsystem, wir müssen uns wieder viel mehr als Teil des Naturkreislaufes begreifen. Wir kaufen so viel unnützes Zeug, das ist beim Bauen ganz genauso. Wir haben so viele unnütze Baustoffe, die am Ende nur Probleme bereiten. Und diese Probleme werden alle nachfolgenden Generationen bezahlen müssen." Architektur-Fachfrau Annette Hillebrandt

Wie funktioniert Nachhaltigkeit in Ballungsräumen?

Das alles scheint auf dem Land gut zu funktionieren. Hier gibt es Platz und oft auch die Zeit für Sonderprojekte. Doch was ist mit Großstädten wie München? Gerade sie stehen unter besonderem Druck: Hier muss dringend Wohnraum geschaffen und gleichzeitig das Klima geschont werden. Das Zauberwort: Nachverdichtung.

"Dichtes Bauen bedeutet eigentlich auch nachhaltig bauen, weil auf diese Weise versiegeln wir weniger Fläche. Wir schaffen auch eine Nutzungsdichte", erklärt Rositsa Donova. Sie ist Projektleiterin der städtischen Wohnbaugenossenschaft GWG, die in München 1.100 Wohnungen in diesem Jahr bauen soll – nachhaltig! "Wir versiegeln pro Jahr 200 Quadratkilometer. Und wenn man es einfach mal zu Ende denkt, dann kann man sich vorstellen: die ganze Bundesrepublik ist betoniert."

Urban Mining im städtischen Bauen

Immer mehr rücken auch im städtischen Bauen die Bau-Materialien in den Fokus. Und der Altbestand wird dabei genau geprüft. Urban Mining nennt man das. Jedes Haus ist hierbei eine Art "Rohstoff-Mine". Geprüft wird: Welche Stoffe können wieder und anders genutzt werden, oder zumindest recycelt?

Materialexpertin Anja Rosen hat zusammen mit anderen Architekten im hessischen Korbach ein neues Rathaus geplant und dabei Prinzipien des Urban Mining berücksichtigt. Altbeton wurde wiederverwendet und so Zement und Ressourcen gespart.

Um zu zeigen, dass Recycling am Bau nicht teurer kommt, hat die Architekturprofessorin ein digitales Tool entwickelt, das Emissionen, Materialien und die Wiederverwertbarkeit von Bauteilen beziffert und zusammenführt: den sogenannten Urban Mining Index. Planern hilft er, die Klimaschädlichkeit von Stoffen besser abzuschätzen, ebenso wie ihre Kreislauffähigkeit. "Das Gute am Urban Mining Index ist, dass man Zirkularität jetzt tatsächlich messen kann. Oft wird ja behauptet, nachhaltiges Bauen wäre teurer. […] Aber wir haben jetzt mit dem Urban Mining Index ein Instrument, um die Zirkularität messen zu können und um ganz einfach mit Zahlen überzeugen zu können." Das Ergebnis ist ein "Atlas Recycling" – mit konkreten Kosten.

Bauen in der Zukunft – die Politik ist gefragt

Denn Bauen für die Zukunft, das heißt eben auch, schon bei der Planung die künftige Entsorgung mitzudenken. Oder sie sogar unnötig zu machen. Und die Entsorgung von 74 Millionen Tonnen Bauschutt pro Jahr in Deutschland ist ein wachsendes Problem.

Das Haus als Materiallager begreifen und nutzen, könnte die Lösung sein. Bauen im Bestand hat dabei oberste Priorität, weil es am meisten CO2 einspart und am meisten Ressourcen schont - mehr als jeder noch so ökologische Neubau.

Doch wer denkt so langfristig? Solange abreißen und neu bauen einfacher und billiger ist, lassen sich nur wenige für einen Umbau begeistern.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!