Ein Schild einer Praxis für Psychotherapie
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Warten auf Psychotherapie: Wenn Patienten keinen Platz bekommen

Seit der Corona-Pandemie haben psychische Erkranken wie Angststörungen oder Depression stark zugenommen. Doch wer psychische Probleme hat, muss im Schnitt knapp fünf Monate auf einen Therapieplatz warten – in einigen Regionen deutlich länger.

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Rund 40 Prozent psychisch kranker Patienten warten mindestens drei bis neun Monate auf den Beginn einer Behandlung – zu dieser Einschätzung kommt die Bundes Psychotherapeuten Kammer (BPtK) nach einer Auswertung von Hunderttausenden Versichertendaten aus dem Jahr 2019. Durch die Corona-Pandemie seien die psychischen Belastungen in der Bevölkerung massiv erhöht – und so sei auch die Zahl der Anfragen seit Beginn der Pandemie enorm gestiegen.

Vergebliche Suche nach einem Therapieplatz

Herbst und Winter sind schwierige Jahreszeiten für Ralf Losgar. Die Tage sind kurz und dunkel. Das schlägt auf das Gemüt. Der 55-jährige Gebäudemanager wohnt in Haßfurt in Unterfranken. Stress und Mobbing in der Arbeit haben bei ihm eine schwere Depression ausgelöst. Deswegen wurde er mehrere Wochen lang in einer psychosomatischen Klinik behandelt. Die Klinikärzte haben ihm dringend empfohlen, zeitnah eine ambulante Psychotherapie anzuschließen. Das war vor knapp einem Jahr. Seitdem ist er auf der Suche nach einem Therapieplatz.

Ralf Losgar hat von verschiedenen Ärzten eine Reihe von Psychotherapeuten empfohlen bekommen. Zusätzlich hat er im Internet recherchiert und sich eine Liste mit insgesamt 80 Therapeuten zusammengestellt. Anfangs war er noch optimistisch, bald einen Platz zu finden. Über neun Monate hinweg habe er versucht, einen Platz zu bekommen, berichtet Ralf Losgar. "Ich habe locker 80 Adressen abtelefoniert mit Aussagen von 'Wartezeiten ein halbes Jahr', 'Wartezeit ein Jahr', die meisten haben gesagt: 'Tut uns leid, wir sind voll.'" Hinzu kommt, dass viele Therapeuten keine Sprechstundenhilfe haben und nur einige Stunden pro Woche erreichbar sind.

Psychotherapeutin: Bedarf höher, als das, was wir anbieten können

In Bamberg, 30 Kilometer von Ralf Losgars Wohnung entfernt, hat Psychologin Astrid Wolfschmitt ihre Praxis. Aber einen freien Therapieplatz kann auch sie nicht anbieten. Seit der Pandemie ist die Verweildauer ihrer Patienten viel länger geworden. Inzwischen hat sie es aufgegeben, eine Warteliste zu führen, denn es wäre unrealistisch sie irgendwann abarbeiten zu können.

"Es scheint so, dass wir zu wenige psychotherapeutische Zulassungen haben. Also wir haben schon mehr psychotherapeutische Kollegen. Aber die Anzahl der Kassenzulassungen ist beschränkt", so Astrid Wolfschmitt. Seit vielen Jahren sei das ein Thema. "Der Bedarf ist viel höher als das, was wir anbieten können und dürfen."

Gesetzliche Krankenkassen: Kapazitäten reichen aus

Die Zahl der Psychotherapeuten mit Kassenzulassung wird vom Gemeinsamen Bundesausschuss aus Krankenkassen und Ärzten bestimmt. Die Berufsverbände der Psychotherapeuten gehen davon aus, dass es Tausende zusätzlicher Kassensitze bräuchte, um den Bedarf zu decken.

Die Krankenkassen sehen das anders und bremsen. "Wir haben eine ausreichende Versorgung mit Therapeutinnen und Therapeuten. Wir haben Psychiater, wir haben stationäre Kapazitäten. All das zusammen reicht in Deutschland aus, um tatsächlich den Behandlungsbedarf auf einem hohen internationalen Niveau gut zu befriedigen", sagt Florian Lanz, Pressesprecher des GKV-Spitzenverbands. "Unser Interesse als gesetzliche Krankenversicherung ist ja auf der einen Seite eine gute bedarfsgerechte Versorgung, auf der anderen Seite sind all diese Versicherten auch Beitragszahler, die am Ende aus ihrem Portemonnaie zum Beispiel die Psychotherapeuten finanzieren."

Das sei zu kurzfristig gedacht, finden Psychotherapeuten. "Es gibt einfach klare Zahlen dafür, dass eine - ich rede jetzt mal von einer Verhaltenstherapie - dass sich die rechnet", sagt Psychotherapeutin Astrid Wolfschmitt. "Das heißt für einen eingesetzten Euro gibt es eine ganz klare Ersparnis und zwar erstens, weil wir dadurch oft weniger Zeit in stationären Einrichtungen haben und zweitens weil die Krankheitszeiten häufig verkürzt sind, die Zahl der Krankheitstage."

  • Zum Artikel: Warum nicht genug Psychotherapeuten ausgebildet werden

Kostenübernahme vor Behandlungsbeginn klären

Ralf Losgar hat nach fast einem Jahr Suche eine Lösung zur Überbrückung gefunden. Inzwischen geht er einmal wöchentlich zu einer Heilpraktikerin mit Psychotherapeuten-Ausbildung – auf seine eigenen Kosten.

Grundsätzlich ist es zwar möglich, dass die Krankenkassen die Kosten von nicht zugelassenen Psychotherapeuten erstatten, wenn der Patient nachweisen kann, dass er seit mindestens sechs Wochen vergeblich auf der Suche ist. Aber der privat bezahlte Therapeut muss ein Psychologe oder ein Psychiater sein. Die Rechnung für Ralf Losgars Heilpraktikerin wird die Kasse also in keinem Fall übernehmen.

"Für mich gibt es nur noch die Möglichkeit, die ich jetzt bewusst gewählt habe", resümiert Ralf Losgar. "Ich muss weiterhin zu der Psychotherapeutin, die mich seit ein paar Wochen begleitet, auch wenn ich letztendlich auf den Kosten sitzen bleibe. Wird sich nicht viel ändern zu dem, wie es vorher war. Und die Kraft habe ich momentan nicht." Seine privat bezahlte Therapie tut ihm gut. Deshalb will Ralf Losgar sie nicht aufgeben, solange er sie sich leisten kann.

Reformpläne der Regierung noch unklar

Die Ampel-Regierung will die psychotherapeutische Bedarfsplanung reformieren, um Wartezeiten auf einen Behandlungsplatz deutlich zu reduzieren. So steht es zumindest im Koalitions-Vertrag. Konkrete Maßnahmen und einen Zeitplan für die Umsetzung gibt es aber noch nicht, räumt das Bundesgesundheitsministerium auf Nachfrage ein.

Zumindest vorerst müssen sich Betroffene also immer noch auf eine längere Wartezeit einstellen. Um diese zu überbrücken empfiehlt Psychotherapeutin Astrid Wolfschmitt: "Sie können versuchen, sich bei den sozialpsychiatrischen Diensten Hilfe zu holen. Zumindest mal stützende Gespräche." Je nach Stadt könne es auch Selbsthilfegruppenangebote geben.

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