Eine Pflegerin schiebt eine im Rollstuhl sitzende Person (Symbolbild)
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Eine Pflegerin schiebt eine im Rollstuhl sitzende Person (Symbolbild)

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Zeitarbeit in der Pflege: Fluch oder Segen?

Die Pflege bleibt ein Dauerthema: Bemängelt werden schlechte Arbeitsbedingungen, zu geringes Gehalt und fehlendes Personal – etwa auf Intensivstationen in Kliniken. Zunehmend werden Zeitarbeitskräfte eingesetzt. Doch das wird auch kritisch bewertet.

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Es gibt Pflegerinnen und Pfleger, die ganz bewusst ihre Festanstellung aufgegeben haben, um flexibel arbeiten zu können – und das am liebsten in ganz Deutschland. "Pflege-Nomaden" werden sie mitunter genannt. Ihre Überzeugung: So würden sie nicht so schnell ausbrennen und hätten eine bessere Work-Life-Balance. Und davon könnten ihrer Einschätzung nach auch die zu Pflegenden profitieren. Zeitarbeitskräfte, die in Kliniken aushelfen – was nach einer praktikablen Lösung klingt, stößt aber auch auf Kritik.

Als "travel nurse" bundesweit im Einsatz

Mittags am Bahnsteig Neu-Ulm: Intensivkrankenschwester Bianca Kohl kommt gerade aus einer Nachtschicht im Krankenhaus in der Nähe. Zehn Tage hat sie am Stück gearbeitet. Mit dem Regionalzug fährt sie etwa zwei Stunden bis nach Ingolstadt, wo sie wohnt. Für sie kein Problem, erklärt sie. Sie sei es gewohnt, viel unterwegs zu sein. Bianca Kohl arbeitet für eine große Zeitarbeitsfirma. Die 37-Jährige ist eine sogenannte travel nurse.

"Ich liebe es", schwärmt Bianca Kohl. Sie reise richtig gerne und sehe es als riesige Chance an, überregional zu arbeiten. "Ich wäre alleine nicht auf die Idee gekommen, meinen Arbeitsplatz zu kündigen und nach Sylt zu gehen und dort drei Monate zu arbeiten und dann wieder zu kündigen." Durch die Zeitarbeit, durch das "travel nursing", habe sie die Möglichkeit, Einsätze temporär zu übernehmen. "Zu sagen, ich fahre mal drei Monate nach Sylt, an die Nordsee und schaue mir das mal an, lerne mal Teile von Deutschland kennen, lerne Sichtweisen von Menschen kennen, die aus dem Norden oder aus dem Osten kommen", erläutert Bianca Kohl.

Durch Zeitarbeit in der Pflege dazulernen

Seit vier Jahren arbeitet Bianca Kohl in unterschiedlichen Kliniken. Sie schätze es sehr, immer wieder den Arbeitsplatz zu wechseln und neue Eindrücke zu gewinnen, erzählt die Krankenschwester. "Man glaubt es nicht, Pflege ist so unterschiedlich. Es ist ein Land, aber jeder macht es irgendwie anders und auch die Erwartungen der Patienten an die Ärzte, an die Pfleger, sind im Norden anders als im Süden."

Viele Kliniken stehen dem Thema Zeitarbeit allerdings sehr kritisch gegenüber. Sie wollten sich gegenüber dem BR Fernsehen nicht offiziell äußern und erteilten auch keine Drehgenehmigung zu diesem Thema.

Krankenhausgesellschaft fordert weniger Privilegien für Pflege-Zeitarbeiter

Doch in den Kliniken geht es schon längst nicht mehr ohne Zeitarbeit. Nur so kann der Betrieb bei Ausfällen weiterlaufen. Doch das Thema polarisiert, auch weil Zeitarbeitskräfte teuer sind. Momentan arbeiten weniger als drei Prozent aller Pflegefachkräfte bundesweit in Zeitarbeit. Doch die Bayerische Krankenhausgesellschaft sorgt sich vor einem Anstieg. Und wünscht sich weniger Privilegien für Leiharbeiter, wie BKG-Geschäftsführer Roland Engehausen erläutert.

"Wir würden gerne regeln, dass die Leiharbeit für den Ausgleich von Belastungsspitzen im Krankenhaus gedacht ist und nicht für den Ersatz von der Stammbelegschaft", erklärt Engehausen. Auch brauche es faire Vergütungsregelungen. "Natürlich muss Leiharbeit besser bezahlt werden, aber teilweise haben wir Auswüchse", berichtet er.

