Kontroverse App TikTok: Immer wieder Vorwürfe, das App zur Verbreitung von Propaganda genutzt wird
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Kontroverse App TikTok: Immer wieder gibt es Vorwürfe, das App zur Verbreitung von Propaganda genutzt wird

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Wie Osama bin Ladens "Brief an Amerika" im Netz viral ging

Jahrelang interessierte sich kaum jemand für das Terror-Pamphlet des ehemaligen al-Qaida-Chefs Osama bin Laden. Dann kamen die Algorithmen von X - und die von TikTok.

Ein viraler Trend rund um ein über 20 Jahre altes Pamphlet des ehemaligen al-Qaida Chefs Osama bin Laden beschäftigt das Internet. In den vergangenen Tagen hatten sich zahlreiche Clips auf der Video-Plattform TikTok verbreitet, in denen Nutzerinnen und Nutzer zur Lektüre von bin Ladens "Letter to America" aufriefen. In Videos und Kommentaren beschrieben viele User, dass der Brief des Terrorpaten ihnen "die Augen geöffnet" und "zu einer Existenzkrise" geführt habe.

TikTok sperrt Hashtag

Die Videos wurden millionenfach angesehen. Bei der Verbreitung spielte laut Washington Post auch eine Rolle, dass die Clips kontrovers auf der Kurznachrichtenplattform X, vormals Twitter, diskutiert wurden und dadurch zusätzliche Aufmerksamkeit bekamen. Gestern Abend reagierte TikTok auf die massive Kritik an der Verbreitung des terror-verherrlichenden Pamphlets mit der Ankündigung, entsprechende Inhalte "proaktiv und aggressiv" zu entfernen. Der Hashtag #lettertoisrael und ähnliche Suchbegriffe sind seither auf der Plattform gesperrt.

Jahrzehntealte islamistische Propaganda

Der Brief stammt ursprünglich aus dem Jahr 2002. In dem Schriftstück versucht Osama bin Laden, die Terrorangriffe vom 11. September, bei denen fast 3.000 Menschen durch al-Qaida ermordet wurden, zu rechtfertigen. Dabei instrumentalisiert bin Laden das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung, indem er die Terrorakte als Reaktion auf den Nahostkonflikt darstellt. Neben antisemitischer Propaganda enthält der achtseitige Brief auch den Aufruf an Bürgerinnen und Bürger der USA, sich dem radikalen Islam zu unterwerfen.

Brief geht viral im Kontext des Nahostkonflikts

Wie viele TikTok-User den Brief tatsächlich in Gänze gelesen haben, ist unklar. Die meisten User beziehen sich vor allem auf bin Ladens Äußerungen zu Israel und Palästina. Der anhaltende Krieg in Gaza und die breitere Debatte um den Nahostkonflikt erfährt seit dem brutalen Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober große Resonanz auf der Plattform.

Dabei sieht sich TikTok dem Vorwurf ausgesetzt, aktiv anti-israelische Inhalte zu verbreiten, die den Terrorismus der Hamas verharmlosen. Der Vorwurf reiht sich ein in die Kritik, dass China seine Kontrolle über ByteDance, den Mutterkonzern der Plattform, ausnutze, um gezielt westliche Demokratien und deren öffentliche Diskurse zu destabilisieren. Das chinesische Unternehmen widerspricht diesen Vorwürfen und argumentiert, die starke Verbreitung von pro-palästinensischem Content erwachse organisch aus der TikTok-Community.

Videos bekommen anfangs wenig Aufmerksamkeit

Über die genaue Entstehung des viralen bin-Laden-Trends herrscht im Netz Uneinigkeit. Die Washington Post und das Magazin Rolling Stone - ebenso wie TikTok selbst - weisen darauf hin, dass der Trend verglichen mit anderen Hashtags auf der Plattform anfangs eher klein war. Am Donnerstagabend waren laut Washington Post um die 700 Videos auf der Plattform verfügbar, die mit dem bin-Laden-Brief zu tun hatten. Die Gesamtabrufe von Videos mit dem Hashtag #lettertoamerica beliefen sich auf 15 Millionen.

Thema trendet nicht nur auf TikTok

Zeitgleich erhielt das Thema große Aufmerksamkeit auf X. Der Brief und der Name Osama bin Laden trendeten zwischenzeitlich auf der Plattform, nachdem der Journalist Yashar Ali einen Zusammenschnitt verschiedener TikTok-Videos gepostet hatte. Der Post von Ali wurde über 36 Millionen mal angesehen. TikTok behauptet, dass erst die Medienberichterstattung und die Debatte auf X Nutzer auf TikTok "zu dem Hashtag getrieben" habe. Vor dem Tweet von Ali habe der Hashtag lediglich zwei Millionen Aufrufe gehabt.

Britische Zeitung The Guardian nimmt Brief vom Netz

Viele Videos verwiesen auf einen Link zur Internetseite der britischen Zeitung The Guardian. Die Zeitung hatte, wie viele andere Medien auch, den Brief im Jahr 2002 abgedruckt und online veröffentlicht. Der Link dazu ist nach wie vor eines der ersten Ergebnisse bei Google und viele TikTok-Nutzer verwiesen in ihren Videos explizit auf die Internetseite des Guardian.

Nachdem das große Interesse über Google den Brief auf Platz 1 der meistgelesenen Artikel des Tages gebracht hatte, löschte die Zeitung den Brief. Einige Accounts auf TikTok und X nahmen diese Löschung zum Anlass, um antisemitische Verschwörungstheorien zu verbreiten.

Kritik an Löschung des Briefs

Doch auch andere Stimmen kritisierten die Löschung: Auf der Kurznachrichtenplattform Threads schrieb die Desinformationsforscherin Renee DiResta, man sollte die längst öffentlich bekannten Schwurbeleien eines Terroristen nicht zum "verbotenen Wissen" machen - und damit erst recht Aufmerksamkeit auf sie lenken. Die Debatte nach der Löschung - ein Beispiel für den sogenannten Streisand-Effekt - könnte zur weiteren Verbreitung des viralen Phänomens auf TikTok und Twitter beigetragen haben.

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