Symbolbild: Ein Mann im Rollstuhl vor einer Treppe. Bayern hat sein Ziel, im Jahr 2023 barrierefrei zu sein, nicht erreicht.
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Symbolbild: Ein Mann im Rollstuhl vor einer Treppe. Bayern hat sein Ziel, im Jahr 2023 barrierefrei zu sein, nicht erreicht.

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Barrierefreiheit in Bayern: Versprochen und doch fern

Komplette Barrierefreiheit bis zum Jahr 2023 - das hat Horst Seehofer vor zehn Jahren als damaliger Ministerpräsident versprochen. Wie schwierig das gerade im Bereich der Mobilität umzusetzen ist, zeigt ein Beispiel aus Steinhöring.

Über dieses Thema berichtet: Der Funkstreifzug am .

Mehr als 60 Rollstuhlfahrer leben im katholischen Einrichtungsverbund für Menschen mit Behinderung im oberbayerischen Steinhöring. Die Freude war hier groß, als der damalige Ministerpräsident Horst Seehofer mitteilte: "Ich möchte, dass wir im Jahr 2023 in Bayern barrierefrei sind." Ein ehrgeiziges Versprechen. Und schwierig umzusetzen, wie sich zeigt. Nicht nur, weil es so viele Bereiche betrifft, sondern auch wegen vieler unterschiedlicher Zuständigkeiten.

Barrierefreier Bahnhof, veraltete Züge

David Kruzolka, damals 29 Jahre alt, hatte große Erwartungen. Vor allem als der Bahnhof von Steinhöring bereits im Jahr darauf barrierefrei umgebaut wurde. David Kruzolka sitzt seit seiner Geburt im Rollstuhl und konnten nach dem Umbau problemlos über eine Rampe auf den Bahnsteig fahren. Die Welt schien ihm offenzustehen. "Selber entscheiden, mal zum Einkaufen zu fahren. Selber entscheiden, wo du hinwillst." Diese Freiheit wünsche er sich, sagt David Kruzolka. Bis heute kann er vom Bahnhof in Steinhöring allerdings nicht verreisen. Nicht nur die hohen und steilen Stufen der veralteten Züge sind unüberwindliche Hürden, sondern auch eine Lücke zwischen Bahnsteig und Zug. Das mache ihn traurig und wütend zugleich, sagt David Kruzolka. "Wir leben in einer Zeit, wo Inklusion normal sein sollte. So kann man Teilhabe nicht leben."

Jeder zweite Bahnhof und Haltepunkt barrierefrei

Bayern hat sein Ziel, im Jahr 2023 barrierefrei zu sein, nicht erreicht. Ein Blick auf den Schienenverkehr zeigt: Von den gut 1000 Bahnhöfen und Haltepunkten in Bayern sind etwa die Hälfte barrierefrei. Mehr als vor fünf Jahren, aber immer noch längst nicht alle. Das bayerische Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr weist darauf hin, dass gemäß Grundgesetz der Bund für den Ausbau der Eisenbahninfrastruktur zuständig ist. Bayern unterstütze den Ausbau jedoch freiwillig mit Finanzmitteln, um schneller voranzukommen. Nach Angaben der Deutschen Bahn sind aktuell im bayerischen Bahnnetz 510 Stationen barrierefrei ausgebaut. Davon profitierten rund 80 Prozent der Fahrgäste, schreibt die Deutsche Bahn auf Anfrage. Denn die großen Bahnhöfe, wo viele Menschen umsteigen – wie Würzburg und München beispielsweise – seien barrierefrei. Anders sieht es dagegen weiterhin in ländlichen Gebieten und an kleinen Bahnhöfen mit vergleichsweise wenig Fahrgästen aus.

Selbständiges Reisen für Menschen mit Behinderung oft schwierig

Doch dass von barrierefreien Bahnstationen dann auch barrierefreie Züge fahren, ist keine Selbstverständlichkeit. Ein Armutszeugnis findet Jan Gerspach vom Sozialverband VdK Bayern. Menschen mit Behinderung müsste es möglich gemacht werden, komplett selbständig reisen zu können. "Inklusion bedeutet, selbständige Teilhabe an der Gesellschaft, wie es die UN-Behindertenrechtskonvention fordert", betont er. Hier habe Deutschland noch viel nachzuholen, darauf verweise die UN auch regelmäßig in ihren Staatenberichten. Für Jan Gerspach besteht kein Zweifel: Von Barrierefreiheit profitieren viele in der Gesellschaft. Ältere Personen genauso wie Menschen, die kurzzeitig auf Krücken angewiesen sind oder Eltern, die mit Kinderwagen unterwegs sind.

Leere Versprechen?

Über eine Million Menschen leben in Bayern mit einer Schwerbehinderung. Mehr als die Hälfte davon sind 65 Jahre alt oder älter. Barrierefreiheit sei ein wichtiges Thema, gerade auch mit Blick auf ältere Menschen, bestätigt Norbert Moy vom Fahrgastverband Pro Bahn. Dass Bayern bis 2023 komplett barrierefrei sein wird, das sei ein leeres Versprechen gewesen, meint er. Das bayerische Sozialministerium räumt derweil ein, dass das Ziel verfehlt wurde, verweist aber auf Fortschritte. Über 80 Prozent der Linienbusse seien inzwischen barrierefrei und über 60 Prozent der öffentlichen Gebäude. Norbert Moy von Pro Bahn glaubt, dass Barrierefreiheit in Bayern auch in den kommenden fünf oder zehn Jahren nicht Realität sein wird – jedenfalls nicht bei der Bahn. Denn die Fahrzeuge hätten eine lange Lebensdauer. "Ein Eisenbahnfahrzeug bleibt 30, manchmal auch 40 Jahre in Betrieb. Das heißt, so lange leben wir mit der Technik, die dort verbaut ist."

Steinhöring: Barrierefreie Züge möglicherweise Ende 2026

In Steinhöring könnte sich die Situation bis Ende 2026 ändern. Bis dahin soll die Strecke Ebersberg-Wasserburg elektrifiziert sein und damit dann auch barrierefreie Fahrzeuge zum Einsatz kommen, schreibt die Bayerische Eisenbahngesellschaft dem BR. David Kruzolka bleibt skeptisch. Er wartet seit zehn Jahren darauf, vom Bahnhof in Steinhöring tatsächlich abreisen zu können. Aber er gibt nicht auf. "Ich werde so lange kämpfen, bis dieser Zug da ist", sagt der 39-Jährige.

Im Radioprogramm von BR24 erfahren Sie mehr zu diesem Thema. Die Sendung "Funkstreifzug" berichtet am 6.9. um 12:17 Uhr darüber. Den "Funkstreifzug" gibt es auch als Podcast. Zum Beispiel in der ARD-Audiothek.

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