Freiheit und Geld in der Zeitarbeit - Frust in der Pflege-Festanstellung

Bianca Kohl schätzt die Zeitarbeit, doch sie bringt auch Nachteile mit sich. "Ich sehe meine Freunde nicht, wenn Geburtstage oder Hochzeiten sind, dann bin ich manchmal nicht dabei." Doch eine Rolle spiele auch der Verdienst: "Wenn ich das für das gleiche Geld machen würde wie hier, dann hätte ich keinen Anreiz. So gerne ich es auch mache, klar spielt der Mehrverdienst eine Rolle."

Nach über 14 Jahren in einer Festanstellung hatte sich bei Bianca Kohl auch viel Frust angesammelt. Sie fühlte sich zunehmend erschöpft und vor allem sehr fremdbestimmt. Auf Dienstpläne hatte sie kaum Einfluss: "Ich muss nicht immer Weihnachten, Silvester, Pfingsten, jedes Wochenende verfügbar sein", so Bianca Kohl. "Das ist etwas, was uns aufgedrängt wurde und es wird so als Erwartung, als Selbstverständlichkeit in den Raum geworfen, das hat mich geärgert, zum Schluss kam kein Dank mehr fürs Einspringen."

Pflegekraft: "Kann das nicht bis 70 machen"

Auch Michaela Weber aus Krumbach ist Intensivkrankenschwester und war viele Jahre festangestellt. Seit Kurzem arbeitet auch sie in der Zeitarbeit. Die 32-Jährige wollte sich weiterentwickeln, auch außerhalb der Klinik, hat inzwischen eine Ausbildung zum Coach gemacht und leitet Online-Beratungen.

"Dadurch, dass ich in der Pflege arbeite und auch selbstständig bin, ermöglicht es mir auf jeden Fall, länger in dem Beruf zu bleiben. Die Kombination macht es für mich total realistisch, auch wenn ich nicht glaube, dass ich das bis 70 machen kann", sagt Weber. Der Anspruch im Gesundheitssystem sei einfach zu hoch. "Ich arbeite immer auf Intensivstationen und das ist nochmal eine ganz andere psychische wie physische Belastung. Das möchte ich nicht machen, bis ich 70 bin – auch nicht mit dem Schichtdienst. Aber jetzt für meine Lebenssituation ist es ideal."

Michaela Weber arbeitet in verschiedenen Kliniken in Bayern. Sie schätzt die hohe Flexibilität in der Zeitarbeit, hält sie aber nicht für alle für geeignet. "Schließlich ist nicht immer alles toll für den Zeitarbeiter. Da ist natürlich auch viel Druck, ich muss die Leistung natürlich auch bringen."

Zeitarbeitskräfte in Senioren- und Pflegeheimen

Auch Alten- und Pflegeheime kommen häufig nicht mehr ohne Zeitarbeit aus, so wie das Seniorenheim Priental. Dort werden Leiharbeiter allerdings deutlich seltener beschäftigt. Zum einen sollen die Bewohner von vertrauten Mitarbeitern betreut werden, die Fluktuation gering bleiben. Zum anderen, weil die Kosten für Zeitarbeiter von den Krankenkassen nicht refinanziert werden. Für den Einrichtungsleiter Wolfgang Rohrmüller ist Zeitarbeit Fluch und Segen zugleich: "In der Regel kommen Leute zu uns, die man nicht kennt. Die können ganz toll sein, die können aber auch so sein, dass man sie am liebsten wieder nach Hause schicken möchte – was man aber nicht kann, weil man auf sie angewiesen ist."

Idealerweise sei es so, dass man keine Zeitarbeitskräfte einsetzen müsse, sagt Wolfgang Rohrmüller. "Lieber ist der Personalschlüssel etwas höher, als das, was vom Gesetzgeber gefordert ist oder von den Kassen finanziert wird, dafür aber keine Zeitarbeit, weil die Zeitarbeit einfach richtig teuer ist."

Pflegepersonal: Was fehlt, ist eine Perspektive und Wertschätzung

Bianca Kohl fährt demnächst für vier Wochen am Stück in den Urlaub. Dank der Zeitarbeit geht das. Doch auch für sie ist dieser Job nicht für die Ewigkeit gedacht. Sie hofft, dass sich in der Pflege endlich einiges ändert: "Da wird nur an das Jetzt gedacht. Wir haben jetzt ein Problem: Wir brauchen Pflegekräfte. Das müssen wir kompensieren." Es werde nicht weitergedacht, was in fünf oder sieben Jahren sei. Noch fehlt vielen Pflegefachkräften eine echte Perspektive sowie mehr Wertschätzung für ihre Arbeit.

Dieser Artikel ist erstmals am 22. Oktober 2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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