Richtig krank sich drei Etagen hochschleppen oder mit dem Rollstuhl hoch - wie soll das gehen? (Symbolbild)
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Der Termin beim Arzt steht, doch die Praxis muss auch erreicht werden. (Symbolbild)

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Arztbesuch mit Hürden: Praxen in Bayern sind selten barrierefrei

Noch immer stoßen Menschen mit Behinderung in Bayern auf viele Barrieren im Alltag. Selbst ein Besuch beim Arzt kann zur enormen Herausforderung werden. Die wenigsten Arztpraxen sind komplett barrierefrei.

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Einfach einen Arzttermin ausmachen – für Menschen mit Behinderung heißt das erstmal: Herausfinden, welche Praxis sie überhaupt besuchen können. Denn viele Praxen sind nicht ausreichend barrierefrei. Ein Problem, das sich ausweitet, denn künftig werden immer mehr Menschen auf Barrierefreiheit beim Arztbesuch angewiesen sein.

Seehofers Versprechen zur öffentlichen Barrierefreiheit "ein Witz"

Ulrike Lößel hat vor zehn Jahren ein Versprechen bekommen. Eine Perspektive. Vom damaligen Ministerpräsidenten Horst Seehofer, der sagte, Bayern werde in zehn Jahren im öffentlichen Raum komplett barrierefrei sein. "Das ist ein Witz", urteilt Lößel heute, zehn Jahre nach dem Versprechen. Und auch in Arztpraxen gibt es noch immer unzählige Hindernisse.

"Die Ärzte sagen: Tut mir leid, wir können Sie nicht nehmen." Ulrike Lößel im Rollstuhl. Sie möchte selbstständig sein und möglichst unabhängig leben: Sie arbeitet als Frauenbeauftragte, hält Vorträge und reist nach Berlin zu Demos. Aber eine Arztpraxis in der Nähe zu besuchen, ist für sie kaum möglich. "Ich wünsche mir eine barrierefreie Arztpraxis in meiner Nähe", sagt Lößel.

Bayern bei Barrierefreiheit schlechter als andere Bundesländer

In Deutschland haben 44 Prozent der Arztpraxen mindestens eine barrierefreie Vorkehrung für Menschen mit Mobilitätseinschränkung. Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse der unabhängigen Stiftung Gesundheit. Dabei schneidet Bayern bundesweit am schlechtesten ab: mit nur 34 Prozent. Im Landkreis Forchheim, in dem Ulrike Lößel wohnt, sieht das ähnlich aus: Nur jede dritte Praxis hat mindestens eine barrierefreie Maßnahme.

Die BR-Redaktion mehr/wert macht einen stichprobenartigen Test und fragt telefonisch bei Arztpraxen an, ob Ulrike Lößel als Rollstuhlfahrerin in die Praxis kommen könne. In jeder dritten Praxis müsste es mindestens eine barrierefreie Vorkehrung geben. Doch schnell zeigt sich: Mal ist es ein Treppenaufgang, mal eine Stufe im Behandlungszimmer, die die Barrierefreiheit zunichtemachen.

Nur ein Bruchteil der angefragten Praxen aus verschiedenen Fachgebieten ist wirklich so barrierefrei, dass Ulrike Lößel dort behandelt werden könnte. Die Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB) empfiehlt für die komplette Mobilitätsbarrierefreiheit einer Praxis folgende Kriterien: einen Behindertenparkplatz, einen stufenloser Zugang zur Praxis oder via Aufzug erreichbar, in den ein Rollstuhl passt. Die Praxis selbst sollte für Rollstühle geeignet sein, inklusive behindertengerechter Toilette. Und damit die Behandlung funktioniert, ist eine höhenverstellbare Liege oder ein Untersuchungsstuhl wichtig. Ist all das vorhanden, kann sich ein Mensch im Rollstuhl ohne Einschränkungen in der Praxis bewegen.

Maximal sieben Prozent der Arztpraxen sind wirklich barrierefrei

Die oben genannten 34 Prozent der Praxen aus der Analyse müssen, wie die Stiftung Gesundheit dort beschreibt, nur ein barrierefreies Kriterium erfüllen. Sie können also zum Beispiel nur ein Behinderten-WC haben, der Patient kommt aber nicht in die Praxis hinein. Die Stiftung Gesundheit bestätigt im Gespräch mit dem BR: Komplett barrierefreie Praxen in Bayern sind eine Seltenheit, höchstens sieben Prozent der Praxen erfüllen diese Anforderungen.

Aktuell sehen Ulrike Lößels Arztbesuche meist so aus: Es geht mit einem großen Bus, zwei Helferinnen und viel Aufwand im Nachbarort zum Arzt. So hat sie sich mit der Situation arrangiert. "Das braucht eine Menge Zeit, bis alle Arztpraxen barrierefrei sind." Sie sei optimistisch, dass es so kommen werde, doch womöglich für sie zu spät. Ihr Wunsch nach einem freien Zugang zu einer Praxis um die Ecke liegt noch in weiter Ferne.

Hohe Kosten für barrierefreien Umbau

In Absberg in Mittelfranken hat die Ärztin Ute Schaaf vor 18 Jahren ihre Praxis für Allgemeinmedizin übernommen. Diese ist nicht barrierefrei. Das wollte Schaaf ändern und an der Treppe eine Rampe bauen. Doch das hätte 25.000 Euro gekostet. "Dann kommt man in preisliche Dimensionen, wo man sich überlegt: Ich muss das Geld auch erst einmal verdienen, bevor ich es ausgeben kann. Und dann überlegt man sich, wie oft habe ich im Jahr die Situation, dass ein Mensch im Rollstuhl kommt?" Also trägt Schaaf mit ihren Assistentinnen Menschen im Rollstuhl hoch und macht Hausbesuche. Denn sie will Patienten mit Einschränkung, egal welcher Art, in ihrer Praxis trotz der Treppe behandeln können.

Um die ärztliche Versorgung auf dem Land zu verbessern will das bayerische Gesundheitsministerium Praxen im ländlichen Raum ab dem nächsten Jahr mit 150.000 Euro unterstützen - pro Kommune. Unter anderem ist dabei auch die Förderung von Umbauten von bestehenden Praxen vorgesehen, die der Verbesserung der Barrierefreiheit beitragen, heißt es von Seiten eines Ministeriumssprechers. Aber reicht das? "Wenn es eine Ortschaft ist, wie Absberg, mit einer Praxis, dann kann das gut reichen", sagt Schaaf. Aber "wenn ich jetzt einen Ort hab, der sehr viel größer ist und vier Hausarztpraxen hat, vielleicht noch eine Facharztpraxis, dann reicht es nicht." Schaaf wird jetzt demnächst ihre Praxis im Ort wechseln und in eine barrierefreie Gemeinschaftspraxis zu ziehen.

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