Der Münchner Oscar Plasene bejubelt einen WM-Titel.
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"Oscar on fire", sagt der Ringrichter. Dann darf der Münchner Kickboxer Oscar Plasene über seinen WM-Titel jubeln.

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Weltmeister aus München: Schicksal und Aufstieg eines Kickboxers

Oscar Plasene, ein Kickboxer aus München, ist vergangene Woche aufgestiegen. In der kleinen Olympiahalle wurde er Weltmeister. Ein Treffen mit dem 21-Jährigen, der vor gut einem Jahr einen schweren Schicksalsschlag hinnehmen musste.

Über dieses Thema berichtet: BR24Sport am .

Schon Wochen vor seinem Kampf zeigt Oscar Plasene den Fans, wie heiß er ist. Üben im Boxring mit ganz viel Rap – zu sehen auf seinem Instagram-Kanal. Und dann vor einer Woche ist es soweit: Der 21-jährige Kickboxer wird Weltmeister in der kleinen Olympiahalle. Sieg in der Klasse bis 67 Kilo gegen den Titelverteidiger, den 28-jährigen Italiener Domenico Lomurno. In einem Video sieht man Plasene jubeln, als der Ringrichter feierlich verkündet: "And the new World Champion from Munich. Oscar on fire – Plasene." Das ist eine Seite des 21-Jährigen.

Wer die andere Seite abseits des Rings kennen lernen will, der trifft Plasene etwa in der Wohnung seiner Eltern in München-Neuperlach. Hier in einer Hochhaussiedlung ist Plasene aufgewachsen. Seine Familie hat ihre Wurzeln im Irak.

"Mein Bruder schaut von oben zu"

Auf einem Sofa sitzend erzählt Plasene von seinem Onkel Ali. "Der war schon vor uns in Deutschland, wusste schon was hier abgeht. Und er hat uns damals zum Boxen gebracht, damit wir nicht mit falschen Jugendlichen abhängen", erinnert sich der Kickboxer.

Er glaubt, dass er ohne seinen Sport ein komplett anderes Leben führen würde. "Dann wäre ich vielleicht jetzt auch auf der Straße", sagt er nachdenklich. "Weil wenn du nichts machst mit deinem Leben, dann kommst du nur auf schlechte Ideen." Der Kickboxer spricht über Musik mit aggressiven Texten, die Jugendliche zu Gewalt verleite, etwa Messerattacken. In der Vergangenheit mündete diese Mischung nach BR-Recherchen auch in Radikalisierung. Jugendliche wollten Gangster sein und gleichzeitig Hardcore-Salafisten. So bewunderten sie Dschihadisten in Syrien, etwa den inzwischen getöteten Rapper Deso Dogg. Vereinzelt versuchten Heranwachsende aus München, auch aus Neuperlach, sich dschihadistischen Gruppen in Syrien und Irak anzuschließen.

Plasene ist Teil der Jesiden - genau jene Religionsgemeinschaft, die vom sogenannten Islamischen Staat jahrelang unterdrückt wurde. Auch in Deutschland wurden Personen wegen Verbrechen an Jesiden inzwischen verurteilt.

Heute steht Plasene für Deutschland im Ring. Wenn er darüber spricht, klingt er stolz. Aber er kämpft noch für eine andere Person, an die er immerzu denken muss: seinen Bruder Musafr. Für den sei er Weltmeister geworden. Der Titel fühle sich gut an: "Aber ich bin nicht glücklich. Wäre mein Bruder hier dabei, wäre ich sehr glücklich. Aber ich bin mir hundertprozentig sicher: Er schaut von oben zu und ist stolz auf mich."

Bruder wurde getötet

Als Plasene den Titel holt, trägt er ein T-Shirt mit einem Foto seines Bruders. Auch im Wohnzimmer in Neuperlach hängen Bilder, die Musafr zeigen. Vor fast einem Jahr ist der Bruder mit gerade einmal 18 Jahren ums Leben gekommen.

Am 14. März 2022 trafen sich zwei rivalisierende Gruppen am Münchner Korbinianplatz zu einer Schlägerei. Plasene sagt, sein Bruder habe davon nichts gewusst. Der Bruder sei vollkommen ahnungslos gewesen und zu dem Treffpunkt gelockt worden. Ein Freund habe Musafr zum Döneressen eingeladen. Dann sei es mit Jugendlichen zum Konflikt gekommen, Musafr habe schlichten wollen und sei dazwischengegangen: "Mein Bruder hat gesagt, was soll das, warum macht ihr so einen Scheiß, hört auf. Dann haben die meinen Bruder umgebracht." Plasenes Bruder wurde mit einem Messer erstochen.

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Kickboxer Plasene gemeinsam mit seinem Trainer Mladen Steko. Er trägt ein T-Shirt mit dem Bild seines verstorbenen Bruders.

Ermittlungen gegen mutmaßliche Messerstecher

Seit Monaten ermittelt die Staatsanwaltschaft. Einer der mutmaßlichen Täter wurde inzwischen angeklagt - vor der Jugendkammer des Landgerichts München I, wie die Staatsanwaltschaft dem BR auf Anfrage sagt. Dem inzwischen 17-Jährigen wird Totschlag in Tateinheit mit Beteiligung an einer Schlägerei vorgeworfen. Er sitzt in Untersuchungshaft. Noch ist unklar, ob und wann die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen wird. Das Landgericht teilt mit, dass dem Angeschuldigten und dessen Verteidiger eine mehrwöchige Frist eingeräumt worden sei, um Stellung zu beziehen.

Die Ermittlungen gegen zwei weitere Beteiligte seien bislang noch nicht abgeschlossen, so die Staatsanwaltschaft. Wenn es zum Prozess kommt, werden Plasene und der Rest der Familie als Nebenkläger im Gerichtssaal sitzen, unterstützt vom Münchner Anwalt Adam Ahmed. Der ist glücklich über den WM-Titel des Kickboxers. Beim Kampf sei er live dabei gewesen. "Ich freue mich für Oscar und seine Familie sehr. Dieser Titel ist sicherlich für Oscar schon deshalb wichtig, weil er sich jeden Tag darauf vorbereitet hat und deshalb ständig gedanklich und emotional noch intensiver mit seinem Bruder in Kontakt getreten ist", sagt Ahmed.

Plasene will Jugendliche von der Straße holen

Im Interview spricht der 21-jährige Plasene über Konflikte - auch zwischen Jugendlichen aus Neuperlach und München-Hasenbergl. Seit Corona beobachte er ein erhöhtes Aggressionspotenzial unter Heranwachsenden. Er und seine Familie hätten sich bei solchen Konflikten schon immer rausgehalten. Für ihn zähle allein der Sport.

Der Kickboxer hat sich vorgenommen: Er will Jugendliche aufklären, dass Gewalt nichts bringt. Er will sie von der Straße holen und dazu bringen, Sport zu machen. So wie er selbst. Am 1. Juli muss er seinen WM-Titel verteidigen.

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