Die Caritas verteilt Essen an Bedürftige und Obdachlose mit ihrem Foodtruck.
Bildrechte: picture alliance / Geisler-Fotopress | Sebastian Gabsch/Geisler-Fotopre

Verbände wie Caritas, Diakonie und AWO in Bayern wachsen stetig. Sie übernehmen immer mehr Aufgaben im Sozialbereich.

Per Mail sharen
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Wohlfahrtsverbände in Bayern: Mehr Personal, weniger Zuspruch

Verbände wie Caritas, Diakonie und AWO in Bayern wachsen stetig. Sie übernehmen immer mehr Aufgaben im Sozialbereich. Das Wachstum ist aber paradox, weil die Institutionen, aus denen die Wohlfahrtsverbände entstanden sind, an Zuspruch verlieren.

Über dieses Thema berichtet: Notizbuch am .

Wenn man Klaus Schindler fragt, wie sich die Zahl seiner Kollegen entwickelt, sagt er nur ein Wort: "Enorm." Als der Sozialpädagoge vor 15 Jahren bei der Arbeiterwohlfahrt in Rosenheim anfing, war er mit einem weiteren Sozialarbeiter zu zweit. Jetzt beschäftigt die AWO im Kreisverband Rosenheim 30 Sozialpädagogen, insgesamt hat sie 600 Beschäftigte.

Auf Bayerischer Landesebene verzeichnet die AWO bei den hauptamtlichen Mitarbeitern seit 2007 einen Zuwachs von 12.000 auf 36.000. Bei der katholischen Caritas ist die Zahl der Arbeitnehmer in Bayern im gleichen Zeitraum von 131.000 auf 184.000 gewachsen, bei der evangelischen Diakonie von 67.000 auf knapp 100.000. Auch bei Rotem Kreuz und Paritätischem Wohlfahrtsverband gehen die Zahlen nach oben.

Mehr Bedarf – mehr Personal

Der AWO-Sozialpädagoge Schindler hat eine Erklärung, warum seine Organisation und auch andere Wohlfahrtsverbände stetig wachsen. Der Bedarf an Sozialberatung nehme immer weiter zu, nicht nur etwa bei Zuwanderern, sondern auch bei anderen Bevölkerungsgruppen wie beispielsweise Jugendlichen, die unter sozialen und psychischen Problemen leiden. Auch in der Pflege steige der Bedarf.

Außerdem gebe es in Kommunen oft nicht viel fachliche Kompetenz, um etwa eine Kindertagesstätte zu betreiben. Dann heiße es aus der Gemeindeverwaltung: "Wir zahlen es gern, aber wir wollen es nicht mehr selber machen." Auch die bayerische AWO-Landeschefin Nicole Schley bestätigt: "Wir übernehmen immer mehr Aufgaben des Staates, die der Staat nicht leisten kann oder nicht leisten möchte."

Soziale Dienste im staatlichen Auftrag

Egal ob Krankenhäuser, Pflegeheime, ambulante Pflegedienste oder Kitas: Die Arbeit der meisten Einrichtungen, die die Wohlfahrtsverbände betreiben, wird vollständig oder ganz überwiegend aus Steuergeldern bezahlt. Deswegen konnten die Verbände das zusätzliche Personal, das sie in den vergangenen Jahren aufgebaut haben, auch stets bezahlen.

Engpässe durch Personalmangel

Inzwischen stoße die Entwicklung aber an Grenzen, warnt die Präsidentin der Diakonie in Bayern, Sabine Weingärtner. Vor kurzem ging sie mit einem Alarmruf an die Öffentlichkeit. Es sei vor allem in der Pflege inzwischen so schwierig, Personal zu finden, dass immer mehr Angebote eingeschränkt werden müssen. Die Situation sei "todernst".

Es gebe bei den Wohlfahrtsverbänden zwar auch viele ehrenamtliche Mitarbeiter, sagt Weingärtner. Aber die könnten die Leistungen von Festangestellten nur unterstützen, jedoch nicht ersetzen.

Weniger Bindungskraft der Mutter-Organisationen

Der Personalmangel ist aber nicht das einzige Problem der Wohlfahrtsverbände. Sie berichten alle von der gleichen Herausforderung: Die Bereitschaft, sich fest an einen Verband zu binden, nimmt ab. Die Kirchen als Mutter-Organisationen von Caritas und Diakonie verlieren stetig Mitglieder. Auch bei der Arbeiterwohlfahrt, die im Jahr 1919 aus der SPD heraus gegründet wurde, ist in Bayern die Zahl der Mitglieder in den vergangenen Jahren von 72.000 auf 54.000 geschrumpft.

Ehrenamtliche projektbezogen einbeziehen

Es gebe bei Ehrenamtlichen aber weiterhin großes Interesse, sich projektbezogen zu engagieren, sagt der AWO-Co-Landesvorsitzende Stefan Wolfshörndl. Dieses Engagement zu fördern und zu koordinieren, sei eine Zukunftsaufgabe für die Wohlfahrtsverbände: "Ansonsten wird das soziale System in unserem Land nicht mehr funktionieren." Beispielsweise bei Freizeitprojekten für Kinder und Jugendlich könnten Ehrenamtliche gut eingebunden werden, aber auch in der Armutsbekämpfung, also etwa bei Stadtküchen, die Essen an Bedürftige verteilen.

Ein Beispiel für solche Projekte ist der "Food-Truck", den die Caritas in der Nähe des Münchner Hauptbahnhofes aufgestellt hat. Marlies Brunner koordiniert als Festangestellte die Arbeit von rund 50 Ehrenamtlichen, die jeden Tag an rund 600 Menschen Essen verteilen. Ohne engagierte Bürgerinnen und Bürger und auch ohne Spenden wäre dieses Angebot unmöglich, sagt sie und, dass solche Angebote gebraucht werden, steht für sie außer Frage: "Wenn man eine halbe Stunde ansteht, um Essen zu bekommen, hat man Hunger. Das macht man nicht zum Spaß."

Ein stabilisierender Faktor

Ebenso wie der AWO-Landesvorsitzende Wolfshörndl ist auch der Leiter des bayerischen Landes-Caritasverbandes, Bernhard Piendl, überzeugt, dass viele Menschen davon profitieren, wenn die Wohlfahrtsverbände weiter wachsen. Er habe von einem früheren Verfassungsrichter eine Einschätzung gehört, der er sich nur anschließen könne, erzählt Piendl. Die Wohlfahrtsverbände seien für die gesamte Gesellschaft "der stabilisierende Faktor".

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht's zur Anmeldung!