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Weniger, aber extremere Fälle von Jugendgewalt in Bayern

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Weniger, aber extremere Fälle von Jugendgewalt in Bayern

Seit den Vorfällen an Silvester in Berlin ist auch die Diskussion über Jugendgewalt wieder aufgeflammt. Ist sie auch in Bayern ein Problem? Die Tendenz zeigt: Gewalt-Kriminalität durch Jugendliche sinkt langfristig, wird aber teils gewaltvoller.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Räuberische Erpressung mittels Elektroschocker durch 17-Jährige in München, versuchter Totschlag eines 15-Jährigen in Passau oder eine Schlägerei unter 13- bis 16-Jährigen in Amberg. Einige Polizeimeldungen zu Jugendlichen aus der jüngsten Zeit fallen durch die enorme Gewalttätigkeit auf, die darin beschrieben wird. Doch in bayerischen Ballungsräumen, zum Beispiel in München, stellt die Polizei in den vergangenen Monaten insgesamt keinen Anstieg von Gewaltkriminalität unter Jugendlichen fest. Andere Polizeipräsidien – zum Beispiel in Nordschwaben - berichten in den vergangenen Jahren sogar von immer weniger Gewaltdelikten von unter 21-Jährigen.

Die Qualität der Delikte hat sich teils verändert

Allerdings habe sich in den vergangenen Monaten doch etwas verändert, erklärt Andreas Franken, Polizeipressesprecher in München. Es gebe zum Beispiel eine Häufung von Raubdelikten. "Da wird es gewaltsam. Oftmals werden beispielsweise anderen Kindern oder Jugendlichen Gegenstände abgenommen", so der Münchener Polizist. Mal würde eine teure Daunenjacke, mal ein Handy, wertvolle Kopfhörer oder Turnschuhe gewaltsam entwendet. Einerseits gibt es also immer weniger Fälle, andererseits werden die seltenen Fälle mitunter gewaltsamer.

Jugendliche Straftäter werden immer jünger

Laut Polizei werden Straftäter und Straftäterinnen außerdem immer jünger. Das bestätigten mehrere Polizeipräsidien dem BR. 2021 beispielsweise gab es im Vergleich zum Vorjahr in München 30 Prozent mehr gewalttätige Kinder. "Wir sprechen von unter 14-Jährigen, die in letzter Zeit vermehrt auffallen im Zusammenhang mit Straftaten", sagt der Münchner Polizeisprecher dem BR. Für 2022 liegen noch keine Zahlen vor. Doch der Trend werde sich aller Voraussicht nach bestätigen.

Ursachen für Gewaltdelikte vielfältig

Eine alleinige Ursache für diese Entwicklungen unter Jugendlichen gebe es nicht, erklärt Bernd Holthusen, der am Deutschen Jugendinstitut zu Jugendkriminalität forscht. Verschiedene Faktoren müssten für solche Delikte zusammenkommen. Zuerst falle aber immer der Geschlechterunterschied auf: Wesentlich mehr junge Männer begehen Gewaltdelikte. "Wir sehen aber auch, dass bei besonders schwierigen Umständen bei jungen Menschen, die wenig konstruktive Konfliktschlichtung gesehen haben, Gewalt wahrscheinlicher wird", so der Wissenschaftler. Also Kinder, die nicht vorgelebt bekommen haben, Konflikte und Streit gemeinsam gut zu lösen.

Genauso können Gewalterfahrungen in der Kindheit dazu führen, selbst gewalttätig zu werden. Außerdem spielen allgemeine Perspektivlosigkeit oder fehlende Räume, sich zu entwickeln und Grenzen auszutesten, eine Rolle. Solche Freiräume seien, so der Wissenschaftler, gerade in der Corona-Pandemie oft eingeschränkt gewesen.

Gruppendynamik als ein auslösender Faktor

Dann müsse noch die Gruppendynamik ihr übriges tun. Das hat Erhard Bollmann, der in Nürnberg als Sozialpädagoge im Kinder und Jugendhaus "Tetrix" arbeitet, schon selbst erlebt. "Das sind Kleinigkeiten, die eskalieren können", erzählt Bollmann. Wenn etwa nach einem Foul im Sport zwei Jugendliche aneinander geraten und es den Pädagogen nicht sofort gelingt, die Streitenden mithilfe klarer Regeln zu trennen, könne das zu Gewalt führen. Für den Sozialpädagogen ist die beste Gewaltprävention neben funktionierender Bildung an den Schulen, Beziehungen mit den Jugendlichen aufzubauen, durch sportliche oder musikalische Events gute Erinnerungen zu schaffen sowie alternative Konfliktlösungsstrategien aufzuzeigen. Sprich: langfristig stabile Jugendarbeit.

Kommunen investieren in Gewaltprävention

Jugendarbeit als Gewaltprävention haben auch die bayerischen Kommunen auf dem Schirm. München hat die Mittel für Gewaltpräventionsprojekte erhöht. "Die Erhöhung des Budgets erfolgte aufgrund der zunehmenden Intensität von Gewalt unter Kindern und Jugendlichen selbst und auch in ihren Familien, insbesondere im Zusammenhang mit den psychosozialen Auswirkungen der Corona-Pandemie", so ein Sprecher der Stadt München. Augsburg arbeitet schon seit 2019 - laut Projektverantwortlichen bayernweit einmalig - mit der Gewaltpräventionsstrategie "Communities That Care" - "Gemeinschaften, die sich kümmern". Eine Strategie, die je nach Stadtviertel bei guten Lehrer-Schüler-Beziehungen, guten nachbarschaftliche Beziehungen sowie Familiensozialarbeit ansetzt.

Auch die Polizei versucht gegenzusteuern

Auch die Polizei versucht bayernweit mit Präventionsarbeit gegenzusteuern. Beispielweise durch Vorträge in Schulen oder Zusammenarbeit mit Jugend- und Sozialeinrichtungen wie Bellevue di Monaco in München. Auch auf den Straßen sei man präsenter, vor allem "an neuralgischen Orten", teilt das Polizeipräsidium Unterfranken mit. "In der Hoffnung, dass es den einen oder anderen davon abhält, weitere Straftaten zu begehen", ergänzt Andreas Franken aus München. Zudem haben viele Präsidien eine eigene Ermittlergruppe für Jugendkriminalität eingerichtet. Und eigene Staatsanwälte, die im Falle von Wiederholungstätern konstant mit denselben Jugendlichen zusammenarbeiten, um deren familiären Hintergrund und Fallkonstellation gut zu kennen.

Insgesamt nimmt Jugendkriminalität in ganz Bayern ab

Sowohl der bayerischen Polizei als auch Sozialarbeitenden sowie dem Deutschen Jugendinstitut ist es wichtig zu betonen: Insgesamt nehmen Straftaten unter Kindern und Jugendlichen ab. Das bestätigten auch mehrere Polizeipräsidien dem BR. In Mittelfranken und dem Großraum Nürnberg befinde sich die Kinder- und Jugendkriminalität etwa auf einem "historischen Tiefstand", teilt das Polizeipräsidium Mittelfranken mit. In Niederbayern beispielsweise sank die Jugendkriminalität zuletzt um 30 Prozent, in Südschwaben um 19 Prozent und im Großraum Augsburg um 25 Prozent.

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